Die zierlichen Ohren, an denen zwei sternförmige Anhänger
baumelten, trugen noch ihren Teil dazu bei. Ihr schlanker und
wohlproportionierter Körper steckte in einer braungrün gefleckten
Kampfuniform, die auch Angehörige der Mördergilde bevorzugten.
Um den schlanken Hals schlang sich ein roter Seidenschal,
der sich vorteilhaft von der wild gemusterten Tarnjacke abhob.
Als Fußbekleidung zog sie anscheinend leichte Mokassins vor, wie
sie die hiesigen Waldläufer gern trugen und nicht die schweren
ledernen Stiefel, die normalerweise zu dieser Uniform gehörten.
An dem breiten Gürtel, der um ihre schlanke Taille geschnallt war,
hing der typische Entersäbel der Piraten, welcher in einem Futteral
aus Kudu leder vor Regen geschützt war.
Widrige Lebensumstände hatten ihr zu einem Platz auf dem
Sternenteufel verholfen und dafür war sie Kapitän Stern unendlich
dankbar. Auch dafür, dass er ihr so viel Vertrauen entgegenbrachte
und sie zur Waffenmeis terin des Sternenteufel ernannte, eine der
wichtigsten Positionen auf dem Piratenschiff. Ihre Herkunft umgab
ein dunkles Geheimnis, das sie dem Kapitän und seiner Gefährtin
Aurelia anvertraut hatte.
Sie gehörte inzwischen, nach nur wenigen Jahren auf dem Sternenteufel,
zu den engsten Vertrauten von Kapitän Stern. Für kein
Gold dieser Welt würde sie das Schiff verlassen wollen, das ihr
Heimat und Familie in einem geworden war.
»Ich bin auch der Meinung, dass wir uns das Gesagte erst einmal
in aller Ruhe durch den Kopf gehen lassen, danach wird der
Käpt’n schon wissen, was zu tun ist«, unterstützte sie mit ihrer
angenehmen Altstimme ihren Kapitän. »Oder was meint ihr, Jalinka?
«, wandte sie sich an den bisher stumm gebliebenen Schiffsmedicus
Doc Merith, von der Mannschaft auch respektvoll Skalpell genannt.
»In der Tat sind das unglaubliche Neuigkeiten, die erst einmal
verarbeitet werden müssen. Einfach unvorstellbar, dass sich dies
alles unbemerkt vor den Augen der Wächter der Gilde abgespielt
haben soll. Das verstehe ich nicht ganz. Sie haben doch ihre Spione überall
und hören sonst die Flöhe husten«, stellte sie trocken
fest und traf mit dieser Aussage einmal mehr ins Schwarze.
Die sechzigjährige Frau mit dem gelehrt wirkenden Aussehen
war eine logische Denkerin. Es war nicht ihre Art, lange um den
heißen Brei herumzureden, sondern sagte klar, was sie dachte. Sie
war von mittelgroßer Statur, etwas stabiler gebaut und vermittelte
den Typ einer fürsorglich mütterlichen Frau, was ihre kurzen grauen
Haare noch betonten. Mund und Ohren waren wie bei ihrem
Volk nicht unüblich ein wenig groß geraten. Hierzu passte auch die
nicht gerade kleine Nase, die ein wenig spitz nach vorn ragte. Der
rundliche Kopf saß auf einem kurzen, schon leicht faltigen Hals.
Der Medicus war bereits auf eine Sehhilfe angewiesen und trug
ein sehenswertes Spektrakel. Dieses Ungetüm hatte sie von einem
hiesigen Uhrmacher in Fuxina, der zusätzlich noch ein Spektrakelgeschäft
betrieb, zu einem sündhaften teuren Preis erstanden. Unbestritten
brachte es die blassblauen Augen gut zu Geltung, denn
es verlieh ihrem Blick etwas Scharfes und Durchbohrendes, was
manche ihrer Gesprächspartner als sehr unangenehm empfanden.
Gewöhnlich kleidete sie sich schlicht und trug nur ein weißes
weit geschnittenes Kostüm, worauf deutlich das Symbol der Heilkundigen
angebracht war, damit für jeden ihr angesehener Stand
ersichtlich war. Zum heutigen Landgang hatte sie ausnahmsweise
unauffällige Kleidung angezogen und sich in eine einfache blaue
Matrosenho se aus festem Drillstoff gezwängt. Dazu hatte sie eine
schlichte Bluse der gleichen Farbe gewählt. Einfache Schuhe aus
robustem Kuduleder machten die schlichte Aufmachung komplett.
Im Hüftgürtel aus Büffelmufftileder steckte ein kleiner Dolch in
einer kurzen Scheide aus Drachenbaumholz. Doch das Wichtigste
ihres Berufsstandes befand sich in einem kleinen Rucksack neben
ihr, ohne den sie nie das Schiff verließ. Sie stammte von Greenland
und die Bewohner dieser Welt waren in der medizinischen
Kunst den meisten Welten weit voraus, denn bereits ihre Vorfahren
übten den Beruf der Heilkunde aus.
Unglückliche Lebensumstände führten die lebenslustige und
erfahrene Frau von ihrem Heimatplaneten fort. Nach Jahren im
Dienst eines Handelsmagnaten war sie bei der Eroberung der
Galeone , auf der sie ihre schlecht bezahlte Arbeit verrichtete, von
Kapitän Stern vor die Wahl gestellt worden. Entweder als Schiffsmedicus
bei ihm anzuheuern oder sich auf einer nahe gelegenen
Welt aussetzen zu lassen. Weil ihr der Piratenkapitän respektvoll
sowie höflich entgegentrat und ihr dazu weitgehend freie Hand
einräumte, entschied sie sich für Leben und Arbeiten an Bord des
Sternenteufels. Bis heute hatte sie ihre Entscheidung nicht bereut,
denn das dunkle Geheimnis, das sie in sich verbarg, war auf diesem
Schiff gut gehütet.
Hieronymus Stern nickte zustimmend.
»Wie immer habt ihr den richtigen Rat, Doc. Ich werde einige
Erkundigungen einziehen und mich umhören. Schließlich habe ich
gute Verbindungen in Fuxina, die ich zu nutzen gedenke. MayLi
wird mit Sicherheit etwas wissen, auch wenn es sich nur um Gerüchte
handeln sollte. Wir wissen ja, so manche Zunge löst sich in
ihrem Haus der Freude und plaudert über Dinge, die sie woanders nie
ausgesprochen hätte. Ich werde sie noch heute Nacht aufsuchen,
denn wenn es stimmt, was Mondlicht und der Barde uns mitgeteilt
haben, wird es nicht mehr lange dauern, bis die Rotröcke zuschlagen.
Die JIXX-Spiele dauern nur noch wenige Tage und wenn sie
zu Ende sind, werden diese Darq ihre üblen Pläne in die Tat umsetzen.
Vorher werden sie sich hüten, weil jetzt die ganzen Spieler und
Besucher aus allen Regionen des Arms hier versammelt sind.«
Die beiden Pangäer blickten hoffnungsvoll auf und nickten
dann zustimmend. »Ja, ich stimme euch zu, Kapitän. Nutzt eure
Kontakte, vielleicht könnt ihr noch mehr in Erfahrung bringen als
das, was wir bereits von Murania gehört haben.«Moon’dan erhob
sich und zog ihren Gefährten Clovis mit empor.
»Das Wichtigste habe ich euch mitgeteilt und ich bin guter
Dinge, was die weitere Entwicklung betrifft. Wir werden sicherlich
Unterstützung bekommen. Auch von einigen Einwohnern Fuxinas
und vielen Spielern, die diese Welt nicht kampflos aufgeben wollen.
Nur müssen wir vorsi chtig sein und dürfen niemanden einweihen,
dessen wir uns nicht ganz sicher sind, denn Augen und Ohren
dieser Bande sind überall anzutreffen. Man weiß nie, wer gerade
am Nebentisch lauscht. Wir sollten uns morgen nochmals treffen,
um weitere Informationen auszutauschen und einen vorläufigen
Plan zu entwerfen. Seid ihr damit einverstanden, Kapitän?«
Hieronymus Stern hatte sich ebenfalls erhoben und überdachte
dabei kurz das Gesagte, bevor er antwortete.
»Ja, so sollten wir es machen. Wir werden uns morgen in eurer
Hütte treffen, Mondlicht. Den genauen Zeitpunkt kann ein Botenwiesel
überbringen, weil ich nicht genau sagen kann bis wann
ich meine Erkundigungen abgeschlossen habe.«
»Gut, ich werde eure Nachricht abwarten, Kapitän. Habt viel
Erfolg und bis morgen.« Mit diesen Worten verabschiedete sich
Mondlicht von Stern, nickte den beiden Frauen zu und verließ
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