„Hab eine Kiste mit altem Werkzeug gefunden. Meinst du, wir könnten davon etwas gebrauchen?“, fragte Anna.
„Im Moment wäre eine Heckenschere nicht schlecht. Damit ich mich durch die Hecken im Garten zu dem andren Haus kämpfen kann.“
Wir suchten weiter. „Da ist ja eine", sagte Anna und gab mir die Schere.
„Ah, und ich habe hier ein schönes Taschenmesser gefunden", sagte ich, während ich es Anna zeigte. „Kannst du haben", fügte ich hinzu. Sie nahm es an sich. „Danke. Aber kannst du das nicht besser gebrauchen?“
„Ich hab genug Messer. Das Militärmesser, fünf Wurfmesser, zwei Kampfdolche und noch ein kleines Klappmesser. Das reicht mir erstmal.“
„Ein Militäresser hatte mein Vater auch mal, das hatte im Griff sogar einen Kompass.“, erzählte Anna.
Anna untersuchte ihr neues Taschenmesser, es schien zwar nicht viele Funktionen zu haben, Messer, Säge, Flaschenöffner, Dosenöffner Nagelfeile, Zahnstocher und Korkenzieher, aber für das zierliche Persönchen, das neben mir am Boden saß, völlig ausreichend.
„Waren in der Messersammlung aus dem anderen Haus, welches wir als Sklaven erreichen konnten, nicht noch mehr Militärmesser drin?“, wollte Anna wissen.
„Ja, noch zwei. Ich hatte eins Kai und eins Ben gegeben.“
„Ach so.“, sie blickte enttäuscht drein, für mich sah es so aus, als wollte sie auch eines haben.
Die Kerzen begannen zu erlöschen. Anna und ich legten uns auf die Schlaflager und redeten noch ein wenig. Da wir nun zu zweit waren, hätte einer von uns Wache halten sollen, doch gerade, als ich das vorschlagen wollte, war Anna auch schon eingeschlafen. Ich selbst legte mein Messer neben mich um es für den Notfall bereit zu haben. Ich versuchte mich so lange wie möglich wach zu halten, indem ich meinen Kopf mit allerhand Gedanken füllte. Allerdings brachte das nicht viel, die Müdigkeit hatte meinen inneren Zweikampf gewonnen. Gegen meinen Willen schlief ich ein.
Als wir aufwachten frühstückten Anna und ich zunächst einmal. „Wenn du nachher in den anderen Häusern bist, durchsuche ich hier oben die Schränke. Was brauchen wir?“
„Nach ganz oben brauchst du nicht zu gehen, da ist nur noch das Schlafzimmer begehbar, aber da ist nichts Besonderes drin. Im Erdgeschoss kannst du dich austoben.“
„Gut, aber worauf soll ich achten?“
„Kompass, Fernglas, Atlanten, Rucksäcke. Eure Handtaschen werden euch nur stören.“
„Na gut, ich schau mal, was ich hier oben noch alles finden kann", sagte Anna und begann sämtliche Schränke im Wohnzimmer zu durchwühlen.
„Wenn du etwas hörst, verbarrikadier dich im Keller. Ich lass’ dir das Militärmesser da, ich nehme die Kampfdolche mit.“, mit den Worten ging ich noch mal in den Keller hinab. Ich klemmte mir die beiden Dolche zwischen Gürtel und Hose und nahm die Heckenschere mit nach oben. Durch die Terrassentür ging ich in den Garten hinaus.
Mühselig kämpfte ich mich mit der Heckenschere durch das Gestrüpp. Die harten, kleinen Äste und Dornen zerrissen meine Kleidung; zerkratzten mein Gesicht und die Hände.
Natürlich hatte ich ein mulmiges Gefühl dabei, Anna alleine zurückzulassen. Für mich war sie immer noch ein hilfloses, kleines Mädchen. Deshalb nahm ich mir vor mich zu beeilen, damit Anna nicht allzu lang alleine zurückblieb.
Endlich hatte ich es geschafft durch die Hecken hindurch zu kommen. Ich schlich durch den Garten in Richtung Terrassentür. Das Glas der Tür war bereits zerstört, so konnte ich ohne Aufsehen zu erregen in das Haus eindringen. Dieses Haus war etwas moderner eingerichtet, soweit ich das unter der dicken Staubschicht erkennen konnte. Zunächst durchsuchte ich alle Wohnzimmerschränke, doch hier war nichts Brauchbares zu finden. Auch in der Küche war nichts, also ging ich nach oben in den ersten Stock. Im Schlafzimmer gab es ebenfalls nichts Besonderes; einzig die Kleidung im Schrank war um einiges moderner, allerdings für mich eine Nummer zu klein. Daher ging ich die anderen Zimmer ab. Die beiden Kinderzimmer waren wohl zuvor von Jugendlichen bewohnt worden. In dem ersten Zimmer, das ich mir ansah, hatte eindeutig ein junger Mann gelebt, der gerade bei der Bundeswehr gewesen war oder sich zumindest für den Stil interessierte. In seinem Zimmer fand ich zwei Bundeswehrrucksäcke, einen großen und einen kleinen. Ein Butterfly-Klapp-Messer, ein weiteres Taschenmesser, mit den Standardfunktionen, die Annas Messer auch hatte.
In dem zweiten Kinderzimmer fand ich nichts. Es war das typische Mädchenzimmer eines Teenagers, Spiegel, Make-up, schicke Kleidung, aber nichts was wir gebrauchen konnten. Obwohl ich mir sicher war, darin nichts Nützliches zu finden, sah ich in den Kleiderschrank. Das könnte Annas Größe sein, dachte ich und machte mich auf, Anna hier herüberzuholen.
„Ach, du bist es!“, rief Anna mir entgegen, die erschreckt zusammengezuckt war und mir ihr blutiges Militärmesser entgegen hielt.
„Ist was passiert? Du solltest dich doch im Keller verstecken", sagte ich.
„Nur eine Ratte", winkte Anna ab, „Konntest du etwas finden?“, wechselte sie das Thema.
„Ein klein wenig, aber du solltest mitkommen. Da drüben ist Kleidung, die dir möglicherweise passen könnte.“
„Das wäre gut.“, sie sah mich erleichtert an, „Wird auch Zeit, dass ich mal wieder was Neues zum Anziehen bekomme.“
Wir gingen wieder zu dem anderen Haus und ich führte Anna nach oben ins Zimmer des Mädchens. „Tob dich aus", sagte ich und ging wieder ins Zimmer des Jungen um die Messer in den Rucksack zu packen und nach weiteren nützlichen Dingen zu suchen. Etwas später kam Anna in das Zimmer des Jungen. „Du hast nicht zufällig einen Rucksack gefunden? Ich möchte mir noch etwas zum Wechseln einpacken", sagte sie mit einem seligen Grinsen im Gesicht.
„Doch hier.“, ich reichte ihr den kleineren der beiden Bundeswehrrucksäcke.
„Danke.“
Ich folgte ihr, blieb im Türrahmen stehen und beobachtete wie sie voller Eifer Slips und Socken einpackte, sowie noch zwei Jeans, vier Langarmshirts und zwei Tops. „Wofür brauchst du das alles? Ich mein, Unterwäsche kann ich ja noch verstehen aber den Rest", fragte ich.
„Na ja, ein komplettes Wechseloutfit für mich und für Ami auch was Frisches zum Anziehen. Und wir müssen noch mal mit Silke hierher kommen.“
„Das könnt ihr ja machen, während ich das nächste Haus inspiziere. Aber wir sollten wieder zurückgehen. Es wird bald dunkel und ich muss Silke holen.“
„Soll ich mitkommen?“, fragte Anna.
„Ich denke, es ist besser, du bleibst im Keller.“
Wir gingen zurück zu unserem Lager und nahmen noch etwas Dosenfutter zu uns. „Hast du eigentlich hier noch etwas gefunden?“, fragte ich zwischen zwei bissen.
„In einem der Schränke waren ein Kompass und ein paar Atlanten. Ich hoffe, damit kommen wir zurecht.“
„Werden wir sehen, nimmst du das bitte gleich alles mit runter", sagte ich und nickte zu den beiden Rucksäcken hinüber.
„Klar, aber nur wenn du die paar Klamotten für Ami mitnimmst, es wird sie sicher freuen.“
„Aber sicher.“, ich fand es rührend, wie Anna sich um ihre Schwester sorgte.
Unten im Panik-Raum wartete ich auf Ben und Silke. Glücklicherweise war der Weg durch den Wald ereignislos gewesen. Keine außergewöhnlichen Aktivitäten von Tieren, die es hier nicht geben dürfte.
Es dauerte eine Weile bis Ben und Silke kamen und zu meinem Verwundern war Kai auch dabei. Ich nahm Kai beiseite, um mit ihm über den weiteren Verlauf zu sprechen. So hatten Silke und Ben die Möglichkeit sich in ruhe voneinander zu verabschieden.
„Wolltest du nicht später nachkommen?“
„Ich musste da raus. Aber ich bin auf einem anderen Weg hierher gekommen. Du weißt, nur für den Fall, dass sie unsere Wege doch beobachten.“
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