Ein weiterer Aspekt in diesem Fall ist der Zusammenhang zwischen einer Fehlbesiedlung des Darms und Störungen des Gehirnstoffwechsels. Wird die gesunde Darmflora durch Fehlernährung, Antibiotika oder Chemikalien, wie Konservierungsstoffe, geschädigt, so bilden sich Entzündungsmediatoren (TNF-Alpha, IL6). Diese führen zu einer Zerstörung und erhöhten Durchlässigkeit der Darmschleimhaut. Dadurch können Schadstoffe ungehindert ins Blut und ins Gehirn eintreten. Das kann zu neuronalen Entzündungen im Gehirn führen und diese können sich wiederum als Migräneanfälle äußern.
Fall 4: Kohlenhydratunverträglichkeit
Eine 23-jährige, ebenso freundliche, wie übergewichtige Sekretärin stellte sich mit Kopfschmerz seit früher Kindheit bei mir vor. In den letzten Jahren traten immer häufiger Migräneattacken auf, besonders an Wochenenden und in Entspannungsphasen nach Stress. Oft wachte sie morgens bereits mit Migräne auf. Bei der Frage nach ihren Ernährungsgewohnheiten stellte sich heraus, dass sie zum Frühstück entweder ein Schokoladencremebrötchen aß oder aus Zeitmangel gar nichts zu sich nahm. Am Mittag aß sie meist Nudeln mit Ketchup oder Pizza, dazu Kuchen und Cola in der Kantine. Am Abend machte sie sich in der Regel Käsebrote oder schob sich eine Fertigpizza in den Ofen. Da sie zwischen den Mahlzeiten oft Heißhungerattacken auf Süßigkeiten bekam, waren Schokoladenriegel und Bonbons ihre ständigen Begleiter, die sie je nach Verlangen zwischendurch konsumierte. Sie verzichtete auf Butter, da sie annahm, dass diese ihrer Figur abträglich sei. Stattdessen strich sie sich lieber eine Diätmargarine aufs Brot. Generell versuchte sie, sich fettarm und fleischarm zu ernähren und aß lieber mehr Kohlenhydrate. Ein bis zwei Stunden nach den Mahlzeiten fühlte sie sich meist müde oder spürte eine innere Unruhe. Oft war sie auch depressiv verstimmt. Hinzu kam eine starke Wetterfühligkeit.

Nahrungsmittelunverträglichkeiten im Sinne von Antikörperreaktionen gegen Nahrungsmittelproteine lagen bei der Patientin nicht vor. Es gab keine Unfälle in der Vorgeschichte und auch die osteopathische Untersuchung war unspektakulär. Ich erklärte ihr, dass ihre Ernährungsgewohnheiten, ihr Körpergewicht und ihre Kopfschmerzsymptome stark auf eine Kohlenhydratunverträglichkeit schließen ließen.
Um dieses Phänomen zu verstehen, machen wir einen kleinen Ausflug in die Steinzeit. Bis vor etwa 5000 Jahren ernährten sich die Menschen als Jäger und Sammler im Wesentlichen von Fleisch, Fett, Fisch, Wurzeln, Beeren etc. Es gab kein Getreide und keinen raffinierten Zucker und somit keine schnell verbrennbaren Kohlenhydrate. Wenn nun ein genetisch derartig ausgestatteter Mensch plötzlich Zucker oder Getreide zu sich nimmt, ohne gleichzeitig ausreichend Fette zu essen, steigt der Blutzuckerspiegel sehr schnell an und fällt genauso schnell wieder ab. In Erwartung eines anhaltenden hohen Blutzuckers werden enorme Mengen an Insulin ausgeschüttet, um den Zucker abzubauen. Das Resultat ist eine Unterzuckerung, da der Blutzucker unter das Ausgangsniveau fällt. Im Hirnstamm gibt es eine Kontroll- und Messinstanz, die dafür sorgt, dass grundlegende, lebenswichtige Blutwerte wie Sauerstoffgehalt, Blutzucker und Flüssigkeitsmenge in bestimmten Grenzen gehalten werden. Fällt nun der Blutzuckerwert plötzlich stark ab, wird in diesem Zentrum Alarm geschlagen. Das aktiviert den Migränegenerator im Hirnstamm sowie den Trigeminusnerv und kann zu Veränderungen des Durchmessers der Hirngefäße führen. Der Migräneanfall kann dadurch ausgelöst werden. Dieser Vorgang läuft vor allem an Wochenenden und in Entspannungsphasen nach Stress ab, da in diesen Phasen der Cortisonspiegel, der in Stresszeiten den Blutzuckerspiegel hochhält, stark absinkt.
Es war nicht einfach, die Ernährungsgewohnheiten der Patientin völlig umzustellen. Sie sollte gute Fette wie Butter, Sahne und Pflanzenöle zu sich zu nehmen, auf konzentrierte Süßigkeiten verzichten und Zeiten der Unterzuckerung vermeiden. Da ihre Bemühungen schon bald durch immer länger werdende Intervalle ohne Migräne belohnt wurden, gelang es mir nach vier Monaten die Patientin völlig migränefrei zu bekommen.
Fall 5: Wirbelblockaden und andere osteopathische Dysfunktionen
Eine 26-jährige Altenpflegerin kam sehr verzweifelt in meine Praxis. Sie litt seit neun Jahren an Migräneattacken zunehmender Intensität und Häufigkeit. Sie hatte diese lange Jahre als unabänderlich hingenommen. Seit einigen Monaten ging den Anfällen eine Aura mit plötzlichen Sehstörungen und minutenlangem, völligem Ausfall des Sehvermögens voraus. Dadurch wurde ihre Fähigkeit, Auto zu fahren, stark beeinträchtigt. Sie entschloss sich, im Internet nach Abhilfe zu suchen und stieß dabei auf meine Praxis. Ich erklärte ihr mein Behandlungskonzept und die Tatsache, dass nach 10 bis 20 Behandlungen 75% meiner Patienten dauerhaft von ihrer Migräne geheilt sind. Weitere 10% erleben nur noch sehr selten auftretende, deutlich kürzere und weniger intensive Anfälle.

Ich schlug ihr vor, zunächst wie üblich nach der Anamnese und vor der osteopathischen Untersuchung, einige Laboranalysen vorzunehmen. Sie lehnte das rundherum ab, einmal aus Kostengründen und, weil sie überzeugt war, dass die Migräne eher etwas mit ihren Schulter-Nacken-Verspannungen zu tun hatte. Ich schloss daher an die Anamnese direkt die osteopathische Untersuchung an. Ich stellte bei der Patientin eine durch einen Beckenschiefstand bedingte Beinlängendifferenz fest. Das linke Bein war bei ihr dadurch kürzer. In Folge dessen war der 2. Halswirbel (Axis) nach links verschoben und nach rechts rotiert. Der 1. Halswirbel (Atlas) war nach rechts verschoben, rotiert und nach unten gekippt. Hinzu kamen Muskelhartspann und mehrere Wirbelblockaden im Bereich der oberen und mittleren Brustwirbelsäule, starke Muskelverspannungen und Fasziendistorsionen im Bereich des Trapezius-Muskels sowie des Schulterblatthebermuskels. Im Areal der Schädelknochen traf ich auf ein craniosakrales Fehlspannungsmuster und das Zwerchfell zeigte eine reduzierte Beweglichkeit.
Ich behandelte und löste alle Spannungsmuster sowie die Blockaden der oberen Halswirbel mit sanften osteopathischen Techniken und bat die Patientin, zwei Wochen später wiederzukommen. Zwei Tage vor dem zweiten Termin sagte sie diesen aus finanziellen Gründen ab. Außerdem wollte sie erst einmal den Erfolg der ersten Behandlung abwarten. Sie habe immerhin die letzten zwölf Tage keine Migräne mehr gehabt. Auf meinen Einwand hin, dass es sehr unwahrscheinlich sei, dass die Migräne mit nur einer Behandlung dauerhaft beseitigt ist und dass ich ihr gerne in Form von Ratenzahlungen entgegenkommen könne, antwortete sie nicht. Ich verbuchte sie innerlich, mit Bedauern, als Therapieabbrecherin. Drei Jahre später rief sie mich überraschend an und bat mich, ihren Ehemann wegen eines gesundheitlichen Problems zu untersuchen. Sie selbst sei vor langer Zeit bei mir gewesen und mit der Behandlung sehr zufrieden gewesen. Trotz der langen Zeit, erinnerte ich mich wegen ihres auffälligen Namens sofort an sie und fragte sie nach ihrer Migräne. Freudig berichtete sie, dass sie seit meiner Behandlung keine Migräne mehr gehabt habe. Ich war sehr überrascht und bedankte mich für die, wenn auch verspätete, Rückmeldung. Seither weiß ich, dass manchmal schon eine einmalige Auflösung von Spannungen und Blockaden den Körper wieder soweit ins Gleichgewicht bringen kann, dass der Körper die verbliebenen Belastungen gut kompensiert.
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