Der aufmerksame Leser wird sich nun vielleicht fragen, ob es nicht unverantwortlich war, den Cholesterinsenker einfach abzusetzen? Hatte ich den armen Mann nicht dem hohen Risiko ausgesetzt, an Arteriosklerose, Herzinfarkt und Hirnschlag zu erkranken? Hier antworte ich mit einem klaren „Nein“. Nach neueren Erkenntnissen wurden der Gesamtcholesterinwert und die Gesamt-LDL-Fraktion für das Arterioskleroserisiko erheblich überschätzt, da die gefährlichen Plaques, die die Gefäße langsam verschließen, aus oxidiertem LDL gebildet werden. Der Spiegel des oxidierten LDL lag bei diesem Patienten aber völlig im Normbereich und blieb es auch nach Absetzen der Cholesterinsenker. Es gibt Menschen, die genetisch bedingt sehr hohe Cholesterinspiegel haben und damit in bester Gesundheit über 90 Jahre alt werden. An dieser Stelle möchte ich den Neurologen Dr. Perlmutter zitieren (Literaturempfehlung 22). In seinem Buch „Dumm wie Brot“ schreibt er: „Da Cholesterin für das gesunde Gehirn so wichtig ist, bin ich wie viele meiner Kollegen der Ansicht, dass Statine, der Verkaufsschlager zur Cholesterinsenkung, den unzählige Menschen einnehmen, Gehirnproblemen und anderen Erkrankungen Vorschub leisten könnten.“ Diese Medikamente haben außerdem eine Vielzahl anderer gefährlicher Nebenwirkungen. Die beste und gleichzeitig nebenwirkungsfreie Möglichkeit, diese Plaques effizient abzubauen, ist die Einnahme von hochdosierten Antioxidantien wie Vitamin C, Coenzym Q10, Alpha-Liponsäure, Glutathion, Melatonin etc. Bei diesem und bei anderen Patienten mit Coenzym-Q10-Mangel erzielte ich die messbar besten Behandlungsergebnisse mit einem Präparat mit geschmolzenem Ubiquinol in ultrakleinen Tropfen, die direkt über die Mundschleimhaut schnell und gut aufgenommen werden. Ubiquinol ist die am besten wasserlösliche Form des Coenzyms Q10 und wird daher mehr als dreimal besser vom Körper aufgenommen als Ubiquinon. Bei manchen, preislich deutlich günstigeren Präparaten konnte ich keine nennenswerte Verbesserung des Coenzym-Q10-Spiegels im Blut feststellen.
Fall 10: Nitrostress und Halswirbelblockaden nach Treppensturz
Eine 52-jährige, sehr schlanke Verkäuferin, berichtete, dass sie fast täglich an Kopfschmerz oder Migräne leide, seit sie vor drei Jahren kopfüber eine Kellertreppe hinuntergefallen und mit dem Kinn aufgeschlagen war. Ich erklärte ihr, dass sie möglicherweise eine instabile Halswirbelsäule habe. Daraus seien wahrscheinlich Nitrostressquellen an der Wirbelsäule entstanden, verbunden mit einem erhöhten Vitamin-B12-Verbrauch. Meinen Vorschlag, zumindest einen Nitrostresstest durchzuführen, lehnte sie ab, da sie nicht privat versichert war und ihr die Laborkosten in Höhe von ca.100,- Euro dafür zu teuer erschienen. Außerdem wollte sie am nächsten Tag in den Urlaub fahren. In solchen Fällen schlage ich die Methode vor, „in den Busch hineinschießen und schauen was herausfliegt“. Ich empfahl ihr, eine Woche lang täglich 1mg Vitamin B12 zu spritzen und danach auf eine bis zwei Spritzen pro Woche zu reduzieren.

Bei der osteopathischen Untersuchung fielen zwei Halswirbelblockaden und zwei Brustwirbelblockaden auf, die ich sofort löste. Danach wünschte ich ihr einen schönen Urlaub. Sechs Wochen später kam sie zurück und berichtete, sie habe während der ersten Woche, in der sie täglich 1mg Vitamin B12 gespritzt hatte, keine Kopfschmerzen und keine Migräne gehabt. Daraufhin hätte sie versucht, auf größere Abstände zu gehen, habe aber sofort wieder Migräne bekommen. Sie spritzte sich daher über komplett sechs Wochen täglich weiter 1 mg Vitamin B12. Unter dieser Therapie trat keine Migräne mehr auf. Ich war neugierig, wie sich der intrazelluläre Vitamin-B12-Spiegel, der indirekt über die Methylmalonsäure im Urin gemessen wird, unter sechswöchiger, täglich tausendfach erhöhter Vitamin-B12-Therapie entwickelt hatte. Wir führten deshalb einen Urintest durch. Das Ergebnis war zu meiner großen Überraschung ein nur sehr geringfügig erhöhter intrazellulärer Vitamin-B12-Spiegel. Die Patientin hatte also aufgrund ihrer instabilen Halswirbelsäule so starken Nitrostress, dass sie das Tausendfache der normalen täglichen Dosis an Vitamin B12 verbrauchte, um diesen zu kompensieren und keine Migräne zu bekommen. Da es natürlich ein unangenehmer Gedanke ist, sich möglicherweise lebenslang täglich eine Spritze in Bauch oder Po setzen zu müssen, versuchten wir auf Vitamin-B12-Tabletten umzustellen. Ich verschrieb ihr Cyancobalamin-Tabletten (1mg), von denen sie täglich zwei unter der Zunge zergehen lassen sollte. Das Resultat war leider gleich Null. Die Patientin bekam einen Migräneanfall, als ob sie kein Vitamin B12 eingenommen hätte.
Es scheint also tatsächlich so zu sein, dass oral verabreichtes Vitamin B12 bei manchen Patienten nur zu einem sehr geringen Teil vom Körper in die Zellen aufgenommen wird. Man darf auch nicht vergessen, dass das Vitamin B12, um seine Arbeit in den Mitochondrien zu tun, durch zwei Membranen hindurchkommen muss. Einmal durch die Zellmembran und durch die Mitochondrienmembran in der Zelle. Damit dies gelingen kann, muss offensichtlich ein sehr hoher Spiegel im Blut vorliegen, der mit Tabletten manchmal nicht erreicht wird. Mittlerweile habe ich allerdings gute Erfahrungen mit Vitamin-B12-Kapseln gemacht, in denen das Vitamin B12 in Form von Methylcobalamin (500mcg) in Kombination mit Vitamin B6, Folsäure und Biotin enthalten ist. Bei diesen Kapseln wird durch die Kombination der vier Vitamine eine sehr gute Aufnahme erzielt, so dass bei täglicher Gabe meist ein zufriedenstellender, intrazellulärer Vitamin-B12-Spiegel erreicht wird. Vitamin B12 kann übrigens nicht überdosiert werden, da es wasserlöslich ist und nach 24 bis 36 Stunden, je nach Präparat, über die Nieren wieder ausgeschieden wird.
Fall 11: Nitrostress und osteopathische Dysfunktion nach Schleudertrauma
Eine 50-jährige Sozialarbeiterin litt seit einem Auffahrunfall, der zehn Jahre zurücklag, unter Migräne, chronischen Kopfschmerzen, Schulter-Nackenschmerzen, Tinnitus, Herzrhythmusstörungen, Wirbelblockaden, Rückenschmerzen, Bewegungseinschränkungen, kribbelnden Missempfindungen (Parästhesien) des rechten Armes, immer wiederkehrenden Schluckstörungen und chronischer Erschöpfung.

Bei der osteopathischen Untersuchung fielen mir ein ausgeprägter Muskelhartspann im Bereich der Schulter-Nackenmuskulatur insbesondere des Trapeziusmuskels, des Schulterblatthebermuskels, der Zungenbeinmuskulatur, der kurzen Nackenmuskulatur und der Muskulatur des Brustkorbs auf. Wiederkehrende Wirbelblockaden im Bereich von Halswirbelsäule (HWS) und oberer Brustwirbelsäule (BWS) ergänzten die Symptome. Die Mobilisation der Kopfgelenke löste bei der Patientin Übelkeit aus. Druckschmerzhafte Dornfortsätze an HWS und BWS wiesen auf entzündliches Geschehen bzw. Nervenirritation im Bereich des Sympathischen Grenzstrangs hin.
Ich behandelte die Patientin osteopathisch und injizierte Lokalanästhetika an Hals- und Brustwirbelsäule (Selektive Rezeptorblockaden). Um den mit einem Schleudertrauma verbundenen Nitrostress zu neutralisieren, injizierte ich zudem regelmäßig hochdosiertes Vitamin B12. Der Patientin ging es innerhalb von sieben Monaten wöchentlicher Behandlung kontinuierlich besser, bis die Migräne endlich ganz ausblieb.
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