Er wollte sie sehen, wollte ihre Stimme hören, aber er wollte nicht bis in ihr Innerstes vordringen. Die Scheu diesen Übergriff zu wagen begann jedoch zu bröckeln, als die Beziehung mit diesem Kevin nicht enden wollte.
An den Tag konnte er sich nicht mehr erinnern, aber dieser unterdrückte Zorn betrogen worden zu sein, ließ ihn handeln. Die Überlegung eine Spionage-Software auf ihrem Smartphone zu installieren erschien ihm folgerichtig, er hatte nur noch keinen Weg gefunden, an dieses Smartphone zu gelangen.
Dass es bereits Applikation für Spionage gab, die Gespräche abhören WhatsApp und Textnachrichten sowie die Kameradateien protokollieren konnten, war in diesem Zusammenhang äußerst hilfreich. Außerdem erschloss es die Möglichkeit, geheim die Onlineaktivität, die gespeicherten Kontakte und die GPS-Daten des Nutzers im Blick zu behalten.
Damit würde er immer wissen, wo sich das Mobiltelefon befand und da er sie inzwischen so gut kannte, dass er wusste, dass sie sich immer in unmittelbarer Nähe befand, kannte er ihren Aufenthaltsort.
Auslöser für den Entschluss seine Spionage-Software zu installieren war der Tag, den er erfolglos damit zugebracht hatte, sie zu sehen. Unsicher, ob sie überhaupt zu Hause war, hatten sich seine Gedanken immer wieder in einem Traum verfangen, der sie gemeinsam im Bett zeigte.
Es entwickelte sich ein Wachtraum, indem er sich vorstellte wie sie mit geschlossenen Augen und verschobener Decke neben ihm lag und er ihre Brüste betrachtete. Die Brüste, die eingebrannt in seiner Erinnerung dafür gesorgt hatten, dass er in dieser Nacht keinen Schlaf finden konnte.
Es hatte ihn erregt, bisher schien sie unerreichbar, nun hatte er plötzlich ein Ziel, wollte nicht mehr nur betrachten, nun wollte er mehr. Mit dem Zeigen ihrer Nacktheit hatte sie ihm ein Zeichen gesandt, hatte ihn ermutigt, mehr zu wagen. Warum hatte sie so lange gewartet, sie musste doch sein Interesse und seine Nähe gefühlt haben.
Er würde sie nicht enttäuschen, mehr denn je würde er seine schützende Hand über sie halten, würde darauf achten, dass niemand sie verletzte. Die Zuversicht bald mit ihr vereint zu sein wuchs mit jedem Zeichen, das sie ihm sandte.
Dann traf ihn die Erkenntnis, sie wollte ihm signalisieren, dass sie ihre Verbindung zu diesem Kevin als Fehler erkannte und ein Ende unmittelbar bevorstand. Nun musste er erst recht sein Programm überspielen, um den richtigen Zeitpunkt zu erkennen, er durfte keinen Fehler machen. Solch ein Fehler wie in der Mensa durfte ihm nicht noch einmal unterlaufen, sonst würde sie sich endgültig von ihm abwenden.
Lange hatte er über den besten Weg nachgedacht, dann entschloss er sich, ihr eine Datei zu senden. Es musste sich aber um eine Datei handeln, die sie ohne Bedenken öffnete. Bei einem Bild von Kevin war die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass sie diese Datei ohne bedenkenlos öffnete um es sich anzusehen.
Die Nachricht zum Bild bereitete ihm die größten Kopfschmerzen, da Kevin nicht dafür bekannt war, über einen ausgeprägten Wortschatz zu verfügen. Dieser Mangel an Begrifflichkeiten erschwerte es, die passenden Worte zu finden, ohne dass der Text unglaubwürdig wirkte. Letztlich entschied er sich für die einfache Variante und schrieb: »Ich will immer bei Dir sein.« Darin noch einen Fehler einzubauen versagte er sich.
Sein Spionage-Programm versteckte er unsichtbar in der Bilddatei, und wenn sie diese öffnete, würde sich im Hintergrund sein Programm installieren. Wenn sie die Bilddatei wieder schloss, würde sie keine Veränderung auf ihrem Telefon feststellen. Von da an konnte er jedes ihrer Gespräche hören oder Textnachrichten lesen und er konnte feststellen, wo sie sich befand.
»Frau Dr. Schmidt Reichenhall ich möchte mich zuerst für den kurzfristigen Termin bedanken aber wenn sie mich kurz erklären lassen dann werden sie verstehen welche Fragen sich für uns ergeben.« Ayla Aydin blickte zu der großen hageren Frau, deren graue Haare leicht zerzaust ihr langes Gesicht umrahmten.
Eine gewisse Ähnlichkeit mit der zweiten Frau des englischen Thronfolgers ließ sich nicht bestreiten, auch wenn sie mit etwa fünfzig Jahren bestimmt jünger war. Sie muss früh ergraut sein, dachte sie, während ihr Blick wie zufällig auf die Hände fiel. Kein Ring, also entweder unverheiratet, geschieden, verwitwet oder nur eine Ringallergie.
»Das ist mein Kollege Sven Nagel, wir bearbeiten diesen Fall gemeinsam«, sagte sie bewusst, denn sie wollte, dass er als gleichberechtigter Partner wahrgenommen wurde.
Sie schmunzelte leicht, als sie auf die beiden Stühle vor ihrem Schreibtisch wies. Sie empfand die Größenverhältnisse der beiden Beamten amüsant und konnte sich nicht erinnern, je zwei Kollegen gesehen zu haben, die so unterschiedlich waren.
Es war eine ihrer Angewohnheiten die Personen, die neu für sie waren, abzuschätzen und einzuordnen. Nach dem Ende eines Gesprächs unterzog sie ihre Einschätzung einer kritischen Prüfung. Ihre Fehlerquote war in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken, trotzdem nahm sie diese Analysen nicht weniger ernst.
Sie war zwar klein, hatte aber etwas von einem Terrier an sich. Wenn sie sich in etwas Verbiss, dann ließ sie nicht mehr los, bis sie das Problem als erledigt ansah. Ihre Sprache und Ausdrucksweise ließ einen gewissen Bildungsstand vermuten.
Ihr Kollege wirkte etwas tapsig, aber das glaubte sie nicht. Hätte man sie nach ihrer Vermutung gefragt, dann hätte sie dieses tapsige Verhalten als absichtlich unterstellt dieser Mann war gefährlicher als der Anschein, den er erweckte.
»Dann lassen Sie mal hören mal sehen, ob ich Ihnen helfen kann.« Ihre Stimme klang dunkel und voluminöser als ihr Körper vermuten ließ und erweckte den Anschein von Wärme.
Ayla erzählte von Sarah Winkler, wie sie vorgefunden wurde, und zitierte entsprechende Passagen der Untersuchungen von Dr. No. Das alles illustrierte sie mit den Bildern, die am Tatort gemacht wurden, um dann zu der Frage zu kommen, die sie interessierte.
»Natürlich haben wir schon von den unterschiedlichsten Sexualpraktiken gehört und da ist auch nichts, was uns fremd wäre, so dachten wir wenigstens bis gestern. Aber und ich muss gestehen, ich bin nicht die Einzige, die noch nie von einer Sexpraktik gehört hat, wie wir sie hier vorgefunden haben.«
Sie holte kurz Luft, sah prüfend zu Sven, der reglos lauschte, dann fuhr sie fort »das mag an meinem Verhältnis zur Sexualität liegen oder was ich vermute, es ist eine etwas ungewöhnliche wenig bekannte Sex-Praktik.«
Sie ließ sich das Ganze durch den Kopf gehen, während sie erneut die Bilder betrachtete, ohne auf Details zu achten. Energisch legte sie diese zur Seite, dann richtete sie sich etwas auf.
»Um nachzuvollziehen, was ihr Täter empfunden hat, welche Motivation ihn treibt, muss man sich diese BDSM-Praktiken der Atemreduktion oder Atemkontrolle ansehen. Es ist dieses Gefühl der Macht, da hat sich dir jemand ausgeliefert und du bestimmst über sein Leben. Zugleich ist es aber auch ein Spiel, wenn die Beteiligten mit dieser »letzten Grenze« spielen und es entsteht ein Gefühl extremer Intimität.«
Sie betrachtete die beiden wie eine Professorin, die ihre Studenten bei einer Vorlesung ansehen würde, um die Wirkung ihrer Worte zu sehen.
»Der Effekt der Atemreduktion führt dazu«, sie dachte kurz nach, wie sie es vereinfacht ausdrücken konnte, dann führte sie weiter aus »wichtig ist, dass das Gehirn mit weniger Sauerstoff versorgt wird. Das führt zu einem euphorischen, rauschähnlichen Gefühl, wie es auch bei Apnoe-Tauchern auftritt. Es gibt unterschiedliche Spielarten, um an diesen rauschähnlichen Zustand zu gelangen, aber so tief wollte ich nicht einsteigen.«
»In dem vorliegenden Fall ist es ein gegenläufiger Effekt, den der dominierende Partner einnimmt, er wird sexuell stimuliert, wenn er fühlt, wie das Leben aus dem Körper unter ihm entweicht. Dabei steigert er seine sexuelle Erregung, indem er den Tod so lange, wie möglich hinauszögert.«
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