Roland Reitmair - Der Medizinmann

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Aus dem Buch:
"Die Wirkung, der «flash», war etwas «Reizendes».
Es reizte mich und reizte meine Sinne, verlangte nach mehr und mehr.
Immer wieder bettelte ich um eine Dosis und er verabreichte wohlwollend, was ich haben wollte.
Ich dankte es ihm mit absolut tabulosem Sex…"
Nach ihrer Vergewaltigung schlittert «Gabi», die Protagonistin der (wahren) Geschichte, unverschuldet in Abhängigkeit – Abhängigkeit eines Mannes, seiner Drogen und von Beschaffungskriminalität. Der Weg zurück ist lang und oft schmerzvoll.

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Roland Reitmair

Der Medizinmann

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Impressum neobooks

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Es schneite… oder eigentlich schneite es nicht. Der Wind wirbelte Graupeln umher, verfrorene Körner, die am Gehsteig zu einer rutschig schmierigen Schicht schmolzen. Ein kleines Mädchen versuchte daraus Schneebälle zu formen, während sich dazugehörige Erwachsene angeregt unterhielten.

Neben dem hellen Stern beim Stadttor morste das Blaulicht eines Einsatzfahrzeugs seine Botschaft in die Dämmerung. Die Ampelanlagen funktionierten nicht und eine endlose Kolonne suchte im Schritttempo nach wenigen, begehrten Parklücken nahe den Glühweinständen am Hauptplatz. Ein Polizist an der Abzweigung vorne schien überfordert. Stoßstange an Stoßstange fuhren Autos den Ring entlang und machten ein Überqueren unmöglich.

Gabi stand geduldig am Gehsteig und wartete. Hektisch dahineilende Passanten wichen unwirsch aus. Auch das Mädchen war ihnen im Weg. Es schaute aber nur kurz auf und lächelte.

Im kleinen Park vor der Stadtmauer war ein buntes Zelt aufgebaut, in dem Kinder auf Ponys reiten durften. Dahinter gab es eine Krippe mit echten Tieren, einen Verkaufsstand und ein Kinderkarussell. Leise hörte man blecherne Weihnachtslieder aus den Lautsprechern.

Endlich stoppte ein Fahrzeug. Der Fahrer winkte freundlich. Eine junge, telefonierende Frau auf der zweiten Fahrbahn tat es ihm gleich. Gabi nickte dankbar und überquerte vorsichtig die Straße.

Schneller als gewollt stand sie vor dem „Picanta“.

„Cafe saxo“ hieß es jetzt, weil dann und wann ein Saxophonspieler mit live-Musik unterhielt. Picanta hatte eindeutig besser geklungen.

Wie lange war das her, dass sie noch täglich hier einkehrte? All die Jahre hatte sie einen großen Bogen um das ganze Straßeneck gemacht. War jedes Mal lieber über den Markt gegangen, auch wenn das länger dauert.

Sie wurde nervös. Ob der Glanzer schon da war? Unauffällig versuchte sie durch das Fenster des Picanta zu schauen. Ja. Ganz hinten saß einer an seinem Laptop, das konnte er sein.

Gabi ging weiter zum nächsten Geschäft und betrachtete unschlüssig ihr Spiegelbild in der Auslagenscheibe. Es widerstrebte ihr, diesen fremden Menschen im Picanta zu treffen und ihm ihre ganze Lebensgeschichte zu erzählen. Aber schließlich hatte sie selbst es so gewollt und auch den Termin an diesem Ort vereinbart. Bloß jetzt, wo alles so konkret wurde...

Sie zupfte die Jacke zurecht, strich sich ihre Haare hinter das Ohr und gab sich einen Ruck.

Nachdem sie das Lokal betreten hatte, bewegte sie sich seltsam vertraut und routiniert an den Stehtischen vorbei quer durch das Lokal. Der Mann hinter dem Laptop war korrekt gekleidet, mit Hemd und Krawatte, dunkler Hose.

„Entschuldigen Sie – sind Sie Herr Glanzer?“

Der Angesprochene lächelte, sprang übertrieben höflich auf und deutete eine Verbeugung an. „Ja das bin ich – dann müssen Sie Frau Eder sein?!“ Ohne die Antwort abzuwarten, wies er auf den freien Sessel, „setzen wir uns doch“. Er selbst nahm wieder auf der Bank im letzten Eck des Lokals Platz und kramte in seiner Tasche herum.

Eine peinliche Pause entstand. Gabi hielt solche Situationen nur schwer aus.

„Sie sehen in natura ganz anders aus, als auf den Werbefotos ihrer Website…“, sagte sie und massierte dabei die Knöchel ihrer Finger.

„Finden Sie?“, Glanzer blickte nicht einmal auf dabei, „apropos – wie sind Sie überhaupt auf mich gekommen?“

„Naja, ich hab eben gegoogelt…“. Gabi wirkte verunsichert und distanziert.

Endlich hatte er gefunden, was er suchte – Glanzer übergab ihr eine Visitenkarte und nickte erfreut, „Dann hat der ganze Zauber mit diesem Internetauftritt also doch was gebracht… ich hab’s meinem Neffen nie geglaubt. Dachte der will nur seinen Hunderter verdienen…“

Wieder entstand eine kurze, unangenehme Pause, bevor der Mann fortfuhr: „Das heißt: Sie kennen mich schon ein wenig, zumindest meine Daten aus dem Netz… wollen Sie noch irgendwas wissen, oder erklären Sie mir erst einmal, was genau Sie wünschen…?“

„Ich… ich brauch jemanden, der meine Lebensgeschichte aufschreibt. Ich meine, hm, ich bin nicht prominent oder so…“ sagte Gabi stockend, räusperte sich und fixierte ihr Gegenüber, als wolle sie noch einmal abschätzen, ob man dem Kerl vertrauen darf, „Aber … aber ich hab einige Dinge erlebt, die ich nie wirklich aufgearbeitet habe.“

Glanzer merkte, dass es seiner Person gegenüber Vorbehalte gab. „Sie können mir ruhig vertrauen“, erklärte er, „ich betrachte meinen Beruf diesbezüglich wie den eines Arztes. Ich hab mein Berufsgeheimnis. Was ich schreibe, zumal wenn es um Biografien geht, geschieht nur mit dem Einverständnis aller Beteiligten. Ansonsten hab ich meine – selbst verordnete – Schweigepflicht!“

Gabi nickte ansatzweise, schien jedoch nicht restlos überzeugt. Ihre Hände zitterten, während sie sich eine Zigarette ansteckte. Nach einem tiefen Lungenzug vernebelte sie die silbernen Kalotten, die wie fliegende Untertassen als Lampenschirme an der Decke des Raumes schwebten.

„Gut… Also… – vor einigen Jahren meinte mein Psychotherapeut, dass bei mir da oben immer noch ein „gordischer Knoten“ stecken würde… Alles aufschreiben, sagte er damals, würde helfen.

Ich fand nie die Ruhe dazu, nie die Zeit… oder den Mut. Aber es ist so weit: Ich bin jetzt siebenundfünfzig und sollte diesen alten Knoten endlich lösen… Man sagt die Zeit heilt viele Wunden, aber vierzig Jahre sind genug. Was bis jetzt nicht heilte, wird nie heilen. Ich muss mich damit auseinandersetzen, sonst zerfrisst mich die Erinnerung…

Allerdings bin ich schon froh, wenn ich alles annähernd chronologisch erzählen kann… Sie würde ich also gern engagieren, meine Erzählungen zu einem „Ganzen“ zu bringen – geht so etwas, machen Sie das…?“

„Hm“, brummt Glanzer, „ich dachte eigentlich, sie haben bereits ihre niedergeschriebene Geschichte und ich mach nur Verbesserungen, Korrekturen – so kostet das natürlich mehr…“

„Von wie viel reden wir?“

„Bei Korrekturarbeiten verrechne ich vier Euro pro Seite, wenn ich das alles schreiben soll, dann etwa acht bis zwölf Euro pro Seite…“

„Ok“, meinte Gabi, „was ist realistisch? Zweihundert Seiten?“

Glanzer wiegte den Kopf und zog die linke Braue nach oben, „Keine Ahnung, das hängt von Ihrer Geschichte ab… ich kann das so nicht sagen. Wenn Sie viel erlebt haben können es auch fünfhundert Seiten sein!“

Gabi lächelte unsicher, „Ok, ich denke, das ist es mir trotzdem wert…“

„Was ist dieser gordische Knoten in Ihrem Kopf? Was sind die Themen Ihrer Biografie? Muss ich mich irgendwo einlesen?“ Er lockert seine Krawatte, „Treiben Sie speziellen Sport oder gibt es sonst irgendwelche Spezialdisziplinen, bei denen sich ein „Normalsterblicher“ wie ich nicht auskennt?“

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