„Nein, nein“ erwiderte der Direktor vollkommen durcheinander „bei uns alles ist alles in bester Ordnung. Sie werden sich gleich von der hohen Güte unseres Angebotes überzeugen können.“
„Und die Sanierungsmaßnahmen“ fragte Paula nach.
„Ähm, hie und da ist die Motivation der Mitarbeiter noch nicht ganz so, wie sie eigentlich sein sollte. Deswegen bin ich ja hier. Unser Haus ist das erste am Platz und da dulde ich keinen Schlendrian. Ich nehme jedes Zimmer persönlich ab und auf meinen weißen Handschuhen entgeht mir nicht der kleinste Schmutzkrümel. Absolute Perfektion zu erreichen ist mein höchstes Ziel, und dem haben sich alle Mitarbeiter unterzuordnen“ sagte der Direktor stolz.
„Von Arbeitszufriedenheit haben Sie wohl noch nie etwas gehört“ sprach ihn Nils an „aus psychologischer Sicht ist der Kern eines Unternehmens nicht dessen finanzielle oder technische Ausstattung, sondern die Mitarbeiterschaft. Wenn diese durch ein unfähiges Management schlecht motiviert wird kommt es zwangsläufig zu Konflikten. Und Sie scheinen Ihre Mitarbeiter wenig wert zu schätzen, so ist zumindest mein Eindruck.“
Eine der Kellnerinnen, die dem Gespräch atemlos gefolgt war, fiel ein Champagnerglas vom Tablett und zu Boden, wo es splitternd zerbrach.
„Können Sie sich nicht vorsehen, Sie Trampel“ schrie sie der Direktor instinktiv an „das ist das dritte Glas in vier Monaten!“
„Also wenn in vier Monaten drei Gläser kaputtgehen ist das vielleicht ein Verlust von 10 Euro“ meinte Petra „das dürften Sie doch bei diesen Preisen hier locker wieder reinholen, oder? Reagieren Sie eigentlich immer so cholerisch?“
„Entschuldigung, die Aufregung wegen dem hohen Gast“ versuchte sich der Direktor zu erklären.“
„Jetzt fangen Sie schon wieder damit an“ schaltete sich Hannelore Petersen erneut in das Gespräch ein „immer erst die Obrigkeit ansprechen, in dem Falle meinen Sohn, einen Mann. Haben Sie etwa ein Problem mit Frauen?“
„Natürlich nicht“ antwortete der Direktor schwach.
„Sind Sie übrigens verheiratet“ fragte Peter Petersen.
„Nein, Sie werden das sicher verstehen können, der aufreibende Job, da bleibt keine Zeit für eine Familie.“
„Aber doch wohl für eine Frau“ bohrte Rüdiger nach.
„Auch dafür nicht, leider.“
„Mal ehrlich, wollen Sie uns einreden, dass Sie wie ein Mönch leben“ fragte Nils „Sie sind doch sozusagen in den besten Jahren. Haben Sie nicht manchmal auch Bedürfnisse, Sie wissen schon, was ich meine.“
„Bitte, das ist doch meine Privatangelegenheit“ flehte der Direktor.
„Sie müssen sich nicht mehr länger verstecken“ meinte Paula „so ein Comming Out ist doch heutzutage kein Problem mehr. Dann würde sicher auch Ihre Gereiztheit verschwinden. Haben Sie doch einfach den Mut, zu Ihrer Neigung zu stehen, Sie werden sehen, alles wird viel leichter.“
„Ich muss mich dazu nicht erklären, weil es nicht wahr ist“ wurde der Direktor lauter „ich lebe einzig und allein für meinen Beruf und das erfüllt mich mehr als genug!“
Er ging eilig zu einer der Kellnerinnen, nahm ein Glas Champagner vom Tablett und stürzte das Getränk in einem Zug herunter.
„Also im Dienst ist bei uns Alkohol strengstens verboten“ ergriff jetzt Frieder Bergmann das Wort „was sollen denn Ihre Mitarbeiter denken, wenn Sie jetzt hier einen Trinken?“
„Bitte Herr Ministerpräsident“ antwortete der Direktor mit versagender Stimme „lassen Sie uns mit dem Essen beginnen. Ich kümmere mich jetzt um das Sternburger für Herrn …“
„Petersen.“
„Für Herrn Petersen.“
Mit hängenden Schultern verließ der Mann den Raum.
„Ist der immer so mies drauf“ fragte Peter Petersen den Sommelier.
„Eigentlich nicht“ erwiderte der Mann „er fährt zwar schon schnell mal aus der Haut, aber das stimmt schon, er lebt nur für das Hotel. Manchmal tut er mir richtig leid. Oft sitzt er abends endlos im Büro und brütet über neuen Geschäftsideen. Er kniet sich wirklich richtig rein. Und gegen die zugegebenermaßen zu üppige Ausgestaltung dieses Raumes hier hat er beim Konzernvorstand immer wieder interveniert, allerdings ohne Erfolg. Da hat er richtig Mut und Biss bewiesen.“
„Egal“ sagte Hannelore Petersen „wir bestellen jetzt endlich die Getränke. Ich nehme einen trockenen Rotwein. Petra, Claudia und Paula, ihr auch? Ja? Na dann zwei Flaschen für den Anfang für uns.“
„Ich nehme zum Aufwärmen erst mal ein Bier und einen Wodka“ sagte Frieder Bergmann.
„Ich auch“ stimmte Rüdiger zu, Nils nickte.
„Wer weiß, wann der mit dem Sternburger kommt“ sinnierte Peter Petersen „für mich auch ein Bier, aber schön kühl. Und den Wodka selbstverständlich auch.“
Der Sommelier und die Kellnerinnen verschwanden.
Einige Augenblicke später wurden die Getränke serviert und gleichzeitig marschierten vier junge Kellnerinnen auf und stellten vor jedem Gast einen riesigen Teller ab. Dann gingen sie.
Peter Petersen starrte auf seinen Teller, dann sagte er:
„Das kann doch nicht wahr sein! Was ist denn das?“
Petra half ihm weiter.
„Feines Leberwurstschnittchen an Rucola und mediterranem Dressing“ las sie vor.
Auf dem großen Teller lag eine einsame kleine Schnitte, welche mit einer bräunlichen Masse bestrichen war. Der Rucola rahmte das Brotstück ein und das Dressing war darüber geträufelt.
„Ich mache einmal den Mund auf, dann ist das alles weg“ beschwerte sich Petersen „das sind doch Portionen für Babys!“
„Jetzt hör‘ auf zu meckern und koste erst einmal“ wies ihn seine Frau zurecht.
Alle aßen und Frieder Bergmann kaute vorsichtig jeden kleinen Bissen. Die Schnitte schmeckte phantastisch, der Rucola war frisch und knackig.
„Sehr gut“ verkündete er „wenn das so weiter geht können wir zufrieden sein.“
„Aber wenn die bei der Menge nicht bald zulegen gehe ich später noch an die Dönerbude“ schimpfte Peter Petersen.
„Jetzt könnte mal einer was zu diesem Tag sagen“ schlug Rüdiger vor.
„Was gibt es noch groß zu sagen“ meinte seine Großmutter „alles hat bisher so funktioniert wie vorgesehen. Frieder hat seinen Professortitel bekommen und Peter und ich haben geheiratet.“
„Freust du dich denn gar nicht“ fragte Petra erstaunt.
„Natürlich. Aber ich tue das auf meine Art, nicht so polternd wie Peter.“
„Du hast mich noch nicht richtig polternd erlebt“ erwiderte dieser „wenn das mit dem Essen so weitergeht erlebt der Direktor den morgigen Tag nicht mehr.“
„Warte es doch einfach ab“ sagte Paula „es wird ja gleich der zweite Gang kommen, das ist, Moment mal, Carpacciostreifen mit Thunfischcreme auf einem Rotebeetebett.
„Ich ahne Schlimmes“ stöhnte Petersen „Streifen, keine ganzen Stücke. Na gut, dann muss es eben das Bier bringen. Prost, auf diesen schönen Tag!“
Er winkte dem an der Tür stehenden Kellner zu und bestellte eine neue Runde.
Dann wurde der zweite Gang aufgetragen.
„Bleiben Sie mal hier“ fuhr Peter Petersen die Kellnerin an, die den Teller vor ihm abgesetzt hatte und gerade wieder weg gehen wollte „und erklären mir, ob das zur Strategie des Hauses gehört, die Gäste hungern zu lassen.“
„Aber ich bin doch nur die Kellnerin“ stammelte die junge Frau „da müssen Sie schon die Geschäftsleitung fragen.“
„Die ist außer Haus, Sternburger Bier besorgen“ feixte Frieder Bergmann „gut sieht’s ja aus. Guten Appetit.“
Auch dieser Gang war hervorragend gelungen und selbst Petersen blieb ruhig.
„Wachtelbrüstchen auf Knuspergebäck mit Saisongemüse“ las Claudia vor, gerade in dem Moment, als der Direktor den Raum betrat.
Der Mann begab sich zu Peter Petersens Platz und stellte ein Glas vor ihm ab, dann schenkte er Bier aus einer Flasche ein.
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