,Ein ganz schönes Brimborium, das die Herrschaften hier vor ein paar Jahren eingeführt haben. Aber ob das reicht, den Studenten auch den nötigen Respekt beizubringen? Ich bezweifele, ob man damit dieses Ziel erreicht. Denn an und für sich waren sowohl Mouads Vater als auch der Rektor für ihre äußerst liberale Sichtweise bekannt und daher sehr offen auftretende Personen, die Meinungen Anderer akzeptierten. Sie hatten sich daher zumindest in der Vergangenheit mehrfach strikt gegen diese Show ausgesprochen’, dachte Ahmad insgeheim, da er das Für und Wider dieser protzigen Aufmachung mit Belustigung in der Hochschulzeitung in der Vergangenheit am Rande seiner übrigen Aufgaben verfolgt hatte.
Nachdem die Professoren auf ihren Stühlen Platz genommen hatten, trat der Rektor an das Mikrofon. Mouad flüsterte Ahmad zu:
„Schau, der Hüne da, mit blauen Augen und Vollbart - das ist mein Vater.”
Der hatte das leise Raunen seines Sohnes trotz der zwischen ihnen liegenden Entfernung von über 15 Metern wahrgenommen und warf ihm einen bitterbösen Blick zu, um ihm zu bedeuten, jetzt doch bitte schön endlich den Mund zu halten.
„Sehr geehrte Erstsemester”, begann der Hochschulleiter, „ich freue mich, Sie hier so zahlreich, wenn auch durch meine Krankheit bedingt, einige Monate verspätet, begrüßen zu dürfen.
Was können, was müssen Sie von diesem Haus erwarten? Nun, in erster Linie natürlich Fachwissen, Methoden, Methodik und praktisches Arbeiten. Wir fühlen uns nämlich verpflichtet, Ihnen eine exzellente Ausbildung zu geben, damit Sie in Industrie, Wirtschaft, Politik - vielleicht sogar im Ausland - ein gutes Auskommen haben und eventuell dort weiter Karriere machen können.
Aber dies ist nur ein vorrangiges Ziel der Ausbildung an dieser Institution. Sie sollen sich hier auch sozial und kulturell weiter entwickeln. Wir sehen es zudem als eine sehr wichtige Perspektive an, dass Sie sich untereinander austauschen und soziale Kontakte mit den Studenten aus allen Ländern knüpfen, die an dieser Institution vertreten sind.
Wir fordern weiterhin von Ihnen, dass Sie offen gegenüber Andersdenkenden sind und rasch lernen, unterschiedliche Meinungen zu akzeptieren. Ausschließlich passives Engagement in dieser Frage wird absolut nicht toleriert.
Außerdem wünsche ich mir, dass hier Toleranz gegenüber Minderheiten gezeigt wird: Niemand darf wegen seiner Glaubenszugehörigkeit, seinen Ansichten oder seinen Meinungen diskriminiert oder unterdrückt werden. Keine Religion sollte sich als allein selig machende Wahrheit rücksichtslos in den Vordergrund drängen. Ich werde aus diesem Grunde keine gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der unterschiedlichen Glaubensrichtungen dulden. Allah bedeutet Gott und Gott wird von den drei großen monotheistischen Strömungen - dem Judentum, dem Christentum und dem Islam - auf dieser Welt verehrt. Ich hoffe daher...”
Weiter kam er nicht. Aus den Augenwinkeln war Mouad schon während der Rede das merkwürdige Verhalten eines bärtigen Mannes aufgefallen, der in ein langes, weißes Gewand gehüllt war und eine dunkle Mütze trug. Er hatte sich zum Schluss ganz langsam erhoben.
Wie ein Blitz durchzuckte es Mouad:
,Das ist doch nicht etwa ein Attentat?’
Seine Gedanken rasten - was sollte er jetzt tun? Er wollte gerade einen Warnruf ausstoßen, da eskalierte die Situation.
Der Bärtige stürmte auf das Rednerpult zu und schrie dabei mit heiserer, sich überschlagender Stimme in gebrochenem, nur schwer verständlichem Arabisch mit französischem Akzent:
„Du liberales Schwein! Wie kannst du Allah so verleugnen? Nur der Islam ist die einzig wahre Religion! Fahr zur Hölle!”
Ein Messer blitzte auf, während er sich rasend schnell zielgerichtet in Richtung des Rektors bewegte und im Begriff war, sich auf ihn zu stürzen, um ihn schwer zu verletzen oder sogar zu ermorden.
Ahmad hatte die Situation ebenfalls ganz genau verfolgt. Er sprang auf, wirbelte herum, flog auf den Angreifer zu und packte die bereits erhobene Wurfhand. Mit ungeheurer Kraft drückte er sie zusammen. Ein Schmerzensschrei entfuhr dem Attentäter. Er ließ das Messer fallen. Mit einem Ruck drehte er sich um, riss sich los und hechtete die Treppe hinauf, verfolgt von Ahmad. Sie rannten durch die Eingangshalle, wobei Ahmad genau darauf acht gab, ob nicht irgendwo doch noch weitere Verschwörer lauerten.
Sie gelangten ins Freie. Der Weg wurde abschüssig und kurvenreich. Ahmad spurtete los. Sie erreichten eine Linksbiegung, auf deren rechter Seite sich eine Gruppe dornenbewehrter Sukkulenten erhob. Er traf auf den Flüchtenden, der durch seinen langen Umhang an schnellerem Laufen gehindert wurde. Ahmad trat ihm von hinten in eine Kniekehle. Der Mann stolperte. Durch den Schwung seiner Bewegung flog er in die Pflanzengruppe. Mit einem Satz war Ahmad über ihm, riss ihn aus dem Gestrüpp heraus, drehte ihn dabei auf den Bauch und ließ ihn aufs Pflaster knallen. Er bog die Arme des Attentäters gewaltsam nach hinten und hockte sich auf ihn. Der Mann stöhnte vor Schmerzen.
„Was für ein Schuft bist du, dass du es wagst, den Rektor der Universität anzugreifen? Antworte!”
Der begann plötzlich zu schreien, während Ahmad den Griff immer weiter verhärtete. Er griff mit einer freien Hand nach seiner Kehle und drückte diese zusammen. Das Schreien verstummte, ging in ein gepresstes Würgen und dann in ein heiseres Röcheln über.
„Bist du von den IS-Kämpfern?”, fauchte Ahmad seinen Gegner auf französisch an. „Los jetzt, rede, oder du stirbst.”
Ein überraschtes Zucken ging durch den Körper des Angreifers, ein „Ja” drang gurgelnd durch die zugequetschte Kehle.
„Was ist euer Auftrag?”
„Allah ist der Größte. Ich sage nichts mehr.” Ahmad musste daher drastischere Maßnahmen ergreifen, um den Willen dieses Mannes zu brechen.
Er drehte den Kopf des Angreifers ein wenig zur Seite, suchte und fand einen bestimmten Punkt in der Nackenwirbelsäule und begann, an dieser Stelle kräftig mit spitzen Fingern zu drücken. Durch die Verschiebung des Wirbels wurde der Mann mit extrem heftigen Schmerzen konfrontiert.
,Wenn man dies sorgfältig macht’, so erinnerte sich Ahmad an die Zeit seiner Nahkampfausbildung, die er vor der Mission in diesem Land absolvieren musste, ,wird er keine Schäden davontragen.’
Der Mann wimmerte. Er merkte rasch, dass sein Angreifer, wer der auch immer war, besser trainiert war als alle amerikanischen und israelischen Agenten, die er jemals getroffen hatte und zudem über Fähigkeiten verfügte, denen er nicht gewachsen war.
,Wenn mir jetzt die anderen Mitglieder meiner Kampfgruppe nicht bald zu Hilfe kommen, bin ich verloren’, dachte er in panischer Angst.
Aber er konnte dieser mörderischen Tortur nicht länger standhalten. Er glaubte zu spüren, wie sich hunderte von Dolchen langsam in seinen Rücken bohrten - eine solche Pein hatte er noch nicht einmal in seiner knallharten Ausbildung im Al-Qaida-Rekrutierungszentrum in Waziristan erlebt. Zusätzlich meinte er, in seinem Gehirn eine geheimnisvolle Stimme zu vernehmen, die ihm mit ungeheurer Gewalt und Brutalität verdeutlichte, dass er einen absolut qualvollen Tod sterben würde, wenn er nicht endlich die Wahrheit preisgeben würde. Sein Wille, Widerstand zu leisten, zerbrach - kollabierte vollständig.
„Das islamische Kalifat plant”, stöhnte er, „diesen Staat zu zerstören, indem alle gesellschaftlichen Gruppen unterwandert und die westlich orientierten Intellektuellen getötet oder in den Osten nach Rakka oder Mossul deportiert werden, um sie dort zur Zwangsarbeit einzusetzen.”
„Wie viele von euch Vierergruppen gibt es?”, zischte Ahmad.
„Viele Hunderte. Wir haben das Ziel, den Libanon durch Terror, politische Subversion und Stärkung der innenpolitischen Gegner zu zersetzen, beinahe erreicht. In den nächsten Tagen und Wochen”, und Knud meinte, bei dieser Aussage noch ein hämisches Gelächter in der Stimme dieses vollständig indoktrinierten Mannes herauszuhören, „wird dieser Staat aufhören, in seiner jetzigen Form zu existieren. Dies wird Teil unseres Herrschaftsbereiches und dem Kalifat hinzugefügt! Die ganze Welt wird sehr bald uns gehören!”
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