1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 sondern wenigstens doch in Kürze in Fäulnis zerfließen,
so kann die Seele auch nicht für sich ohne Körper und ohne
eben den Menschen sein, da wie ihr Gefäß er zu sein scheint ,
oder wenn etwas andres du lieber ihm enger Verbundnes
ausdenken willst, weil der Leib ja in enger Verflechtung ihr anhängt.
Schließlich: die lebenskräftige Macht von Körper und Seele
ist in Verbindung stark miteinander und freut sich des Lebens;
nicht kann nämlich ohne den Leib des Lebens Bewegung
einzeln wirken für sich das Wesen der Seele, noch wieder
dauern, der Seele beraubt, der Leib und die Sinne gebrauchen.
Freilich: wie nicht allein, seinen Wurzeln entrissen, das Auge
sehen kann etwas selbst, vom Ganzen des Körpers gechieden,
so scheint Seele wie Geist für sich rein nichts zu vermögen .
…
So kann der Seele Natur nicht ohne den Körper entstehen
für sich allein , noch vom Blut und den Sehnen nur wenig entfernt sein.
Könnte sie nämlich das, viel eher wäre der Seele Gewalt dann
fähig, im Haupte zu sein, den Schultern oder im Knöchel,
unten, und gewohnt, zu entstehn in beliebigem Teile,
aber zu bleiben im selben Menschen dabei und Behältnis.
Da nun in unserem Leib auch klar geschieden es feststeht
und verfügt sich zeigt, wo zu sein und zu wachsen vermögen
Seele getrennt und Geist, muss um so mehr man bestreiten,
dass zu dauern imstand und zu bilden sie fern sich vom ganzen
Leibe. Ist drum vergangen der Leib, ist vergangen die Seele
auch , das musst du gestehn, die verteilt ist im Ganzen des Körpers.
Ist doch, mit Ewigem Sterbliches fest zu verbinden und meinen,
spüren könnten sie und im Austausch handeln zusammen,
Unsinn.
Harry und Béa haben kein Problem damit: Geist und Seele sind Funktionen unseres Gehirns – das ist die naturalistische Erkenntnis seit der Antike, auch wenn es immer noch Philosophen gibt, die es nicht wahrhaben wollen. Mag Herkules auch tun, was er vermag, die Katz miaut, der Hund genießt den Tag! Kampf der Philosophen gegen die Religion – zerstören die heidnische, aber eine neue, die christliche, steigt hervor, auch diese ist bald abgefertigt, doch es kommt gewiss eine neue, und die Philosophen werden wieder eine neue Arbeit bekommen, jedoch wieder vergeblich: Die Welt ist ein großer Viehstall, der nicht so leicht wie der des Augias gereinigt werden kann, weil während gefegt wird, die Ochsen drin bleiben und immer neuen Mist anhäufen – Es sind aber bloß Hasenfüße. Warum sträuben sie sich so sehr dagegen, den Geist identistisch zu sehen? Sie wollen tief drinnen ihren Geist nicht in gänzlicher Abhängigkeit vom Körper sehen. Denn wenn ihr Geist vollständig von ihrem Körper abhängt, dann müssen sie mit diesem Körper sterben. So leicht können sie ihre Illusion einer unsterblichen Seele aber nicht aufgeben. – –
Ist unser Geist eine Funktion des biologischen Organs Gehirn; und entstand dieses Gehirn wie alle Organe in der biologischen Evolution; und ist die biologische Evolution an sich ein Optimierungsprozess; – dann gilt diese Optimierung auch für die Evolution des menschlichen Geistes. Dann gilt das selektive Prinzip: dass von den spontan auftretenden organischen Variationen immer nur die vorteilhaftesten selektiv begünstigt – selektiert, bewahrt, rekombiniert und konzentriert – werden, auch für die geistigen und seelischen Funktionen. Für die Evolution unserer menschlichen Intelligenz.
Also auch unsere mentale Evolution ist ein spontan angelaufener, sich selbst verstärkender positiver Rückkopplungsprozess, bei dem die Flexibilität der Verhaltens das wesentliche Kriterium der Erhaltung der Art – das primäre arterhaltende Merkmal – ist. Dadurch wird die Intelligenz zum entscheidenden Kriterium ihrer eigenen Selektion, zum sich selbst verstärkenden Motor ihrer selbst. Die Intelligenz tritt in eine Art autistischen Wettbewerb. Die Hirnevolution wird gleichsam zu einem innerartlichen Rüstungswettlauf, bei dem die Intelligenz äonenlang in Konkurrenz mit sich selber steht. Alle natürlichen Ressourcen arbeiten zusammen für dieses eine hauptsächliche Ziel: die Optimierung der Intelligenz. Auch das folgt unmittelbar, auch wenn er es nicht explizit hervorhebt, aus der Lukrezischen Lehre. Das ist seine Philosophie zoologique . –
So können wir uns Harry gut als einen konsequenten Realisten und naturalistischen Materialisten vorstellen. In Wahrheit habe ich übertrieben und ihn als aufgeklärter hingestellt, ihm mehr moderne Erkenntnis zudiktiert, als er in Wirklichkeit hat. In Wahrheit gilt bis an sein Ende sein Fazit aus den Fragen des Nordsee-Zyklus: Und ein Narr wartet auf Antwort .
In Wahrheit ist er noch weit davon entfernt, ein naturalistischer Hardliner und Identist zu sein, wie etwa sein entfernter Cousin Karl Marx. Auch sieht er möglicherweise noch nicht einmal den Sex physiologisch, und nicht den Orgasmus als die Entladung eines elektrischen Feldes samt chemischer Folgewirkung.
Das macht aber nichts, wir können ihn ruhig klüger sein lassen, als er es zu seiner Zeit war. Ist doch, was ihm diese Einsichten verwehrt, nicht seine Intelligenz – davon hat er persönlich genug –, als vielmehr bloß der Erkenntnisstand seiner Zeit. Es ist leicht, klug zu sein, wenn man den seitherigen wissenschaftlichen Fortschritt hinter sich hat und solcherart auf den Schultern von Riesen steht; was nicht ausschließt, dass manche zeitgenössischen Denker noch auf dem Stand des 18. Jahrhunderts sind. Harry hat alle modernen Ideen bereits im Kern, verfügt aber nicht über die wissenschaftliche Basis, sie konsequent zu Ende zu denken. In Wahrheit zuckt er – im Gegensatz etwa zu seinem besagten Cousin – vor dem naturalistischen Materialismus, der ihm durchaus schon zugänglich wäre, empfindlich zurück: Er hat Angst vor den letzten Folgerungen ihres obersten Grundsatzes, und der Anhänger Condillacs erschrickt, wenn man ihn mit einem Helvetius, oder gar mit einem Holbach, oder vielleicht noch am Ende mit einem Lamettrie in eine Klasse setzt .
Daneben befürchtet er, es könnte ihm die Poesie madig machen: Was man in Frankreich den Atheismus der Materialisten nenne, sei noch immer etwas Erbauliches, etwas Frommgläubiges, im Vergleich zu den Resultaten des Fichteschen Transzendentalidealismus: Soviel weiß ich, beide sind mir zuwider. Beide Ansichten sind auch antipoetisch. Die französischen Materialisten haben ebenso schlechte Verse gemacht wie die deutschen Transzendentalidealisten .
Zwar will er die französische Philosophie nicht verunglimpfen: es gibt Stunden, wo ich sie verehre; ich selbst bin gewissermaßen ein Kind derselben. Aber ich glaube doch, es fehlt ihr die Hauptsache – die Liebe. Wo dieser Stern nicht leuchtet, da ist es Nacht, und wenn auch alle Lichter der Enzyklopädie ihr Brillantfeuer umhersprühen . Dahinter steckt das bis heute virulente Vorurteil, der Materialismus widerspräche der Liebe. Wie wenn Karl seine Frau Jenny und die gemeinsamen sieben Kinder nicht hätte so recht lieben können.
Am Ende hat er noch technikfeindliche Skrupel: Ach, eben indem ich mich in die Zeit und ihre Bedürfnisse versenke, vergesse ich mich selbst; am gefährlichsten ist mir noch jener brutale aristokratische Stolz, der in meinem Herzen wurzelt und den ich noch nicht ausrotten konnte, und der mir so viel Verachtung gegen den Industrialismus einflüstert und zu den vornehmsten Schlechtigkeiten verleiten könnte .
Da kommen zunächst die Radikalen und verschreiben eine Radikalkur, die am Ende doch nur äußerlich wirkt, höchstens den gesellschaftlichen Grind vertreibt, aber nicht die innere Fäulnis. Gelänge es ihnen auch, die leidende Menschheit auf eine kurze Zeit von ihren wildesten Qualen zu befreien, so geschähe es doch nur auf Kosten der letzten Spuren von Schönheit, die dem Patienten bis jetzt geblieben sind; hässlich wie ein geheilter Philister, wird er aufstehen von seinem Krankenlager, und in der hässlichen Spitaltracht, in dem aschgrauen Gleichheitskostüm wird er sich all sein Lebtag herumschleppen müssen. Alle überlieferte Heiterkeit, alle Süße, aller Blumenduft, alle Poesie wird aus dem Leben herausgepumpt werden, und es wird davon nichts übrigbleiben als die Rumfordsche Suppe der Nützlichkeit. – Für die Schönheit und das Genie wird sich kein Platz finden in dem Gemeinwesen unserer neuen Puritaner, und beide werden fletriert und unterdrückt werden noch weit betrübsamer als unter dem älteren Regimente. Denn Schöheit und Genie sind ja auch eine Art Königtum, und sie passen nicht in eine Gesellschaft, wo jeder, im Missgefühl der eigenen Mittelmäßigkeit, alle höhere Begabnis herabzuwürdigen sucht, bis aufs banale Niveau.
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