kommende Nacht erleben. So ist das Gesetz der Natur, dass nur
die Glücklichen und Gerissenen, die Vorsichtigen und Wachsamen,
den ständigen Kampf ums Dasein überstehen. So lange, wie Glück
und Vorsicht andauerten.
In Fuxina, der Hauptstadt Aluriens, kehrten die letzten unverdrossenen
Teilnehmer des nächtlichen Spiels in ihre Herbergen
zurück, um ihren wohlverdienten Schlaf zu halten. Unterdessen
erwachten bereits die ersten Einwohner aus ihren Wonne- oder
Albträumen, um sich auf ihr kommendes Tagwerk vorzubereiten.
Nichts deutete darauf hin, dass dieser Tag anders werden würde
als die vorherigen. Jedoch lag eine deutlich spürbare Spannung in
der Luft, ein Knistern wie vor einem gewaltigen Gewitter.
Auf dem geräumigen Marktplatz hatte sich wie fast immer ein
ansehnliches Häuflein müde wirkender Spieler eingefunden. Lebhaft
diskutierten sie bereits die Ereignisse der letzten Nacht während
sie ganz nebenbei ihre täglichen Besorgungen erledigten. Der
Basar belebte sich, doch erst in den Abendstunden würde er vor
Geschäftigkeit brummen. Tagsüber versorgten sich die Besucher
des Marktes mit den Notwendigkeiten, die ein Alltag so mit sich
bringt. Denn ein hungriger Magen verlangt nach Nahrung, also
musste frisches Brot, Gemüse, Fleisch und Fisch herbeigeschafft
werden. Gewürze durften nicht fehlen und natürlich nicht das
kräftige dunkle Bier, für das Alurien im ganzen bewohnten Arm
bekannt war und das zu jeder Tageszeit getrunken wurde.
Die ersten Händler hatten in den frühen Morgenstunden ihre
Stände aufgebaut oder besetzt und breiteten ihr vielfältiges Angebot
an Waren aus. Unzählige Düfte erfüllten rasch die Luft, um
menschliche und fremde Nasen schnell an die Grenze ihrer Unterscheidungsfähigkeit
zu bringen. Über offenen Feuern drehten sich
mächtige Bratspieße, auf denen aufgesteckte kleine Büffelmufftis in
der Hitze langsam garten. An anderen Ständen glänzten Obst und
Gemüse in kräftigen Farben und verleiteten den hungrig Suchenden
zum Verweilen und Probieren. Ansehnliche und hässliche
Marktweiber priesen ihre Ware und versuchten gleichzeitig, die der
Konkurrenz schlecht zu reden. Der zunehmende Lärm von unzähligen
schreienden Händlern, keifenden Marktfrauen sowie den
immer anwesenden und herumjohlenden Bettelkindern machte es
fast unmöglich, ein normales Gespräch zu führen.
Im Zentrum des Basars reckte ein titanischer Drachenbaum seinen
Stamm fast fünfhundert Fuß in den Himmel wobei er sein
Astwerk wie einen riesigen Baldachin über einen großen Teil des
Marktes spreizte. Damit gewährte er den darunterliegenden Ständen
Schutz vor Regen und Sonnenlicht.
Es hieß, er sei schon mindestens tausendfünfhundert Jahre
alt, ge pflanzt von einem der Gründer Fuxinas. Er hatte sich zu
einem wahren Giganten entwickelt und wegen der Größe seinen
passenden Namen bekommen – Großer Drache oder auch Big Giant .
Diesen Namen verdiente der Baum wahrhaftig. Er, der mehr von
der Geschichte Fuxinas zu berichten wüsste als jedes andere noch
existierende Lebewesen dieses Planeten.
Langsam näherte sich von der westlichen Seite der Stadtmauer
herkommend eine männliche Gestalt der Seitengasse, die zum
Monolithen führte, der auch Das Orakel genannt wurde. Sie war von
kräftiger Statur und mochte vielleicht sechseinviertel Fuß groß
sein. Auf dem Kopf trug sie einen dunklen Dreispitz, wie er
bei Piraten gewöhnlich anzutreffen war. Unter einer leicht verblichenen
dunklen Weste war ein blaufarbenes Hemd zu sehen, dessen obere Knöpfe fehlten,
wodurch es eine reichlich behaarte Brust offenbarte. Sowohl ihr Kopf- als auch
Brustbewuchs schien nicht mehr dunkel zu sein, denn etliche silberne Fäden
durchzogen das Haupthaar und gaben ihr das Aussehen einer silbern schimmernden
Löwenmähne.
Daraus konnte ein Betrachter schließen, dass diese Person nicht
mehr in ihren jungen Jahren stand und doch wirkte sie seltsam
zeitlos. Ein objektiver Beobachter würde diesen Mann, denn um
einen solchen handelte es sich offensichtlich, um die fünfzig Jahre
schätzen, wohl eher darüber als darunter. Die Haut wirkte wettergegerbt
als ob sie zu viel Sonnenlicht ausgesetzt worden war
und somit die typische Farbe d erSternenfahrer aufwies. Die derbe
braune Hose saß straff am sehnigen Körper und wurde von
einem breiten Gürtel um die immer noch schmalen Hüften gehalten.
Seine Beine steckten in halbhohen weichen Lederstiefeln, die
unterhalb der Knie in umgeklappte Stulpen endeten, welche an
der Innenseite keilförmig eingekerbt waren. Der auffällige Gürtel
war aus einem unbekannten Leder gefertigt und mit etlichen
kupferfarbenen Metallplättchen verziert, wobei die Schnalle selbst
aus reinem Silber zu bestehen schien. Seitlich des Gürtels befand
sich eine Dolchscheide. Nach Farbe und Maserung war sie aus
seltenem Orcaholz und gut einen Fuß lang. Aus ihr ragte der auffällige
Knauf einer Waffe, auf dem ständig die rechte Hand des
Mannes ruhte. Es schien eine alte Gewohnheit in diesem Verhalten
zu liegen. So als ob der lange Dolch, fast schon ein Kurzschwert,
zusätzliche Sicherheit gab. Auch möglich, dass er aus langer Erfahrung
heraus einfach darauf vorbereitet sein wollte, auf eine Gefahr
augenblicklich reagieren zu können. Denn sein Blick schweifte
ständig wachsam umher und betrachtete das Treiben um sich herum
mit dem milden Verstän dnis eines erfahrenen Reisenden. Seine
Hände waren groß und kräftig, ohne jedoch prankenhaft zu
wirken. Deutliche Schwielen zeichneten sich in den Handflächen
ab, die den Eindruck vermittelten als könnten sie kraftvoll zupacken
und eine Waffe sicher führen. Dennoch wirkten die langen
Finger durchaus feinnervig, so als verständen sie es ebenso mit
filigraneren Dingen umzugehen, als Dolch oder Schwert zu halten.
Über seiner linken Schulter hing an einem breiten Riemen eine
braune Ledertasche, die augenscheinlich aus der gleichen Haut wie
der Gürtel gefertigt war und gut gefüllt zu sein schien. Auffällig
an ihm war nicht nur seine halblange Mähne, in der auffällig silberne
Strähnen schimmerten, sondern die schwarze Augenkappe,
die sein rechtes Auge abdeckte während das linke Auge einen tiefen
Braunton offenbarte.
Sein Gesicht war, abgesehen von der Abdeckung des Auges,
durchaus ansehnlich und wurde von einem dunklen Dreitagebart
bedeckt. Der länglich geformte Kopf passte gut zu der kräftigen
jedoch nicht allzu großen Nase. Darunter befand sich ein mittelgroßer
Mund, der von samtweichen Lippen umrandet wurde,
die so mancher Lady Herzklopfen verursacht haben dürfte. Ab
und an verzog er sein Gesicht zu einem Lächeln und ließ dabei
zwei Reihen leicht bräunlich verfärbter Zähne erkennen. Möglicherweise
war er Anhänger dieser süchtig machenden Räucherstäbchen,
die neuerdings immer beliebter in Fuxina wurden. Seine
ungeschmückten Ohren, etwas ungewöhnlich für einen Sternenfahrer ,
schmiegten sich dicht an den Kopf und wurden vom Dreispitz
teilweise leicht verdeckt. Alles in allem wirkte sein Gesichtsausdruck
offen, fast freundl ich. Nur leichte Neugier und oberflächliches
Interesse am Treiben um sich herum waren dem einäugigen
Blick zu entnehmen. Ab und zu nickte er grüßend zu einem Bekannten
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