Der in Rom gut situierte Ignazio La Brocca, so die Handlung, hat kaum seine herrschsüchtige Frau beerdigt, da steht das neue Dienstmädchen vor der Tür – Angela, die von der Frau noch kurz vor ihrem Tod angestellt wurde. Man versteht gar nicht, wie die Frau ihrem Mann ein so verfängliches Ding ins Haus lassen kann, nachdem der seinerzeit von Dr. Wertheim für Henri engagierten Krankenpflegerin Mariette von Mathilde die Tür gewiesen wurde.
Schon beim ersten Anblick schnellt der Hormonpegel des Witwers alarmierend in die Höhe. Er und seine drei Söhne gewöhnen sich schnell an die Fürsorglichkeit der neuen Dienstbotin. So wenig an ihrer Hausarbeit auszusetzen ist, gilt die allgemeine Idolatrie des Männerhaushalts doch ungleich mehr noch ihrer erotischen Attraktivität. Der ältere Sohn, Antonio, wird immer zudringlicher und lässt keine Gelegenheit aus, die junge Frau zu bedrängen. Auch der Witwer selbst kann der Versuchung nicht widerstehen und macht ihr, nach Rücksprache mit einem Priester, trotz der kurzen Zeit seit dem Tod seiner Frau einen Heiratsantrag. Sie bedingt sich dafür aber das Einverständnis seiner Kinder aus. Der 18-jährige Antonio, der 6-jährige Enzino sind einverstanden, nur der 14-jährige Nino, in seiner pubertär-chaotischen Gefühlswelt Angela blind begehrend, verweigert sich.
Nino will, besessen von seinen seit kurzem erwachten erotischen Phantasien, Angela erpressen und verlangt immer dreister nach ihrer sexuellen Gunst. In seiner pubertären Unschuld hält er sie wie vom Schicksal geschickt, um ihn in die ersten Weihen der Liebe einzuführen. Die Konkurrenz zwischen Vater und Sohn vollzieht sich mit südländischem Temperament. Zwischen Angela und Nino kommt es zu einer heimlichen Beziehung auf Gegenseitigkeit, in der sie gezwungen ist, die erotischen Bedürfnisse des Pubertiers zu befriedigen, damit dieser ihrer Verehelichung zustimmt. Nach einer Reihe überfallartiger Besuche und geheimer Stelldicheins kommt es zu Ninos sexueller Initiation. Man sieht, während draußen gerade ein Learsches Gewitter tobt, die beiden wild zusammen rangelnd im Bett und kann sich vorstellen, wie der frühreife Junge Angelas üppiges Geschlecht penetriert. Der Hochzeit zwischen Ignazio und Angela steht somit nichts mehr im Wege.
Eigentlich sollte Harry über die Pubertät schon so weit hinaus sein, um sich noch mit Nino zu identifizieren. Anderseits ist ihm dessen Drangsäligkeit nach wie vor allzu vertraut. Hat er doch immer noch keine Frau, so dass er's ihm besser nachfühlt, als ihm lieb ist. Außerdem ist die Antonelli so hinreißend sexy, dass er nicht anders kann, als im Kino unterm Regenmantel zu masturbieren. – Einmal liest er in einer Zeitung, dass die Schauspielerin die Geliebte des französischen Action-Stars Jean-Paul Belmondo ist. Eines der Flittchen, die sich der smarte Franzose unter den Nagel reißt. Nicht zu sagen, wie er ihn um die Schickse beneidet! Belmondo gehört mit zu den berüchtigsten Frauenhelden der Zeit. Wieder einmal spürt er hebephrenisch stacheligen Sexualneid.
An der Schwelle zur pornografischen Ära steht der Film Der letzte Tango in Paris des italienischen Regisseurs Bernardo Bertolucci 1972, mit Maria Schneider und dem inzwischen in die Jahre gekommenen Marlon Brando: Der 45-jährige angegraute Amerikaner Paul lebt seit einiger Zeit in Paris. Seine französische Frau Rosa hat Selbstmord begangen. Er trifft auf Jeanne, eine 20-jährige Französin, die so vor sich hinlebt. Bei der Besichtigung einer Wohnung kommt es spontan, ohne dass sie sich erst miteinander bekannt gemacht hätten, zu einem wilden Geschlechtsakt, woraufhin sie wortlos die Wohnung verlassen. Als Jeanne am nächsten Tag wiederkommt, drängt Paul darauf, dass sie einander nichts von ihrem Leben erzählen und sich künftig nur in dieser Wohnung treffen, um miteinander zu schlafen. Jeannes Verlobter Tom, ein Jungfilmer, dreht fürs Fernsehen einen Pseudo-Cinéma-vérité-Streifen über sie. Zunächst empört darüber, dass er sie nicht nach ihrem Einverständnis gefragt hat, berichtet sie vor der Kamera doch von ihrer Familie und Kindheit. Derweil forscht Paul dem Tod von Rosa nach. In der heruntergekommenen Absteige, die sie führte, besichtigt er das Bad, in dem sie sich getötet hat; ein Dienstmädchen spielt ihr Vorgehen nach. Danach streitet er mit seiner Schwiegermutter, die ein kirchliches Begräbnis mit Priester, Blumen und Karten will, während er ihr wütend einen Priester verbietet.
Das nächste Mal sieht man Paul und Jeanne nackt umeinandergeschlungen sitzen. Das Verbot, von ihrem Leben zu erzählen, halten sie ein. Paul erzählt aber von seinen Eltern und seiner Jugend im ländlichen Amerika; Jeanne erzählt von ihren bisherigen sexuellen Erfahrungen und masturbiert. Wie Paul entdeckt, war einer der im Hotel einquartierten Bewohner, Marcel, der Geliebte seiner Frau. Paul und Marcel haben eine lange Unterhaltung, doch versteht Paul nicht, was Rosa in ihm gesehen hat. Beim nächsten Treffen vergewaltigt Paul Jeanne und erzwingt mit Butter als Gleitmittel analen Verkehr. Aus Revanche verpasst sie ihm mit einem Plattenspieler einen Stromschlag. Jeanne trifft erneut Tom, der ihr vor laufender Kamera vorschlägt, in einer Woche zu heiraten. Tom möchte mit ihr eine ,Pop-Ehe' führen. Von der Brautkleidanprobe läuft sie über zu Paul. Sie erklärt ihm, in ihm den Mann fürs Leben gefunden zu haben. Er fordert sie auf, sich die Fingernägel zu schneiden und ihre Finger in seinen Hintern zu stecken. Dann begibt er sich in den Raum, in dem seine Frau aufgebahrt liegt, und hält einen anklagenden Monolog. Weinend bringt er hervor, dass er in ihrer Ehe keine Zuneigung gefunden, dass sie ihn belogen und betrogen habe.
Als Jeanne wieder in die Wohnung kommt, ist Paul ausgezogen. So holt sie Tom, um die Wohnung zu besichtigen. Tom gefällt sie aber nicht. Jeanne verlässt die Wohnung nach Tom. Auf der Straße läuft ihr Paul nach, breitet sein Leben vor ihr aus und schlägt ihr vor, dass sie heiraten. In einem Lokal mit einem biederen Tangowettbewerb Pariser Bürger versucht er vergeblich, sie zu überzeugen. Sie stören mit ihrem Tanz die Paare auf der Tanzfläche und Paul zeigt der Wettbewerbsleitung den blanken Hintern. Schließlich ziehen sie sich in eine Ecke zurück, wo sie ihm mitteilt, dass es aus ist, und ihn dabei mit der Hand unterm Tisch letztmalig befriedigt. Sie verlässt den Ort, doch er folgt ihr durch die Stadt, sie flüchtet in ihre Wohnung und nimmt aus einer Schublade die Pistole ihres Vaters. Er fragt nach ihrem Namen, und noch während sie ,Jeanne' sagt, gibt sie einen Schuss auf ihn ab. Er bleibt tot auf dem Balkon, und sie murmelt Sätze vor sich hin, die sie später der Polizei gegenüber aussagen wird: dass sie ihn nicht kenne, dass er ein Verrückter gewesen sei, der sie verfolgt und vergewaltigen habe wollen. „Ich weiß nicht, wie er heißt.“ –
So kreist der Film thematisch um den Daseinsschmerz und die Unterdrückung des Individuums durch gesellschaftliche Institutionen und Erwartungen. Er polarisiert die Kritik, einige Sexszenen werden als erniedrigend und inakzeptabel empfunden. Die Bewertungen reichen von der Anerkennung als Meisterwerk bis hin zu entsetzter Ablehnung. Vorübergehend Opfer der Zensur, gerät der Film zu einem kassenträchtigen Skandalerfolg, der dem verblassten Starruhm Brandos wieder aufhilft. Bertolucci erlaubt ihm, in einigen Szenen zu improvisieren und Erfahrungen aus seinem Leben einfließen zu lassen. Marlon ist einer der wenigen Weltstars, die sich für ein so freizügiges Spiel zur Verfügung stellen. Harry kennt die meisten seiner klassischen Filme und wundert sich, wie er es sich leisten kann. Er versteht nicht alles in dem Film, hat aber das Gefühl, als müssten sich die Probleme darin auch anders lösen lassen. Marlon, der bereits seit längerer Zeit an Lungenfibrose leidet, stirbt 2004 im Alter von 80 im UCLA Medical Center in Los Angeles an Lungenversagen. Im Kreise der engsten Angehörigen wird er vier Tage darauf an unbekannter Stelle in LA eingeäschert. Unter Aufsicht von Tarita, Maria Christina Ruiz, deren Schwester Angela, und seinen Kindern Miko, Teihotu und Tuki wird die Hälfte seiner Asche im Death Valley vom Wind verweht. Die andere Hälfte nimmt Tarita mit und verstreut sie 2005 auf Tetiaroa in einer Lagune. Wie Storm auf Plattdeutsch schrieb:
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