ihr, dass sie von einer kleinen Gruppe Vermummter beobachtet
wurden, die sie langsam einkreisten.
Es waren vielleicht drei oder vier in dunklen Gewändern gekleidete
Männer, die langsam aber sicher immer näher rückten. Alle
trugen eine Art Turban, der ihre Häupter umschlang. Eine schalartige
Verlängerung verdeckte ihre Gesichter und ließ nur die schmalen
Augenschlitze frei. Unauffällig hatten sie eine Hand unter dem
Gewand verborgen. Sie schienen nur auf den richtigen Augenblick
zu warten. Plötzlich und unerwartet erhob sich am hinteren Ende
der Pier, genau dort wo die beiden Klipper lagen, großer Lärm.
Getöse und heftiges Geschrei waren so laut zu hören, dass sich alle
Augen auf den Ursprung des Tumults richteten.
Auch Aurelia und Leutnant Velaro hielten inne. Beide wandten
sich nach hinten, um nach der Ursache der Unruhe zu sehen.
Erstmals überkam Aurelia eine leise Vorahnung kommenden Unheils
und fluchte still vor sich hin. Sie hatte ihre Waffe an Bord
gelassen, eine gefährliche Unachtsamkeit. Denn mit dem Blick der
erfahrenen Kämpferin bemerkte sie jetzt die vier gleich gekleideten
Männer, die sich ihnen verdächtig schnell näherten und auf einmal
lange Klingen sowie schwere Dolche in den Fäusten hielten.
»Überfall, Leutnant, macht euch kampfbereit«, rief sie ihrem
Begleiter laut zu. Noch während sie dem unerfahrenen Rotrock
die Warnung zurief, zog sie bereits Meuchling aus der Scheide.
Der Adjutant reagierte schnell und versuchte rasch, sein Rapier
zu zieh en, doch einer der Angreifer war schneller. Noch bevor
der Leutnant einen hastigen Abwehrversuch unternehmen konnte,
hatte ihn der Mann bereits erreicht. Mit einem mächtigen Stich
stieß er ihm sein Messer in den Leib und aufstöhnend brach der
junge Mann zusammen.
Das Messer des Attentäters noch im Körper, stürzte Ve laro zu
Boden, wobei er im Fallen dem Angreifer die Waffe entriss. Von
den Umstehenden hatte niemand etwas bemerkt oder hielt sich
wohlweislich aus dem Geschehen heraus. Somit stand Aurelia auf
einmal allein vier Gegnern gegenüber. Nein, es waren nur noch
drei, denn dem Angreifer, dem es gelungen war den Leutnant niederzustechen,
schlitzte sie aus einer blitzschnellen Drehbewegung
heraus die Kehle auf. Mit einem gurgelnden Schrei auf den Lippen
stürzte er neben seinem Opfer zu Boden und alle sahen sein Blut
von Aurelias Dolch tropfen. Meuchling hatte nach langer Zeit wieder
Gelegenheit bekommen, seine außergewöhnliche Schärfe unter
Beweis zu stellen. Erschrocken wegen der heftigen Gegenwehr zogen
sich die übrigen Halunken für einen Moment zurück.
»Gebt uns die Tasche, dann verschonen wir euer Leben, Kapitän«, rief ihr
der vermutliche Anführer der Bande zu. Unterde ssen
hatte sich einer seiner Leute ein Stück weit zurückgezogen, dabei
magische Worte gemurmelt und eindeutige Bewegungen mit der
Hand in ihre Richtung vollführt.
»Nur über meine Leiche«, schrie Aurelia kampfesmutig zurück.
»Ihr müsst euch schon selber holen, was ihr von mir haben wollt.«
Drohend hob sie den langen Dolch, fast schon ein kurzes
Schwert und machte dabei einen Schritt nach hinten.
»Das werden wir, Kapitän. Ihr habt keine Chance, denn niemand
wird euch zu Hilfe kommen. Gleich wird euch ein Zauber
lähmen, wenn ihr mir nicht sofort die Tasche aushändigt.«
Verzweifelt warf Aurelia einen schnellen Blick über die Schulter.
Vielleicht hatte die Schiffswache den Tumult bemerkt und de’Soto
kam ihr bereits mit Verstärkung zu Hilfe. Dieser Überfall wirkte
wie ein abgekartetes Spiel, doch wer auch immer die Angreifer
waren, sie durfte die Artefakte nicht in ihre Hände fallen lassen.
Wenn sie nur an das Rapier des Leutnants kam, dann hatte sie
gute Aussichten, den Überfall zu ihren Gunsten zu entscheiden.
Denn sie war eine hervorragende Fechterin und würde es sicher
mit drei Männern aufnehmen, die nur mit langen Messern bewaffnet
waren. Sollte sie allerdings durch einen Zauber gelähmt
werden, war sie verloren.
»Wer seid ihr? In wessen Auftrag handelt ihr?«, versuchte sie
Zeit zu gewinnen und trat einen weiteren Schritt zurück. Damit
kam sie näher zur Wasserkante, »Redet nicht, gebt uns die Tasche«,
forderte der Anführer mit drohender Stimme und streckte dabei
befehlend seinen Arm aus.
»Sagt mir erst, woher ihr wisst, was ich bei mir habe«, versuchte
Aurelia erneut dem Vermummten eine Antwort zu entlocken.
»Nun, Kapitän, ich würde es euch sogar sagen, w enn ihr, nachdem
wir uns der Tasche bemächtigt haben, anschließend nur noch
ein kalter Leichnam wäret. Leider haben Lebende die schlechte
Angewohnheit bei unpassender Gelegenheit zu viel zu reden. Also
ist es besser, ihr wisst von nichts. Gebt mir endlich die Tasche,
bevor es zu spät für euch ist.«
Mit seiner Aussage hatte der Vermummte unbesonnen etwas
Wichtiges verraten, nämlich, dass man sie nicht töten wollte oder
durfte, wofür auch der angedrohte Einsatz eines Lähmungszaubers
sprach. Im Gegenteil, ihr Leben musste wohl auf jeden Fall
verschont werden, was wiederum gewisse Rückschlüsse auf den
Auftraggeber zuließ, über den sie sich Gedanken machen würde,
sobald sie wieder in der Sicherheit ihres Schiffes war.
Der Leutnant lag inzwischen zu weit von ihr entfernt, als das sie
noch eine Chance sah, an sein Rapier zu kommen. So hielt sie den
überlangen Dolch wie eine Schwertkämpferin vor sich, um ihre
Gegner auf Distanz zu halten. Plötzlich hob der Angreifer, der
sich ein paar Schritte zurückgezogen hatte, seine Arme und rief
Worte einer fremden Sprache, um dabei gleichzeitig einen Zauberspruch
auf den Kapitän zu schleudern.
›Verflucht, ein Magier, verdammter Darq, gegen Zauberei bin
ich machtlos‹ dachte Aurelia und biss die Zähne zusammen. Gleich
würde sie gelähmt zu Boden sinken, um dann von diesen Halunken ausgeraubt
zu werden. In ihrer Wut verspürte sie kaum das leichte Vibrieren, das von
Meuchling in ihrer Faust ausging. Ein farbiges Irrlicht umspielte für einen
Wimpernschlag die Klinge, als diese den magischen Angriff auf seinen
Ausgangspunkt zurückschleuderte.
Aurelia traute ihren Augen nicht, als der Magier auf
einmal zusammenbrach und hilflos zu Boden sank. Maßlos überrascht
blickte auch der Anführer der Bande auf seinen regungslosen
Kampfgenossen, wobei er lauthals fluchte.
»Los, wir verschwinden, so sollte das nicht laufen. Man hat uns
nicht die Wahrheit gesagt, wir hauen ab.«
Er sah den Auftrag anscheinend als gescheitert an, doch was
nun folgte, war an brutaler Grausamkeit nicht zu überbieten. Er
beugte sich hinab und durchtrennte mit einem einzigen Schnitt die
Kehle seines gelähmten Mitstreiters. Fassungslos und mit angstgeweiteten
Augen hatte der letzte der Schurken zugesehen, wie sein
Anführer diese unmenschliche Tat verübte. Entsetzt schrie er auf,
drehte sich um und verschwand mit wehendem Schal im Gewirr
der Lagerschuppen. Hasserfüllt blickte der Mörder Aurelia ins
Gesicht. Dabei wischte er den blutigen Dolch seelenruhig am Gewand
des Toten ab und stieß hervor:
»Diesmal hat es nicht geklappt, Kapitän Lethos. Doch seid gewiss,
wir haben uns nicht das letzte Mal getroffen.«
Nach diesen Worten erhob er sich und tauchte im entstandenen
Getümmel unter. Zurück blieben zwei blutüberströmte Leichen sowie
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