„Aber ich hab mir irgendwann eine geheime Taktik überlegt, um diesem Problem soweit wie möglich, aus dem Weg zu gehen.
Ich habe festgestellt, wenn ich die Squirelfrauen mit ‚bunterschöne Dame‘ und die Squirelmänner mit ‚anmutiger Squirel‘ anspreche, komme ich über den ersten Stolperstein hinweg. Handelt es sich um ein längeres Gespräch, so erwähnen sie von selbst ihre Verwandtschaftsverhältnisse und dann muss ich nur noch eins und eins zusammenzählen und ich weiß, wer mein Gegenüber ist“, philosophierte Squid weiter seine Lebensweisheiten, stolz über seine ausgeklügelte Taktik.
Es folgten Erklärungen von Erschütterungen, die diese Höhle einst verwüstet hatten und vieles, vieles mehr.
„Wie kann es sein, dass Ihr so unbeschwert und offen über euer Leben berichtet? Ihr kennt uns doch eigentlich nicht!“, sprach Margret daraufhin ihren Gedanken, der sie schon seit ihrer Ankunft beschäftigte, aus.
„Ihr sollt nicht glauben, dass wir euch nicht kennen. Es ist so, Erinnerungslibellen geben auch unter bestimmten Umständen ihre Erinnerungen insoweit frei, dass wir sie uns anschauen können. Durch Anwendung einer geheimen Hypnosetaktik entlocken wir ihnen ihre Geheimnisse und lernen somit einiges, was so auf der Erde vor sich geht. Es gibt ein Libellenhaus, in dem Squirels arbeiten und als Geschichtsschreiber tätig sind. Wir haben lange vor eurer Ankunft erfahren, dass Sie, Margret, ein Mitglied der Königswesenfamilie Choclair bist und Sie, Hubertus, ein angesehener Smaragdkäferlinger sind. Ihr werdet es nicht glauben, aber die eine oder andere Erinnerung von euch schwebt jetzt über die Felder. Hier bei uns sind alle gleich“, erläuterte Squid und grinste dabei schief.
Als die Zeit dann fortgeschritten war, geleitete Squid Margret in einen kleinen Raum, unterhalb des Hauses, in dem erstaunlicherweise ein für Margrets Größe passendes Bett stand. Margret schossen so viele Fragen durch den Kopf.
„Ich habe es nach dem Besuch bei dem Squirelmeister in Auftrag gegeben, nachdem klar war, dass ihr zumindest eine Nacht hier verbringen werdet“ erzählte Squid mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen. „Ich werde dich in einigen Stunden wecken kommen, um euch das Wunder der Felder von Squirilion zu zeigen“, schwärmte er, während er bereits den Rückzug antrat und mit seinen kurzen Beinen die Treppe hinaufkrabbelte.
Kapitel 12
DAS WUNDER VON SQUIRILION
Als Margret die Augen wieder aufschlug, stand Squid bereits mit einem großen vollgestellten Tablett vor ihr, wünschte einen guten Appetit, mahnte kurz zur Eile und wackelte aus dem Zimmer.
Nachdem sie aus dem Bett geschlüpft war, sich kurz streckte, jenes, was auf dem Teller lag, griff und sich in den Mund schob, huschte sie nach oben, wo sie auf die beiden bereits wartenden Begleiter traf. Sie hatte so gut in diesem Bett geschlafen, wie in dem des Smaragdschlosses. Aber das, worauf sie biss, fühlte sich in der Konsistenz seltsam auf ihrer Zunge an. Sie hätte es lieber genauer in Augenschein nehmen sollen, bevor sie es aß. Es fühlte sich wie unzählige Saugnäpfe an.
Es musste noch früher Morgen gewesen sein, denn nur wenige Leuchtwürmchen schwirrten in luftiger Höhe durch die Gegend und verbreiteten ein dämmeriges Licht.
Alle drei machten sich bei dem schummrigen Leuchten auf den Weg. Dieser führte sie weit hinaus aus der Stadt, erst durch verwinkelte Gassen, bis sie zu einem Torbogen kamen, der wohl zu einer Stadtmauer gehörte und auf dem in für Margret nicht entzifferbaren Zeichen etwas geschrieben stand.
Hätte Squid sie nicht durch dieses Wirrwarr an Straßen geführt, so hätten sich die beiden wahrscheinlich gnadenlos verlaufen. Margret versuchte sich immer noch die Gegend einzuprägen, durch die sie gingen, bis sie auf einem ausgetretenen Feldweg landeten, dem sie wiederum einige Zeit lang folgten. Die Welt hier unten sah für Margrets Augen so befremdlich aus.
Während der ganzen Zeit erzählte Squid unablässig von seiner und der Geschichte der Squirels, bis sie an ein riesiges bewachsenes Feld gelangten. Geschlossene Blütenknospen hielten ihre Köpfe nach unten, als wären sie tief in ihren eigenen Träumen versunken und die großen tellerartigen Blätter schlugen sich um den Leib der Blumen, als würden sie diese einhüllen, um sie vor Kälte zu schützen. Nur wenige Leuchtwürmchen schwebten wie hypnotisiert über diese Flur, immer in der Gefahr, mit einem anderen schwirrenden Würmchen zu kollidieren. Sie wirkten ganz benebelt.
Doch jedes Mal, wenn Margret beinahe das Herz stehen blieb, weil zwei von ihnen auf so direktem Wege aufeinander zusteuerten, dass ein Zusammenstoß unvermeidlich schien, ließ sich eines einige Zentimeter tiefer fallen und flog dann unbeirrt weiter. Frieden, Ruhe und Harmonie erzeugte dieser Anblick, wie Margret sie noch nie gespürt hatte.
„Jetzt dauert es nicht mehr lange“, hauchte Squid von der Seite.
Einen flüchtigen Moment später erleuchtete in der Mitte über dem Feld ein Licht, das wie eine durch Pergament scheinende Kerzenflamme wirkte, immer mehr an Kraft und Stärke gewann und alles im Umkreis von mehreren hundert Metern beschien.
Es begann sich in eine Blase zu bilden, die mit jeder Sekunde, die verging, immer größer wurde, bis sie zu guter Letzt genau in der Mitte ganz leise aufriss. Aus dem Riss schwebten nach und nach glitzernde, schimmernde Dinge in Richtung Boden, bis Margret letztendlich erkannte, dass es sich bei diesen funkelnden Dingen um hauchzarte Flügel von filigranen Libellenkörpern handelte. Sie trudelten heraus, bekamen auf der Hälfte der Wegstrecke nach unten Leben eingehaucht, verteilten sich über dem Feld und landeten auf den schlafenden Blumen.
„Das sind unsere Erinnerungslibellen“, hörte Margret Squid stolz sagen, der seine Hände andächtig gefaltet hatte.
Wie gefangen fühlte sich Margret beim Anblick dieses Wunders.
„Jeden Tag um diese Zeit herum, trifft die Lieferung von Erinnerungslibellen ein. Wir wissen nicht, woher sie kommen und wer sie sammelt, dass sie so zu uns kommen. Wir wissen auch nicht, was hinter dieser Membran dort oben ist, aber es ist unsere Aufgabe, uns um diese Libellen zu kümmern“, erklärte Squid. „Aber wenn jeden Tag immer wieder neue Erinnerungslibellen hier ankommen und keine von ihnen jemals diesen Ort verlässt, wo bleiben sie dann alle?“, fragte Margret daraufhin.
„Es ist so, wo wir uns befinden, siehst du eines von zweitausendneunhundertachtundsechzig Feldern, die sich in diese Richtung erstrecken.“ Um seine Erklärung zu untermalen, zeigte er auf den Horizont aus roten Blüten. „Wir haben nicht nur die Aufgabe, uns um die Erinnerungslibellen und die Blütenmeere zu kümmern, nein, wir sind auch immerfort dabei neue Felder anzulegen, also auf Feldern mit Hilfe von Samen des Liebeskelches, diesen Namen trägt die Pflanze, die ihr hier seht, neue Lebensräume zu erschaffen.“
Nachdem die letzte Libelle zu Boden geglitten war, machten sich Margret, Hubertus und Squid auf den Weg, die Felder zu durchqueren.
Mit den Libellen kamen auch die Leuchtwürmchen, unzählige schwirrten herbei und verbreiteten ihr Licht, als strahlten sie um die Wette. Als sie sich alle versammelten, wachten die schlafenden Blüten aus ihren Träumen auf, richteten sich nach oben und entfalteten Stück für Stück ihre prächtigen Blütenblätter in Purpur. Die Kelche reckten sich gierig in die Höhe, während die Blätter sich aus der Umarmung mit den Blütenkörpern lösten.
„Gibt es einen Grund, weshalb die Libellen so unterschiedlich aussehen?“, erkundigte Margret sich, als sich eine graue Libelle auf ihrer Schulter kurz nieder ließ, um sich dann sofort wieder in die Lüfte zu erheben und in den Weiten des Feldes zu entschwinden.
„Wenn ihr euch die Libellen genauer anseht, dann werdet ihr nicht nur erkennen, dass ihre Muster und ihre Farben immer einzigartig sind, sondern auch, je nachdem welche Erinnerung sie in sich tragen, sie bunter und farbenfroher in ihrem äußeren Erscheinungsbild sind. Gegenteilig verhält es sich mit den ungewollten Erinnerungen, diese Libellen sind zwar nicht weniger filigran in ihrer Musterung, doch die Farben sind melancholisch und bedrückend. So eine versuchen wir jetzt zu finden. Ihr habt euch eine Rarität ausgesucht, ein jeder der das Schattenreich betreten will, muss diese bei sich haben, um den Fluss zu passieren. Aber das wisst ihr ja bereits.
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