»Das geht mir genauso, bei unseren Doppelkopf-Abenden früher hat auch immer jeder gesehen, wenn ich gute Karten hatte. Ich kann mich dabei nicht verstellen.«
»Was für einen Kriminalen aber keine gute Einrichtung ist. Da brauchst du schon ein Pokerface, wenn du einen schweren Jungen vor dir hast.«
Hell schwang seinen Finger über dem Teller und schüttelte den Kopf. Er musste erst kauen, bevor er protestierte. »Das ist was anderes. Das kann ich sehr wohl, das weißt du.«
»Naja, wir werden sehen, wie du dich beim Pokern schlägst.«
Mit Glas Wein Nummer zwei setzten sie sich später noch vor das Wohnmobil auf die Stühle, die Hell doch noch eilig aus der Garage hervorgeholt hatte. Es folgte Glas Nummer drei und vier. Im Hintergrund lief das Autoradio. Der Wettermann versprach für den kommenden Tag Temperaturen bis dreißig Grad.
Sie planten, am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe aufzustehen, eine Kleinigkeit zu frühstücken und sich dann auf den Weg nach Dänemark zu machen. Franziska äußerte den Wunsch, noch nach Flensburg zu fahren, bevor sie die Grenze überschreiten würden.
Zufrieden mit den Planungen für den nächsten Tag kippte sich Hell zum Abschluss den letzten Schluck Wein auf die Bermuda-Shorts.
*
Hvide Sande
Die Nacht legte sich wie ein schützendes Tuch über ihre Aktivitäten. Mit ausgeschalteten Scheinwerfern näherte sich ein Jeep der alten Fischerkate, der Fahrer kannte den holprigen Weg auch ohne Licht. Er stellte den Motor aus, kurbelte das Fenster ganz herunter und horchte in die Nacht hinein.
Nichts. Kein Laut war zu vernehmen. Selbst der Wind, der den ganzen Tag über die Werbefahnen vor seinem Geschäft in hektische Aufregung versetzt hatte, flaute mehr und mehr ab. Er öffnete die Autotür. Aus der Kate war kein Laut zu vernehmen. Eigentlich hatte er erwartet, einer der Hunde würde anschlagen und die anderen würden ins Konzert einfallen. Doch noch blieb alles ruhig.
Kjell Kloft wartete auf Merit Holzheuser. Sie hatte mit den Tierschützern aus Deutschland das letzte Telefonat geführt und wusste genau, welcher der Hunde heute die Reise ins sichere Ausland antreten würde. Drei Hunde hatten sie in der Kate in Sicherheit gebracht, sie waren von der Polizei als gefährlich eingestuft und ihnen drohte der nahe Tod. Zu dem schwarzen Retriever, der schon seit einigen Tagen in der Kate ausharrte, hatten sich noch ein kleiner Mischling und ein Schäferhund gesellt. Die Mischlingshündin, die kaum größer war als ein ausgewachsener Dackel, hatte einen aufdringlichen Rüden in die Schranken gewiesen. Als dieser sie daraufhin attackierte, zwickte sie ihn einige Male in die Schnauze. Dieser Vorfall wäre wahrscheinlich in Deutschland über die Hundebesitzer oder, wenn wirklich Tierarztkosten anfielen, über die Haftpflichtversicherung abgewickelt worden.
Doch in Dänemark musste jeder Beißvorfall der Polizei gemeldet werden. Seit dem Jahr 2010 erlaubte ein Gesetz der Polizei, die Hunde, die an solchen Vorfällen beteiligt waren, zu konfiszieren und schlimmstenfalls einschläfern zu lassen. Die Besitzer standen dabei und mussten tatenlos zusehen, wenn ihre Familienmitglieder aus dem Haus geführt wurden und im Polizeiwagen verschwanden. Oft für immer. Hier gab es Tränen bei den Kindern, Wut und Hilflosigkeit unter den betroffenen Erwachsenen. Dagegen wandten sich die dänischen Tierschützer. Sie griffen ein, bevor die Polizei sich der Tiere bemächtigen konnte, brachten sie an einem geheimen Ort in Sicherheit, um sie dann in Nacht– und Nebelaktionen über die Grenze nach Deutschland zu bringen. Sie riskierten dabei sehr viel. Die Polizei war den unerkannt tätigen Dänen meist einen Schritt hintenan. Um nicht entdeckt zu werden, wurden diese Transporte meist bei Neumond durchgeführt.
Doch dieses Mal mussten sie eine Ausnahme machen. Mit drei Hunden in der Kate war die Gefahr, dass jemand zufällig das Bellen der Hunde hören und die Polizei informieren würde, zu groß, deshalb mussten sie handeln.
Kloft hörte ein Motorengeräusch, das sich auf dem gleichen Weg näherte, auf dem auch er gekommen war. Er erkannte den alten Ford Bronco von Merit Holzheuser, der kurze Zeit später hinter seinem Fahrzeug hielt. Die zierliche Frau sprang aus dem Fahrerhaus. Neben dem großen Fahrzeug wirkte sie noch zerbrechlicher, als sie es sowieso schon war.
»Hallo Kjell, schön, dass alles so gut klappt«, sagte sie und umarmte ihren Freund.
»Welchen Hund nehmen sie auf?«
»Den kleinen Mischling und den Schäferhund. Der Retriever muss noch warten. Leider.«
Sie hatten den Schäferhund erst in der letzten Nacht hierher gebracht. Es war wie so oft, aus einer harmlosen Rauferei wurde ein Beißvorfall. Der Hund, ebenfalls ein Familienhund, der zusammen mit Katzen und Kaninchen sowie drei kleinen Kindern lebte, wurde stigmatisiert und sollte eingeschläfert werden. Auch hier griffen die Venner ein.
Es war nicht so, dass in jedem Ort in Dänemark die Tierschützer in den Untergrund gingen, um Hunde zu retten, es gab sie nur hier und da. An manchen Orten passierte nichts, doch hier in Hvide Sande waren einige von ihnen aktiv.
Der abnehmende Mond versteckte sich hinter einer Wolke, als sie die beiden Hunde aus dem provisorischen Zwinger holten. Sie leckten sich ihre Schnauzen, weil sie nicht wussten, was mit ihnen passierte.
Die Venner taten das Richtige in dieser Nacht. Es würde sowieso damit enden, dass die Tiere getötet wurden. Das wussten sie. Das Gesicht der Tierschützerin sprach das aus. Die einzige Hoffnung für die Tiere waren sie. Die Polizei würde sie nicht laufen lassen, niemals. Einige Besitzer hatten es vorgezogen, ihre Tiere von eigener Hand zu töten, bevor sie ohne ihre Liebe auf einem kalten Tisch in einem namenlosen Arztzimmer ihren letzten Atemzug aushauchten. So konnte man die Art und Weise bestimmen und von dem Tier Abschied nehmen, denn auch das verwehrte die Polizei den Besitzern oft genug. Sie nahmen ihnen die Hunde weg und selbst die toten Tiere verschwanden im nirgendwo.
Nannte man so etwas einen bedachtsamen Umgang mit den Geschöpfen Gottes?
Die Tierschützer hatten sich ihre eigene Antwort auf diese Frage gegeben.
In dieser Nacht fuhren zwei Hunde in ihre neue Zukunft.
*
Neumünster
Sonntag, 11.8.2013
Abgesehen von dem Gezwitscher einiger Vögel, die schon um halb vier Uhr den Tag gebührend begrüßten, hörten Oliver Hell und Franziska Leck in dieser Nacht vielleicht noch das Huschen der Kaninchen unter ihrem Wohnmobil, aber auch nur, wenn sie genau hingehört haben.
Hell war vor ihr wach. Er blieb einfach neben ihr liegen, um sie noch eine Weile im Schlaf zu beobachten. Die Jalousien im hinteren Teil des Wohnmobils waren heruntergezogen, deshalb fiel nur das Licht aus dem vorderen Teil, wo sie die Jalousien nicht heruntergezogen hatten, sanft auf ihre Züge. Hell realisierte gar nicht, wie sich seine Mundwinkel nach oben zogen, er war einfach machtlos.
Als sie ihren Kopf ein wenig hob, erschrak er fast.
»Guten Morgen«, sagte er überrascht.
»Guten Morgen, Schatz«, murmelte sie schlaftrunken, »Ist der Kaffee schon fertig?« »Nein, noch nicht. Aber ich könnte aufstehen, um …«, sagte er, doch er erkannte, dass sie wieder eingeschlafen zu sein schien.
Leise robbte er nach vorne, stieg die drei in die Ecke gebauten Stufen herunter, die zum hochgelegten Bett führten, und öffnete die Tür zum Toilettenraum. Er staunte immer wieder, wie wenig Platz man doch benötigte, um alles auf einem Quadratmeter unterzubringen, Waschbecken, Toilette und Dusche. Er setzte sich hin und pinkelte. Als er fertig war und die Spülung betätigt hatte, schaute er in den Spiegel. Erst hier fiel ihm auf: Er lächelte noch immer.
Hell schüttelte den Kopf, öffnete leise die Toilettentür, versorgte die Kaffeemaschine mit Filter, Wasser und Kaffeepulver. Dann ließ er die Außenwelt in das Wohnmobil, das sie heute noch über die Grenze tragen sollte.
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