Es war bereits Nachmittag geworden als der kleine Trupp die Furt erreichte. Sie waren am Fluss entlang in Richtung Süden geritten und waren so automatisch an die Furt gelangt, die sie von Aldomark trennte. Conall gab den Männern, die er befehligte, ein Zeichen sich direkt am Ufer zu versammeln. Er wartete kurz, aber als er sah, dass sein Vater seine eigenen Männer zurückhielt, kam er auf ihn zu geritten.
„Warum lässt du deine Männer anhalten?“, fragte er unwirsch. „Es wird bald dunkel werden und wir stehen direkt vor Aldomark. Worauf warten wir noch?“
„Conall, ruf deine Männer hierher zurück. Wir werden nicht nach Aldomark hinüber reiten, sondern hier unser Nachtlager aufschlagen und morgen früh weiter südwärts ziehen. Kieran wird die Sache für uns klären und mit der Sklavin zurückkehren!“ Mit diesen Worten saß Achaz vom Pferd ab und teilte die Männer ein, damit sie das Nachtlager vorbereiteten.
„Was?“ Conall war so aufgebracht, dass er fast schrie. „Das ist nicht dein Ernst!“ Wütend sah er zu Kieran hinüber. „Was hast du vor?“, fragte er lauernd seinen jüngeren Bruder. „Du führst irgendetwas im Schilde, das weiß ich. Wollt ihr mich hintergehen?“
„Genug!“ Achaz Stimme donnerte über die Waldlichtung am Fluss. „Es reicht! Noch entscheide und befehle ich!“ Ja, sie standen hier direkt vor Aldomark, dem kleinen Waldland, in dem sich Conalls Sklavin verbarg. Er hätte sie jetzt holen können, er hätte ganz Aldomark mit ihren Männern einfach überrennen können. Und Conall hatte auch genau das vor. Das konnte Achaz deutlich in den Augen seines Erstgeborenen sehen. Aber der Ausdruck auf Achaz` Gesicht ließ keinen Zweifel daran, dass er in dieser Sache absolut keinen Widerspruch zulassen würde. Denn wie so oft, hatte nicht sein erster Sohn recht, sondern sein jüngster. Was ihn wieder einmal mehr zu der Frage brachte, wer von den beiden wohl ein besserer Herrscher sein würde. Wenn Kieran sich doch bloß mal endlich eine Frau nehmen würde!
Kieran musste heimlich schmunzeln, als er seinen Vater beobachtete, wie er so scheinbar kühl blieb, trotzdem er so manches Mal innerlich mit sich rang. Auch wenn er manchmal weich werden konnte, vor seinen Männern aber wusste sich Achaz stets gut in Szene zu setzen.
Der erste Tag in ihrer neuen Zuflucht hatte sich dem Abend zugewandt und Freya war den ganzen Nachmittag über nicht aus Damasos Zimmer hinaus gekommen. Sie war zu verwirrt und sie fühlte sich schuldig, dass Damaso sich offensichtlich so elend fühlte. Sie hatte ihn nicht verletzen wollen, aber genau so wenig wollte sie verletzt werden.
Er war den Rest des Tages nicht mehr in seinem Zimmer erschienen. Offenbar wollte er sie nicht dort antreffen. Aber Freya wusste auch nicht, wohin sie sich wenden konnte. Außer Markward und Silva sprach niemand hier ihre Sprache und sie wusste nicht wohin die beiden gegangen sein konnten oder wo ihre Zimmer lagen und konnte auch niemanden danach fragen. Sie fühlte sich schrecklich hilflos.
Später, als es dunkel wurde, kam Damaso endlich zurück, in seinen Händen einen großen Berg Decken. Er vermied es ihr tief in die Augen zu schauen, als er das Zimmer durchquerte und auf der Wand gegenüber dem Bett noch ein Lager aus den Decken errichtete.
Als er damit fertig war deutete er mit der Hand auf das Bett, danach auf Freya, dann drehte er sich zur Lagerstätte um, die er gerade geschaffen hatte und deutete auf sich selber.
Anschließend nahm er sie an die Hand und ging mit ihr hinaus.
Freya verstand nicht ganz, was er wollte und zögerte ein wenig ihm zu folgen. Damaso suchte nach den passenden Worten, fand sie aber wieder nicht. Er musste unbedingt mit Markward sprechen ...!
„Essen.“, sagte Damaso, als er Freyas fragenden Blick begegnete und zog sie mit sich.
„Wohin gehen wir?“, fragte Freya vorsichtig, wusste aber, dass sie keine Antwort bekommen würde. Damaso steuerte auf eine Gruppe Frauen zu, die schwatzend um ein kleines Feuer herumsaßen, über dem es in einem Topf köchelte, aus dem es wunderbar duftete. Freya lief das Wasser im Munde zusammen.
Damaso bedeutete ihr sich hinzusetzen, was sie auch brav tat, wandte sich selber aber wieder zum Gehen um. Sofort war Freya wieder auf den Beinen, um unsicher nach Damasos Hand zu greifen. Doch er konnte sie nur fragend anblicken. Offensichtlich hatte sie nicht verstanden, dass sie hier bei den Frauen bleiben sollte. Er würde ganz dringend mit Markward reden müssen!
Aus der Gruppe der Frauen löste sich eine Gestalt, - es war Silva, die Freya vorhin beim Baden geholfen und ihr etwas zu essen gebracht hatte. Silva nahm sie bei der Hand und zog Freya zu den anderen Frauen hinüber.
„Lass Damaso gehen. Er ist auf dem Weg zu Kosmo, um mit ihm zusammen zu essen und zu reden. Es wäre ein Gespräch, das du wahrscheinlich nicht verstehen würdest. Sie sprechen beide nicht deine Sprache, obwohl Damaso wohl durchaus daran gelegen ist sie zu lernen! Stattdessen mache ich dich mit einigen anderen von uns bekannt.“ Dann zeigte sie der Reihe nach auf die einzelnen Frauen, die am Feuer Platz genommen hatten: „Kevina kennst du bereits, … das ist Ediga, … zu ihrer linken sitzt Anah, … dann kommen Brighid, Emerena und Gwynae. Setz dich zu uns und wir können reden.“ Ein wenig erleichterter darüber, dass sie doch nicht ganz so alleine und hilflos unter den ihr fremden Frauen war, nahm Freya ebenfalls wieder in ihrer Runde Platz. Sie hatte sich schrecklich gefühlt, heute Nachmittag, so ganz allein. Nun war ihr ein wenig wohler zumute. Und immerhin sprach Silva ihre Sprache!
Die anderen Frauen stellten allerlei Fragen, die Silva für Freya übersetzte, und Freya gab ihrerseits bereitwillig Antworten auf all die Fragen. Sie hatte aber kaum Gelegenheit selber Fragen zu stellen und fragte sich insgeheim, ob alle Elbenfrauen wohl so neugierig seien. Und immer wieder griff die eine oder andere nach ihren Haaren, um ihre langen, goldenen Strähnen durch ihre Finger gleiten zu lassen. Freya verstand diese Geste nicht, nahm aber an, dass die anderen Frauen es sehr amüsant fanden, dass sie selber ebenfalls elfengleiche Haare hatte, und ließ es auf sich beruhen.
Insgesamt wurde es ein fröhlicher und unterhaltsamer Abend. Zu später Stunde wurde auf dem großen Festplatz mit allen Bewohnern des Waldes noch gesungen und getanzt. Wie Freya erfuhr, war das stets ein fester Bestandteil des gemeinsamen Abendessens, das selber in kleinen Gruppen stattfand, dafür aber redete, sang und tanzte anschließend jeder mit jedem.
Es kam Freya etwas befremdlich vor – so etwas kannte sie nur von großen Dorffesten, und die fielen meist immer etwas rüde aus, wenn die ersten Gäste bereits zu viel getrunken hatten. Außerdem brauchten die Dorfbewohner in ihrem Land schon ganz besondere Anlässe, um ausgiebig zu feiern. Aber das hier war ganz und gar nicht so, wie sie es gewohnt war. Die Elben waren kein lautes und ausschweifendes Volk, das nicht wusste, wenn es zu viel wurde. Sie sangen alle sehr leise und der Gesang hörte sich eher wie ein wunderschön melodisches Flüstern des Windes in den Bäumen an. Auch ihr Tanz wirkte sehr elegant, fast schon als schwebten sie über dem Erdboden dahin. Und sie brauchten auch keinen besonderen Grund zum Feiern: Sie feierten einfach das Leben, und was die Natur ihnen zum Leben gab.
Freya konnte vor Verzauberung längst nicht mehr denken. Sie schwelgte nur noch in Melodien und Lichtertänzen, bis ihr ganz schwindelig wurde. Sie war vollkommen in einer anderen Welt, aus der sie sich nicht mehr lösen wollte! Und doch zog etwas an ihr, um sie aus der Verzauberung zu lösen. Aber sie wollte es gar nicht, und wehrte sich gegen diesen Zwang.
Irgendwann wurde sie sich Damasos bewusst, der sie am Arm zog und auf sie in seiner Sprache einredete. Und irgendwann war sie so klar im Kopf, dass sie verstand, was er von ihr wollte.
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