Der Herbst geht langsam zu Ende, die Felder waren alle für den Winter, aber auch für die Frühjahrssaat bestellt und zurechtgemacht und der Winter kann kommen. Er hat, früher als uns lieb war, zaghaft seine ersten Kundschafter und Boten in vielen Nachtfrösten zu uns, auch in die Struth geschickt. Die ganzen Wettererscheinungen sprechen dafür, dass wir diesmal wieder einen sehr starken Winter mit viel kalter Kälte und noch mehr Schnee bekommen als uns lieb sein wird. Ich musste unwillkürlich wieder an das Sonnenwendfeuer daheim denken. Und je mehr ich über das Feuer und den Rauch der Sonnenwendfeuer nachdachte, um so mehr ärgerte ich mich jetzt, dass ich damals manchmal oft über die Weisheit der Alten recht altklug geschmunzelt habe, die da glaubten aus der Rauchbildung und den Weg, den die verschieden geformten Rauchschwaden zogen, das Wohl und Wehe des Dorfes für das kommende Jahr voraussagen konnten, einschließlich der Unwetter, die dann und wann wie stark uns auch treffen mögen. Und wie mir meine Großeltern immer wieder gesagt haben, hätten diese Voraussagen doch in der Regel gestimmt, besonders was die Wetterkapriolen anbelangt, aber ganz besonders die letzte Vorhersage vor dem schmerzvollen Verlassen unseres Dorfes, das wir wohl nie wiedersehen werden, die ich noch mit gehört habe aber daran nicht glauben wollte, dass auch wir einmal vor den Slawen fliehen werden und alles hier zurücklassen. Dass die Bewohner unseres Fleckens mit allem was sie in ihren Wagen haben mitnehmen konnten, bald untergehen, so deutlich haben sie es nicht vorhergesagt, nur dass ihnen im kommenden Jahr etwas sehr Schweres zu stoßen wird, wir viel Pech haben werden. Und wie man ein halbes Jahr später sehen konnte, war ich der einzige Überlebende unseres Ortes Odens und immer noch dabei ist hier mit Didilind ein neues Geschlecht, fern der alten Heimat in der neuen Heimat, mit allen menschlichen Vor- und Nachteilen neu zu bilden. Immer wenn ich diesen Gedanken nachhing, um ein kleines bisschen meine Zukunft zu hinterfragen mahnte mich meine innere Stimme, warum ich mein Schicksal versuche, denn ich bin doch bisher, so wie es immer passiert oder gekommen ist sehr gut zurechtgekommen. Hier in der neuen Heimat hat der Himmel es besonders gut mit uns gemeint und wir mit allem, was wir taten, sind wir nie und nimmer schlecht gefahren; außer in dem einen verregneten Sommer, als das reife Getreide in den Ähren, für alle sichtbar begann auszukeimen und Didilind mit diesen gekeimten Getreide ein neues Brot gebacken hat, das sicher auch nicht schlecht schmeckte, dass sogar der Bäcker im Marktflecken nachgebacken hat und auch viele, viele Menschen satt gemacht und vor dem Verhungern bewahrt hat! Und wie ich immer wieder meiner inneren Stimme Recht geben musste, wenn sie mich warnte, wenn ich mein Schicksal provozieren und so naiv hinterfragen wollte!
Heute Nacht, von einem Mittwoch auf den Donnerstag fiel der erste Schnee, der bis Mittag zum Leidwesen der Kinder wieder weggetaut war, da und dort noch ein kleiner, missratener, schmutziger Schneemann die Nacht überdauerte. Am Nachmittag haben wir zu dritt wieder den Käse und das Schweinefleisch frisch oder geräuchert für morgen zu recht gemacht aber auch die saure Sahne zu Butter umgewandelt. Wir hatten inzwischen eine große Buttermaschine, in der ich zweihundert Liter saure Sahne auf einmal buttern konnte, die auch das Wasserrad draußen hier im Innern angetrieben hat. Das Feuer in den Räucheröfen macht inzwischen Evelyn, mit der ich mich heute schon so gut verstehe wie einst auch mit Frieda, als sie noch keine richtige Liebespleite verdauen musste, die aber auch dabei ist die junge Alte von einst wieder zu werden. Und zu meinem Staunen hat Frieda, was sie schon lange nicht mehr gemacht hat, wieder ein Lied angestimmt, das nicht nur ich, sondern auch Evelyn konnte und mitgesungen hat. Nach unserm Lied, dass wir bestimmt x mal zwei- oder auch dreistimmig gesungen und wiederholt haben, weil es so schön im Arbeitsraum klang und so richtig zur winterlichen Landschaft passte. Auch die Akustik hier in diesem Arbeitsraum scheint einmalig zu sein, da hat Frieda erzählt dass sie schon zweimal mit Mutter Erna über unsern Glauben gesprochen hat und sehr glücklich darüber ist, dass Enke selbst bei Frieda alle Missverständnisse aus dem Weg geräumt hat. „Und natürlich freut sie sich auch auf das Wiedersehen mit ihm drüben in der Ewigkeit und den Tag auch ihrer Taufe kaum erwarten kann!“ Diese letzten Sätze, die Frieda eben gesagt hat, hat auch bei Evelyn das Verlangen geweckt, noch mehr über unsern Glauben zu erfahren, und wollte unbedingt beim nächsten Glaubensgespräch mit Mutter Erna dabei sein. Beim nächsten Gespräch haben sie über die zehn Gebote gesprochen auf denen Gott den ‚Neuen Bund‘ mit den Menschen beginnen wollte, der die Mitglieder seines neuen Bundes mit seinem auserwählten Volkes zu vorbildlichen Menschen für alle Völker hatte werden sollen, dann durch seine Menschwerdung in seinem Sohn, seinem Tod und seine Auferstehung endgültig besiegelt werden sollte, denn der erste Bund, den Gott mit Adam und Eva im Paradies schloss, haben sie gebrochen als sie auf Gottes Gegenspieler mehr hörten und Gottes Gebot, ‚alles dürft ihr nur das dürft ihr nicht‘, gebrochen haben und sich dann ein neues Volk aufbauen wollte, dessen Stammväter Abraham, Isaak und Jakob waren. Aus diesem oder in diesem Volk wollte Gott durch eine Jungfrau Mensch werden, die Maria hieß und eine Tochter dieses seines neuen Volkes war. Da die Israeliten ihren Gott, den menschgewordenen Gott, der Jesus hieß nicht annahmen oder annehmen wollten hat er am Abend des Palmsabbats auf einem Hang, nördlich von Jerusalem bitter geweint und Jerusalem dafür gedroht, dass von deiner prächtigen Stadt kein Stein auf dem andern bleiben wird und alle Getaufte, ob es die Heiden oder die Juden sind zu seinem Volk machen wolle, zu seinen Kindern, und sie auch daran erinnert, dass die ‚Zehn Gebote‘ auch heute noch das Grundgesetz eines friedlichen Zusammenlebens sind. Später haben fromme Menschen an der Stelle, an der Jesus am Sabbatabend mit seinen Aposteln gesessen und er da über sein Volk und ihre Stadt geweint hat eine Kirche gebaut und nannten diese Stelle und die Kirche ‚Dominus Flevit‘ was übersetzt heißt „Der Her weinte“. Im Jahre siebzig haben die Römer Jerusalem, einschließlich des Tempels dem Erdboden gleich gemacht und das offizielle Israel hat aufgehört zu existieren. Die wenigen Israeliten, die diesen Holocaust überlebt haben, haben sich langsam in der damaligen schon zivilisierten Welt angesiedelt und weiter zerstreut. Nicht nur Mutter Erna war mit diesen Religionsstunden bei Frieda begeistert, sondern auch Evelyn schien an diesem Unterricht Gefallen zu finden und hat sich gleich für die nächste Stunde wieder angemeldet, denn wie sie sagte „Frieda erzähle es so spannend als ob sie mitten in diesem Geschehen drinnen stünde und alles gerade selbst erlebt und aus eigener Anschauung oder Erfahrung sprechen würde. Wahrscheinlich aus der gleichen Sicht haben beide die Zehn Gebote gelernt und bald mitbekommen, sie auch immer wieder aufgesagt, um sie ja nicht so schnell wieder zu vergessen. Doch da bekam ich, was Evelyn anbelangt meine Zweifel, denn, was wird ihr Vater dazu sagen, wenn sie den Göttern ihrer Väter untreu wird und ihnen abschwört, dafür aber auch den einen, unsern Gott bekennt? Ich oder wir können doch als Christen unmöglich Evelin gegen ihren Vater aufwiegeln, denn das vierte Gebot verbietet uns Christen so etwas. Doch da sagte mir meine innere Stimme wieder, dass ich in dieser Beziehung mich nicht fürchten muss, denn erstens kommt es auch hier anders als wir denken und zweitens hat Evelyns Vater da eine sehr schmerzhafte Entdeckung gemacht, dass der ältere Freier, der angeblich aus einem sehr reichen Hause stammt und um Evelyns Hand angehalten hat, wahrlich ein hochprozentiger Hochstapler ist und leider viel, viel ärmer war, als er sich gerne aufführte, sicher auch kein greifbares Vermögen in die Ehe mitbringt und schon beim Ehevertrag nur darauf aus war, dass er alleiniger Bestimmer und Verwalter ihres Vermögens ist und bleibt, dass kein Weiterer etwas mit zusagen hat, denn so lautet seine Devise, dass viele Köche nur den Brei verderben und das sofort bei der Eheschließung der Ehevertrag in Kraft tritt. Evelyns Eltern sollten sich sofort nach der Heirat auf ihren Altersruhesitz zurückziehen und bekommen all das, was sie zum Leben brauchen; Einzelheiten wurden da nicht aufgezählt. Die Folge war, dass Evelyns Vater diesen Heiratsschwindler vom Hof auf nimmer Wiedersehen verjagte und zu seinem Leidwesen den nicht unterschriebenen Vertrag in kleine Stücke zerriss und auf dem Herd verbrannte. Zum Glück hat er dem Heiratsbewerber nicht allzu viel Hoffnung vorher gemacht, denn mit der Klage vor dem Thinggericht auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld für entgangene Mitgift, hat er den Kürzeren gezogen, denn Evelyns Vater hat ihm vor der Ehe, wahrscheinlich, weil wir ihn hier bei uns vor ihm gewarnt haben, doch recht wachsam zu sein, noch nichts versprochen. Dass er nichts mehr hatte, was er versprechen konnte, das haben wir alle erst viel später erfahren und im Nachhinein vieles klar machte, warum diese Habgier bei Evelyns Vater. Doch sagte mir auch meine innere Stimme, dass er zu Zeit noch sehr unpässlich sei und unansprechbar, dass ausgerechnet ihm so etwas passieren muss oder dass ausgerechnet er so etwas erleben muss, der doch immer glaubte alles zweihundertprozentig zu seinem Vorteil zu erledigen und im Stillen hat er schon mit den vielen Goldflocken des Heiratsaspiranten, die er in die Ehe mitbringt hier in seiner Feste jongliert und im stillen um ein Vielfaches vermehrt, was jedoch alles ohne stabile Grundlage geschah.
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