Vater gibt zur Gehalts-Aufbesserung Nachhilfestunden in Latein. Es entsteht dabei der Eindruck, dass lateinische Verben die absolute Quintessenz des Lebens sind. Ohne diese scheint das Leben absolut sinn- und aussichtslos zu sein. Die verheulten Augen der Nachhilfeschülerinnen und der rachitisch nach vorne gebeugte Gang der Schüler nach dem Nachhilfeunterricht sprechen eine beredte Sprache.
Nur der freundlichen und mütterlichen Art von Mutter Luise und den, nach dem Unterricht gereichten Honigbroten mit schwarzem Tee ist es zu verdanken, dass sich etliche Schüler nicht gleich vor einen, hinter unserem Haus vorbeifahrenden Schnellzug werfen. Sie haben bereits erkannt, dass ein Leben ohne Latein ohne jeglichen Sinn ist.
Im Gymnasium doziert Professor Himberger, ein Mathematiklehrer, der intern Leuchtturm genannt wird. Er misst stolze 2.02 Meter, ist klapperdürr und stark nach vorne gebeugt. Seine Brille scheint aus dickem Panzerglas zu bestehen. Böse Zungen behaupten, dass er für den Deutschen Wetterdienst arbeitet. Er durchstößt möglicherweise den herbstlichen Hochnebel. Es gibt für ihn 2 Arten von Schülern: den intelligenten und den dummen Schüler.
Es sind somit in einer durchschnittlichen Klasse 28 dumme und 2-3 intelligente Schüler. Leuchtturm orientiert sich an den intelligenten Schülern, da ein dummer Mathematikschüler untauglich für das weitere Leben ist.
Bruder Wolfgang gehört in Sachen Mathematik zum Volk und nicht zur Elite. Er hat mit einer 6 den Vogel abgeschossen und ist damit der Klassenprimus von hinten. Vater läuft zuhause Amok.
Das gemeinsame Mittagessen gerät zum absoluten Albtraum. Manche Lehrkräfte, die nicht besonders nervenstark sind, haben es in der Klasse von Andreas nicht gerade leicht. Eine junge Biologie-Studienrätin wirft das Handtuch und übersiedelt vorübergehend nach Stimmverlust im Klassenzimmer und folgendem Nervenzusammenbruch in das Bezirkskrankenhaus nach Gabersee. Es handelt sich um ein bekanntes Kompetenz-Zentrum für Psychiatrie und Ähnliches. Trotzdem wird sie Jahre später als Schuldirektorin in Pension gehen!
Mobbing und Burnout im Stil von »Fukk You Goethe« gibt es in den 60er Jahren auch schon, es heißt damals nur noch nicht so. Auch Andreas sinkt im Fach »Deutsch« bei einem neuen Junglehrer auf die Note 4 ab. Der familiäre Hausfriede ist dadurch empfindlich gestört. Andreas bittet seinen Erzeuger, den nächsten Hausaufsatz ausnahmsweise einmal für ihn zu schreiben. Vater Paul erhält von seinem jungen Kollegen, der laut Originalton Paul Müller »noch feucht hinter den Ohren« ist, ebenfalls eine Note 4.
Nicht einmal eine gerade, sondern eine 4 minus. Ein kleines Fest für die Seele des geplagten Schülers! Selten hat er über eine 4, die »2 des kleinen Mannes« so gelacht und sich darüber gefreut.
»Kugelblitz«-Paul, wie er von vielen völlig verängstigten Schülern genannt wird, eilt wutschnaubend ins benachbarte Gymnasium. Es gibt damals in Rosenheim immerhin schon 3 höhere Lehranstalten. Schon damals wird klar, dass zwar grundsätzlich alle Menschen gleich sind, aber dennoch manche etwas gleicher.
Nach Vaters Rodeo-tauglichem Auftritt ist Andi´s für alle Zeiten festgeschriebene Deutschnote mindestens eine 2. Es ist dabei ziemlich egal, was er künftig schreibt! Vitamin B hat noch nie geschadet, was sich im späteren Leben noch öfter herausstellen wird. Der sehr gute Sportler und Leichtathlet erreicht bei den sogenannten Bundesjugendspielen unter den Teilnehmern aller Gymnasien Bayerns die höchste Punktzahl.
Diese Spiele gibt es heute noch, obwohl diverse Eltern wegen des darin enthaltenen Leistungsgedankens dagegen juristisch geklagt haben!
11,8 Sekunden für 100 Meter und 6,30 Meter im Weitsprung sind noch heute für einen 16-jährigen stolze Leistungen.
Diese Ergebnisse bringen ihn vorübergehend in die Talentförderung des »DLV« für Olympia 1972.
Daraus ergibt sich eine weitere Tatsache. Erfolg zieht ähnlich wie Geld Frauen an. Sie sehen in einem guten Sportler, der zudem eine relativ angenehme Erscheinung ist, eine spannende Angelegenheit in Sachen potenzieller Vervielfältigung. Auch in der Tierwelt hat der stärkste Bock die meisten Gämsen. Andreas wird im Schulhof von vielen verschiedenartigen Gämsen umstellt und fühlt sich gerne als Bock. Er wird dreimal in Folge hintereinander zum Klassensprecher gewählt. Damit ist es allerdings vorbei, als sich die Lobby der Abgestürzten und mehrmals Durchgefallenen gegen ihn formiert und in ihm einen lehrertreuen Musterschüler sieht.
Am 21. Juli 1969 landet Apollo 11 auf dem Mond. Astronaut Neil Armstrong spricht dabei den unvergänglichen Satz:
»Es ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein großer Sprung für die Menschheit.«
1970 wird ein Vertrag zwischen der BRD und Moskau unterschrieben, was etwas Entspannung des Kalten Krieges bedeutet. Ein Gehalt für begabte Schüler, das je nach Einkommen der Eltern zwischen 150 und 300 DM liegen soll, wird eingeführt. Es soll gleiche Bildungschancen für ärmere Familien bieten.
Andreas bekommt kein Schülergehalt, obwohl er gerade einen Notendurchschnitt von 1,6 geschafft hat. Vater verdient angeblich zu viel. Man merkt allerdings wenig davon, da seine Mutter aus Gründen des standesgemäßen Ansehens kein Zubrot als Raumkosmetikerin verdienen darf.
Bruder Wolfgang studiert in München Jura, was viel Geld kostet. Der Beamtensold des allein verdienenden Familienoberhauptes ist nicht allzu üppig, wenngleich sicher. Zum Ausgleich für die ihm entgangene Kohle lernt Andreas eine biegsame und bildhübsche Blondine aus dem benachbarten Mädchenrealgymnasium hautnah kennen. Sie ist schon über 21 Jahre alt und hat das Abitur noch nicht geschafft. Zweimal ist sie schon sitzen geblieben, besitzt jedoch dank ihrer betuchten Eltern ein weißes VW-Cabriolet mit roten Ledersitzen.
Dadurch werden ausgedehnte Spritztouren aller Art besonders im Sommer stark erleichtert. Das schmucke Cabriolet bietet dafür besonders im geöffneten Zustand allerbeste und variantenreiche Voraussetzungen. Andi ist dadurch zum Gegenstand des allgegenwärtigen Neides seiner Mitschüler geworden. Zwangsläufig wird der Notendurchschnitt durch die Wechseltherapie aus Sport und anderen Leibesübungen nicht gerade besser. Uschi´s Vater ist Textil-Unternehmer und Sportpilot. Er besitzt eine Cessna 152, die in Vogthareut bei Rosenheim im Hangar steht. Nun hat er einen begabten Flugschüler. Ernst zeigt diesem bei gemeinsamen Flügen, wie man die Maschine fliegt, startet und landet. Andi macht zwar keinen Flugschein, käme notfalls aber möglicherweise mit der Cessna einigermaßen heil runter.
»Kugelblitz« ist über diese Hobbies seines Sprösslings und die damit verbundenen schlechteren Noten nur wenig erfreut.
Doch der Vaterstolz siegt, wenn nach einem gewonnenen Skirennen oder einer Bestzeit im 100-Meter Lauf in der Lokalpresse gelegentlich über seinen Sohnemann berichtet wird. Eines Morgens trifft Kugelblitz im längs gestreiften, schlank machenden Schlafanzug gegen 4 Uhr morgens im heimischen Badezimmer auf die sehr erotische Uschi. Sie ist splitternackt und wunderschön!
„Guten Morgen, Herr Professor!“
Papa ist beeindruckt: „Das musst Du von mir haben! Du hast einen guten Geschmack, das Mädchen gefällt mir!“
Wunder gibt es immer wieder und man lernt nie aus. Uschi ist aber auch Spitzenklasse. Sie sieht mit ihren schlanken 173 Zentimetern und ihrem Schmollmund süß und verrucht zugleich aus. Stark fühlbare Sinnlichkeit in Parität mit Uschi Obermeier, dem legendären Kommunardengroupie der 68er Bewegung und auch Ähnlichkeit mit Brigitte Bardot in deren jungen Jahren, als sie mit Gunter Sachs Saint Tropez zur Jetset-Metropole machte. Leider kann Uschi auch bei anderen manchmal nicht »Nein« sagen. Diese Tatsache fügt ihrem jungen Don Juan heftigen Seelenschmerz zu, welcher auch körperlich fühlbar ist. Die sonst meist gute Laune ist zum Teufel, dauernd muss er an die schöne Versuchung denken.
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