
Was waren die Ursachen für die Leiden dieser Patientin? Die Überdehnung der Strukturen zwischen Kiefer und Zungenbein, der Halswirbelligamente sowie eine Kompression anderer Strukturen hatte zu einer komplexen Symptomatik geführt.
Durch die instabile Halswirbelsäule werden die Nervenäste (Ramii meningei) gereizt, die aus dem Bereich der oberen drei Halswirbelsegmente die Hirnhautauskleidung der hinteren Schädelgrube innervieren und Verbindung zum Trigeminusnerv, sowie zum obersten Schaltzentrum des Vegetativen Nervensystems (Ganglion cervicale superius) halten und so zu chronischem Kopfschmerz führen können. Hinzu kamen kompensatorische, wiederkehrende Wirbelblockaden insbesondere im Bereich der unteren Halswirbelsäule, oberen Brustwirbelsäule und des Übergangs zwischen Halswirbelsäule und Brustkorb, mit Bewegungseinschränkungen, Wurzelreizungen und Missempfindungen (Parästhesien) im rechten Arm. Die angespannte Schulter-Nackenmuskulatur, durch Reizung der Halswirbelsegmente C3-C5 mit Reizung des Nucleus spinosus des Trigeminusnervs in diesem Bereich, trug zu einer Verstärkung der Kopfschmerzsymptomatik bei. Die Kompression von Brustbein, Brustkorb und Herz beeinträchtige die Brustwirbelsäule. Die Verschiebung der Zugspannung im Bereich der vorderen und hinteren Muskel-Faszien-Kette führte zu Spannungsgefühlen. Im Bereich der instabilen Halswirbelsegmente wurde vermehrt Stickstoffmonoxid produziert, was zu einer mitochondrialen Unterversorgung und damit verbundenem Erschöpfungszustand führte. Der durch Stickstoffmonoxid ausgelöste Nitrostress verursacht über Hemmung der Mitochondrienfunktion und des Citratcyclus’ ein extremes Energiedefizit sowie eine Beeinträchtigung wichtiger Stoffwechselprozesse.
Fall 12: Trapezius-Triggerpunkte
In meiner Anfangszeit als Migränetherapeut kam ein 11-jähriges Mädchen mit seiner Mutter in meine Praxis. Damals arbeitete ich bei Migräne nur mit Akupunktur und Laserakupunktur und hatte die anderen Säulen erfolgreicher Migränetherapie noch nicht für mich und meine Patienten entdeckt. In dieser Zeit konnte ich noch nicht in 75% der Fälle, sondern nur etwa in 20%, die Migräne dauerhaft ausheilen. Das Kind litt schon seit dem sechsten Lebensjahr an Migräneanfällen, die etwa alle zwei bis drei Wochen auftraten.

Da das Mädchen Nadelangst hatte, blieb nur Laserakupunktur zur Behandlung. Ich behandelte nach der traditionell chinesischen Anamnese Leber- und Gallenblasenmeridian mit dem Laserakupunkturgerät. Zusätzlich behandelte ich mit Laserakupunktur versuchsweise die Triggerpunkte im Bereich der verhärteten Muskelstränge der Schulter insbesondere des Trapeziusmuskels und des Schulterblatthebermuskels. Triggerpunkte sind verhärtete, tastbare Knoten in punktuell zusammengezogenen Muskelfasern, die ein ausgeprägtes Spannungsgefühl im Muskel vermitteln. Man kann die Punkte entweder manuell einzeln plattdrücken, was sehr schmerzhaft ist, oder aber mit einer längeren Akupunkturnadel „auseinanderzucken“ lassen, als schnellere, elegantere und vollständigere Methode. Dabei sind für den Behandelnden und für den Patienten Muskelzuckungen spürbar. Zu meiner Überraschung konnte ich bei dem Mädchen auch ohne Nadel, nur mit dem Laserstrahl und leichtem Druck auf den Triggerpunkten, das typische Zucken auslösen. In der Regel ist das meist nur mit einer Nadel möglich. Ich behandelte das Mädchen zehn Mal innerhalb von drei Monaten. Nach den ersten vier Behandlungen traten keine weiteren Migräneanfälle auf.

Schade ist, dass ich nie herausfinden werde, wie es gewesen wäre, wenn ich als Therapieansatz nur die chinesischen Energiemeridiane gelasert hätte oder aber nur die Triggerpunkte behandelt hätte. Die Kombination von Therapiemethoden ist letztlich ein wissenschaftliches Problem, das ich heute, bei weitaus profunderem Wissen über Migräne, noch in stärkerem Maße habe als damals. Da ich heute meistens mehrere Therapiemethoden miteinander verbinde, um möglichst schnell zum Therapieerfolg zu gelangen, bevor dem Patienten die Geduld ausgeht, kann ich oftmals im Nachhinein nicht eindeutig sagen, welche Methode nun eigentlich den größten Teil des Erfolges ausgemacht hat.
Fall 13: Ungesunde Ernährung und Lebensweise
Ein 17-jähriges Mädchen kam mit seiner Mutter in meine Sprechstunde und berichtete, sie habe seit sechs Monaten fast täglich Kopfschmerzen, die etwa zweimal wöchentlich in Migräne übergingen. Meist begannen die Kopfschmerzen am späten Vormittag im Schulunterricht und besserten sich gegen Abend. Hinzu kämen Konzentrationsstörungen. Schon in der Anamnese zeigten sich mehrere mögliche Hinweise auf die Ursache. Das Mädchen gab an, bei ihrem Körpergewicht von fünfzig Kilogramm nur einen halben Liter Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Normal wären mindestens zwei Liter. Ich empfehle vierzig Milliliter pro Kilogramm Körpergewicht. Auf die Frage nach ihren Ernährungsgewohnheiten erklärte sie, dass sie meistens nicht frühstücke, mittags gegen 13.00 Uhr eine Portion Pommes Frites oder Nudeln oder ein Sandwich zu sich nehme und abends dann zwischen 17.00 Uhr und 22.00 Uhr noch Pizza, Pasta oder etwas Ähnliches esse. Zwischendurch trinke sie süße Limonaden, ohne die sie nicht leben könne. Seit einem traumatischen Ereignis in der Nachbarschaft könne sie abends nur noch mit Licht einschlafen. Meist schlafe sie vor dem laufenden Fernseher ein.

Der aufmerksame Leser wird auch ohne medizinische Ausbildung bemerken, dass dieser Lebenswandel nicht gesund sein kann. Ich erklärte der jungen Dame, dass eine Änderung der Lebensweise dringend erforderlich sei, wenn sie ihre Kopfschmerzen loswerden wolle. Sie hielt dies zunächst für Unsinn. Da sie aber aufgrund ihrer Kopfschmerzen einen hohen Leidensdruck hatte, erklärte sie sich bereit, testweise einen Monat lang alle meine Änderungsvorschläge umzusetzen. Sie wollte dann anhand ihres Befindens entscheiden, ob sie die Veränderungen beibehalte oder nicht. Ich empfahl ihr, mindestens zwei Liter ungesüßtes Wasser über den Tag verteilt zu trinken. Jeden Morgen vor der Schule unbedingt ein eiweiß- und fettreiches Frühstück mit Ei, Butter, fettem Quark oder Fleisch zu sich zu nehmen, mittags ein ebensolches Mittagessen und abends spät vor dem Schlafen noch ein fettreiches und kohlenhydratarmes Spätstück zu essen. Da sie sich nicht vorstellen konnte, ohne Licht und Fernsehen einzuschlafen, riet ich ihr eine Zeitschaltuhr zu kaufen, die nach einer Stunde Licht und Fernseher ausschaltet. Ich erklärte ihr, dass weitere Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen nur nach dieser Testphase Sinn hätten. Wir vereinbarten einen Folgetermin. Nach vier Wochen erklärte die Patientin lächelnd, dass sie seit drei Wochen weder Kopfschmerz noch Migräne gehabt habe.
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