„Wow, was ist das hier?“, fragte Ben, jetzt für den Moment vollkommen begeistert von dem, was sich vor seinen Augen erschloss; nicht mehr darüber nachdenkend, was gerade über uns vor sich ging.
Ein gewöhnungsbedürftiges, ansaugendes Geräusch und die Verriegelung der Türschlösser, ließen mich zusammenzucken. Heinz hatte uns alle hier eingesperrt. „Heinz, ist das wirklich nötig?“, fragte ich.
„Vorerst ja. Wir wissen nicht, was dieses Ding da oben ist. Es könnte ein Luftangriff sein. Warum sonst sollten die den Fliegeralarm einschalten?“
„Ach, das waren diese komischen Sirenen", brachte sich Anna in das Gespräch ein.
„Das war mit Sicherheit kein Luftangriff, seit wann haben Bomber solche Lichter?“, wir alle wussten, worauf Ben anspielte, aber das schien uns unmöglich, es ging zumindest über das normale Denken hinaus. So etwas gab es nur im Film, nicht in der Realität. „Davon mal abgesehen war nichts von solch extremen politischen Unruhen in den Nachrichten gewesen", untermauerte Ben seine Vermutung weiter.
„Was auch immer das ist, ich könnte eine Zigarette vertragen", meinte Kai, während er in seiner Hosentasche wühlte.
„Die liegen oben auf dem Tisch", antwortete ich fast verzweifelt. Auch ich sehnte mich jetzt nach der Beruhigung, die diese Mischung aus der Tabakpflanze und diversen Süchtigmachern, zusammengepresst zu einem kleinen Stick, mit sich brachte.
„Da werdet ihr jetzt auch nicht mehr dran kommen, denn solange es da oben nicht sicher ist, geht niemand mehr hier raus", sagte Heinz mit einem sehr bestimmenden Tonfall, der mich für einen kurzen Moment ärgerte. Andererseits wollte er uns ja nur schützen.
„Wie lange werden wir hier bleiben müssen?“, fragte Anna.
„Wie gesagt, so lange wie nötig, im besten Fall können wir morgen wieder hier raus, oder auch erst in ein paar Wochen, aber macht euch keine Sorgen. Mal abgesehen von Zigaretten haben wir hier alles was wir brauchen. Strom, Wasser, gefilterte Frischluftzufuhr. Sogar eine Toilette. Oh, da fällt mir gerade etwas ein.“ Heinz ging an der Küche vorbei und öffnete eine Tür. Er ging hindurch, ließ die Tür hinter sich geöffnet, schaltete das Licht ein. So erkannte ich, dass es sich dabei um einen Vorratsraum handeln musste.
„Ich muss euch leider sagen, dass diese Vorräte für uns alle gerade mal für zwei Monate reichen, wenn wir sie gut einteilen", sagte Heinz, als er wieder in den größeren Gemeinschaftsraum zurückkam.
„Wir wollen doch hoffen, dass es nicht so lange dauert", meinte Silke.
„Wir werden sehen, aber jetzt setzt euch erst mal hin und lasst uns mal hören, was mein Weltempfänger so zu berichten hat. Er schaltete das Gerät ein, nachdem wir alle auf der Bank oder den Stühlen um den Tisch platz genommen hatten. Es war zunächst nur ein Rauschen zu hören; kurz darauf hörten wir eine Männerstimme: „Bitte bleiben sie ruhig und in ihren Häusern, Hilfe ist unterwegs. Bitte bleiben sie auf Empfang und warten sie auf weitere Anweisungen.“ Doch eine weitere Durchsage kam nicht mehr. Es war nichts mehr zu hören außer einem Grollen und fernen Explosionen, über uns auf der Erde. Es schien mir unwirklich, wie in einem Albtraum. Wir spekulierten weiter über die Geschehnisse über uns, doch alles Gerede brachte nichts. Wir konnten nur warten. Warten darauf, dass etwas passierte. Irgendetwas. Doch nichts. Die Ungewissheit, über das, was an der Oberfläche vor sich ging, machte mich fast verrückt. Ich hasste es, eine Situation nicht selbst unter Kontrolle zu haben und völlig der Willkür anderer ausgeliefert zu sein.
Auf der Uhr, die an der Bunkerwand hing, waren gerade einmal 10 Minuten vergangen, doch es fühlte sich wie Stunden an, bis etwas passierte. Ein ohrenbetäubender Knall, die Erde bebte. Ich glaubte, jeden Moment würde der Bunker über uns zusammenbrechen. Was immer das da oben war, es war ganz in der Nähe. Ich hatte Angst. Kai nahm mich und ich Anna in den Arm. Er flüsterte mir etwas ins Ohr. Worte, die nicht nur Anna und mich, sondern auch ihn selbst beruhigen sollten.
So plötzlich es begonnen hatte, so schnell war es auch wieder vorbei. Heinz holte eine Flasche Schnaps und Gläser. Heinz füllte die Gläser. „Hier. Damit wir uns von dem Schreck erholen können.“, er reichte jedem von uns ein Glas. Der Alkohol brannte unangenehm in meiner Kehle, dennoch war es genau das, was ich jetzt brauchte, um mich zu beruhigen. Immer noch zitternd nahm ich mein Handy und versuchte meine Eltern anzurufen. „Das wird nichts nützen", sagte Heinz, „Hier unten hast du keinen Empfang.“ Obwohl mein Handy Heinz’ Aussage bestätigte, wollte ich es nicht glauben. Trotzdem klickte ich mein Telefonbuch durch, bis ich die Nummer meiner Eltern gefunden hatte. Ich wollte doch nur wissen, ob es ihnen gut ging. Doch nichts, nicht mal ein Freizeichen. Ernüchterung, nicht nur bei mir, sondern bei allen Anwesenden. Wir schalteten die Handys aus. Sie hier unten an zu lassen wäre vergeudete Energie. Ich steckte meines wie gewohnt zurück in die Tasche. Sobald ich hier raus bin, versuch ich es sofort noch mal , nahm ich mir vor. Die anderen taten es mir gleich. Jeder von uns hatte irgendwo da draußen noch Freunde und Verwandte gehabt und jeder wollte wissen, was passiert war, ob sie auch irgendwo untergekommen waren und ob es ihnen gut ging. Jedem anwesenden Augenpaar konnte ich die Sorge ansehen.
Sekunden wurden zu Minuten, Minuten zu Stunden und Stunden zu Tagen. Die Zeit zog sich wie Gummi in unserem Betongefängnis. Die kahlen, weißen, massiven Wände beengten mich. Der Nikotinentzug machte mich aggressiv und die Isolation machte mich verrückt.
Es vergingen Tage, Wochen, ohne genau zu wissen, was dort oben passiert war und niemand wollte es sich so wirklich vorstellen. Das Einzige, was wir von draußen mitbekamen, war grollen ähnlich dem von Explosionen. Zeitweise bebte die Erde noch. Es war keinesfalls sicher auf der Erdoberfläche.
Oft saßen wir im Gemeinschaftsraum am Tisch und spekulierten wir darüber, was die gelben Lichter und der grüne Strahl am Himmel zu bedeuten hatten. Eindeutig hatten wir zu viele Science-Fiction-Filme gesehen, denn die einzige logische Schlussfolgerung, für dass, was wir gesehen hatten, war: Außerirdische. Außer Ben wollte aber niemand so recht daran glauben. Das wäre verrückt, das war der Stoff aus dem Filme und Bücher entstanden – keinesfalls real.
Wir versuchten uns die Zeit mit diversen Brett-, Karten- und Würfelspielen zu verkürzen, die Heinz in seinem Bunker deponiert hatte. Doch bei dem spärlichen Licht, das die Glühbirne, über dem Tisch im Gemeinschaftsraum, spendete, hatte das ganze Szenario eher etwas von einer Kneipenatmosphäre. Nur der Qualm einer oder mehrerer Zigaretten fehlte. Das Verlangen nach einer Zigarette war derzeit fast unerträglich und ich fragte mich, wann es endlich besser werden würde. Wie lange würde es noch dauern, bis der Nikotinentzug nicht mehr an Kai, Ben und mir nagte? Lediglich Mark hatte es noch schlimmer getroffen. Er zitterte vor Nervosität. Er war leichenblass, kalter Schweiß lag auf seiner Stirn und Wahnsinn funkelte in seinen Augen. Zusammengekauert saß er in einer Ecke und stammelte etwas vor sich hin. Auch für einen Nichtmediziner war zu erkennen, dass er einen anderen körperlichen Entzug zu ertragen hatte. Dagegen war leichte Aggression fast schon normal.
Als weiteren Zeitvertreib trainierte Jonas uns in verschiedenen Selbstverteidigungstechniken sowie den Umgang mit einer Waffe, allerdings ohne Munition. „Dieses kostbare Gut sollten wir nicht vergeuden", meinte Jonas, nachdem er Heinz gebeten hatte, eine Waffe aus dem Waffenschrank des Bunkers zu nehmen. Für die Männer stellte es kein Problem dar, denn Jonas hatte durch seinen Beruf, den Umgang mit Waffen gelernt. Kai hatte seine Treffsicherheit bereits mehrmals im Schützenverein bewiesen. Und auch Ben hatte beim Waffentraining im Grundwehrdienst sehr gut abgeschnitten. Neben der Tatsache, dass die Zeit auf diese Weise schneller verging, hatte dieses Training noch einen weiteren Vorteil: Aggressionsabbau. Zudem sollten wir vorbereitet sein uns zu schützen, wenn es an der Zeit war, den Bunker zu verlassen. Wir wussten schließlich nicht, was uns dort oben erwartete.
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