Oder vielleicht das Monte - Carlo - mäßige Luxusobjekt mit einer Garage, so groß wie das Reihenhäuschen meiner Eltern?
Das Taxi hält am Straßenrand. Aha, ein schneeweißes Anwesen mit gigantischen Ausmaßen. Ich bezahle.
»Einen schönen Tag noch«, wünscht der Fahrer mir mit einem freundlichen Lächeln, bevor ich die Tür hinter mir zuwerfe.
Das riesige Grundstück ist vollständig von einer weißen Mauer umgeben. Ich stehe vor dem ansehnlichen, verschlossenen Tor und läute.
»Ja bitte?«, ertönt eine Männerstimme durch die Gegensprechanlage.
Ich räuspere mich. Wenn ich aufgeregt bin, habe ich immer einen Frosch im Hals und meine Hände sind auch schon ganz feucht.
»Mein Name ist Melissa Bogner. Ich habe einen Termin bei Frau von Degenhausen.«
»Nehmen Sie das Personaltor. Rechts! «, fordert der Mann. Ich schaue mich um und entdecke ein kleines Eingangstor.
Ein surrendes Geräusch ertönt. Ich eile zum besagten Eingang und drücke gegen die geschmiedete Eisentür, die sich sogleich öffnet.
Ich husche hinein. Wow, ein Golfplatz, direkt vor dem Haus. Nur sehe ich gar keine Löcher. Komisch. Mitten durch diesen lochfreien Golfplatz führt eine gepflasterte Auffahrt, umsäumt von einigen Bäumen. Überall gibt es hübsche Blumenbeete. Alles ist penibel gepflegt. Der gepflasterte Vorplatz ist von akkurat beschnittenen Büschen verschiedenster Formen eingefasst. Die müssen einen Gärtner haben, der sich den ganzen Tag ausschließlich damit befasst. In der Mitte plätschert ein niedlicher Springbrunnen in Form einer Muschel (oder so was in der Art).
Von Architektur habe ich zwar keine Ahnung, aber diese Villa mit dem kolossalen, säulenüberdachten Eingangsbereich, kommt mir vor wie eine Kreuzung aus dem römischen Pantheon und diesen alten Herrenhäusern in Fackeln im Sturm .
Im nächsten Moment öffnet sich die Eingangstür und vor mir steht ein…
Butler!?
Jedenfalls sieht dieser Frackträger mit den schneeweißen Handschuhen aus, wie ein typischer James oder Niles oder wie sie alle heißen.
»Guten Tag«, begrüße ich den Butler. Er mustert mich unaufdringlich und erwidert meine Begrüßung. Ich schätze ihn auf Ende fünfzig. Er trägt den gleichen Haarschnitt wie Howard Carpendale und sieht dem Sänger auch noch zum Verwechseln ähnlich. Was mich für einen Augenblick mutmaßen lässt, der Schlagerstar könnte einem Zweitjob nachgehen, von dem niemand etwas weiß.
»Folgen Sie mir.«
Ich marschiere hinter ihm her und erschaudere zugleich vor dem Hall meiner eigenen Absätze, auf dem steinernen Fußboden der riesigen Eingangshalle. Sofort bemühe ich mich, nicht mehr ganz so fest aufzutreten, was total bescheuert aussehen muss, da ich ihm nun auf Zehenspitzen in den ersten Stock folge. Aber immerhin fast lautlos. Oben angekommen, stehen wir in einer Galerie, von wo aus man hinunter in den Eingangsbereich schauen kann.
Platzmangel herrscht in diesem Haus jedenfalls nicht. Und alles ist so ordentlich und auf Hochglanz poliert. Es ist beeindruckend. Ja, ich glaube, hier könnte ich mich wohlfühlen.
Ich schaue durch eine Reihe bodentiefer Sprossenfenster nach draußen.
Mannomann, hinterm Haus noch ein Golfplatz!? Manche Leute übertreiben es aber wirklich. Der hier hat sogar Löcher.
Endlich bleibt Howard vor einer Tür stehen und klopft an.
»Herein«, ertönt die mir im Gedächtnis gebliebene Frauenstimme vom Telefon. Mittlerweile zittere ich vor Nervosität. Immerhin stehe ich kurz davor, mich hier für einen Superjob zu bewerben. Einen Augenblick lang plagen mich Zweifel, ob ich das Richtige tue.
Ehrlich gesagt, habe ich überhaupt keine Erfahrungen im Bereich der häuslichen Kinderbetreuung. Schließlich bin ich nur eine stinknormale Kindergärtnerin ohne Referenzen oder Empfehlungsschreiben von den Pitt - Jolies oder den Beckhams. Nicht mal von diversen ansässigen Promieltern in dieser Gegend. Ich meine, haben die meine Unterlagen richtig überprüft, bevor sie mich hierher bestellt haben?
Katholische Kindertagesstätte-Meerbusch-Osterrath . Die schmeißen mich doch hochkant wieder raus.
»Die gnädige Frau erwartet Sie nun«, näselt Howard .
»Kommen Sie rein«, sagt die wasserstoffblond gefärbte Grazie, die vor einer Fensterfront an einem Schreibtisch sitzt. Howard schließt die Tür. Ich trete ein und gleichzeitig versagt mein Deo. Dabei scheint das ganze Haus klimatisiert zu sein. Die Frau am Schreibtisch sitzt schweigend und regungslos auf ihrem gepolsterten Bürostuhl. Nur ihre Blicke verfolgen mich, als ich mich ihr unsicher nähere.
»Guten Morgen, mein Name ist Melissa Bogner. Ich möchte mich bewerben. Als Kindermädchen.«
Jetzt betrachtet sie mich intensiv mit ihren eisblauen Augen, die von einem Kranz megalanger falscher Wimpern umrahmt sind. Grob geschätzt ist sie Ende Dreißig. Sie hat ein Cindy Crawford Schönheits - Mal über der rechten Oberlippe. Zarte Krähenfüße machen sich um die Augenpartie bemerkbar. Sie wirkt schlank und durchtrainiert. Und definitiv hat ein Chirurg bei ihrer Oberweite nachgeholfen. Vielleicht auch bei den Lippen. Jetzt erst fällt mir auf, dass sie einen pinkfarbenen Jogginganzug aus Nicki trägt und sportliche Sneakers. Sie sieht aus, wie diese Yoga - , Pilates - oder Fitness - Tussis aus dem amerikanischen Frühstücksfernsehen, die den ganzen Tag nur Rohkost futtern, um ihren Körper vor Übersäuerung und demzufolge vor Cellulite zu schützen. Zum Glück bin ich von Natur aus ein basischer Typ und habe keine Probleme mit Orangenhaut.
Mit einem Mal verzieht sie ihre Lippen zu einem Schmollen.
»Schade…«, fängt sie mit ihrer tiefen, leicht heiser klingenden Stimme an, »…ich hatte gehofft, Sie wären mindestens zwanzig Kilo übergewichtig.«
???
Ich gaffe sie begriffsstutzig an.
Sie mustert mich bis ins kleinste Detail.
»Setzen Sie sich Frau…wie war doch gleich ihr Name?«
Während sie einen vor ihr liegenden Ordner öffnet, schiebe ich eilig meine restlichen Unterlagen zwischen ihre manikürten Finger.
»Bogner. Melissa Bogner.«
»Ich bin Freifrau von Degenhausen. Man nennt mich Claudia. « Dabei spricht sie ihren Namen auf französisch - distinguierte Weise aus, sodass es klingt wie Klodia . Nicht, dass ich sie so nennen dürfte.
»Für das Personal bin ich selbstverständlich die gnädige Frau.«
Sie blättert meine Unterlagen durch. Dann sagt sie in richtungweisendem Ton: »Mein Mann Arndt hat kein Mitspracherecht, was die Wahl der Bewerberinnen für die Stelle der Nanny betrifft. Ich allein bestimme, wer am Ende diese Stelle bekommt. Ich drücke es mal so aus: Das Urteilsvermögen meines Mannes, ist in dieser Angelegenheit deutlich getrübt.«
»Aha, ich verstehe«, entgegne ich. Dabei habe ich gerade keinen blassen Schimmer, worauf sie hinaus will; falls sie überhaupt auf irgendetwas hinaus will. Aber ich bemühe mich, ein ernstes, verständnisvolles Gesicht aufzusetzen, um nicht allzu dämlich auf sie zu wirken.
Wieder blättert sie. Diesmal überfliegt sie mein überdurchschnittliches Abschlusszeugnis.
»Wollen Sie diese Stelle wirklich haben?«, fragt sie mit energischer Stimme.
»Ja, sehr gerne« Und wie . Ich nicke tatkräftig.
»Nichts gegen Sie persönlich, Frau Bogner. Ihr Abschluss ist hervorragend und die Beurteilungen sind ausgezeichnet, aber so wie Sie aussehen, kann ich Sie leider nicht einstellen.«
»Darf ich fragen warum?« Ich bin ganz und gar perplex über ihre Aussage.
»Meine Tochter Pauline und ich, sind die einzigen weiblichen Personen in diesem Haus«, fängt sie an. »Sämtliches Personal vom Koch bis zum Gärtner ist männlich. Und das ist auch gut so. Dann kommt mein Gatte wenigstens nicht noch mal auf dumme Gedanken.«
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