Obscuritas
Wenn das Dunkel kommt......
Fantasy-/Mysterieroman von
Jutta Pietryga
Inhaltsverzeichnis
Der Traum 4
Die Kinder 15
Der Ort 22
Betty und Jane Carter 27
Auf dem Friedhof 34
Rick 45
Die Martinez 47
Im Wald 54
Noah Wheiley 68
Der Fremde 73
Joseph Finley 76
April 78
Rick 124
Mary 130
Unter der Sakristei 137
Der Bus 151
Noah 154
Mary 167
Die Anderen 171
Joseph Finley 174
Jason Farlow 177
Joseph Finley 180
Die Kirchenchronik 183
Der Bus 185
Die Kirchenchronik 196
Noah und Sarah 200
Ava 204
Der Bus 218
Bud Spencer 225
Hilda 227
Steve Harrison 229
Der Bus 231
Alpha et Omega 237
Steve Harrison 244
Robert Jones 248
Im Bus 252
Aufbruch zur Stadt 257
Obscuritas 269
Marshall Grant 283
Luke Butler 290
Rick 293
In der Kirche 301
Die Turnhalle 305
Noah 310
Evakuierung 317
Emilio Sanchez 319
Philipp Marlow 321
Die Turnhalle 324
In der Kirche 327
Noah 329
Philipp Marlow 331
In der Kirche 336
Joseph Finley 346
Aaron 350
Das Licht 353
Das Hotel 361
Auf dem Weg zur Stadt 369
Der Leuchtturm 376
In der Bar 377
Exorzismus 385
Auf dem Leuchtturm 393
Sarah 398
Der Traum
Die Kleinstadt lag im Dunkeln. Lichtlose Fensterhöhlen schauten auf verwaiste Straßen. Schwer summend schwebte der Ton der Kirchturmuhr durch den Ort, unbeirrt davon, ob jemand ihm Beachtung schenkte.
Den braunen Teddy im Arm durchlief das Kind soeben die Tiefschlafphase:
Im Traum sah es auf die Siedlung herab: Es erfasste den Weg, der aus dem Ort herausführte. Dunst wabte außerhalb der schlafenden Stadt, über den Feldern und Wiesen, da, wo die Schafe weiden. Trotz des Nebels erkannte der Junge deutlich den Pfad, der sich hinauf bis in den Forst schlängelte. Das Kind schauerte im Schlaf, es mochte den Wald nicht, kam ihm bedrohlich vor, als wollte er ihn verschlingen. Oberhalb der Baumwipfel wurde es zögerlich heller, behäbig stieg der Mond über den Baumkronen empor. Es war Vollmond. Und heute zeigte er sich zum letzten Mal. Ein Luftstrom streichelte die Bäume, erzeugte sanftes Rauschen, fuhr in das gefallene Laub, das den Waldboden bedeckte. Der Wind ließ die Blätter auf dem Boden tänzeln. Knisternd rieb das trockene Blattwerk gegeneinander. Bezeugt vom bleichen Auge des Erdtrabanten schälte sich aus dem Dunkel des Unterholzes eine Gestalt. Suchend sah sie umher, stellte sich unter die uralte Eiche. Schwarzes Haar flatterte in dem Lüftchen, das allmählich an Stärke gewann. Dem Jungen kam diese Erscheinung bekannt vor. Er wusste, er hatte sie bereits einmal gesehen.
Das Wesen erweckte einen düsteren Eindruck, wie es da stand und auf den Ort starrte. Irgendetwas beschäftigte es unmäßig. Nach einer Weile reckte sich das Geschöpf, stellte sich dabei auf die Zehenspitzen. Anschließend ging es in die Hocke, stieß sich ab, sprang in die Höhe und verschwand. Die Blätter der Eiche raschelten heftig. Protestierend breitete eine Eule, die dort Posten bezogen hatte, ihre Schwingen aus. Krächzend flog sie davon. Das Blattwerk des knorrigen Baumes sah deutlich dunkler aus.
Der Mond, der über den Wipfeln leuchtete, warf einen bizarren Schatten auf die Erde. Eine Zeitlang verharrte er, schickte gelbes, kaltes Licht auf das Land. Schließlich wanderte er weiter, hinunter zum Ort. Sein kühler Schein streifte die Gebäude, die unbelebt in der Dunkelheit standen. Forschend schien er mal in jenes, mal in ein anderes Fenster. Ein Haus mit hellblauen Schindeln, schützend von einem weißen Lattenzaun umgeben, ließ ihn innehalten. Zielbewusst kletterte er die blaue Hauswand empor. Am Sprossenfenster des ersten Stockes hielt er inne, betrachtete die Gestalt im Bett. Der Mond lächelte triumphierend. Suchend tastete sein Schein im Zimmer umher, verharrte erneut auf dem Antlitz des Kindes.
Die Helligkeit störte den Kleinen nicht. Er schlief den Schlaf der Unschuldigen.
Nach geraumer Zeit verschwand der Mond hinter bleischweren Wolkenklumpen.
Von irgendwoher ertönte jämmerliches Fiepen, steigerte sich zum Winseln, um in verhaltenes Bellen umzuschlagen, das zu drohendem Knurren wuchs.
Das von der Sommersonne gebräunte Gesicht des Jungen erbleichte. Kalkweiß, wie die Zimmerwände, sah es aus, fortgewischt, der friedliche Gesichtsausdruck. Gleich einer Statue lag er da. Die vor Kurzem lächelnden Lippen aufeinander gepresst, lediglich nur als Strich zu erkennen. Unruhig zitternd fuhren zarte Armee auf der Bettdecke umher. Die zu Fäusten geballten Hände hämmerten verzweifelt auf die Zudecke. Abwehrend streckte der Junge die Arme vor, sein Leib zuckte. Er drückte den Körper nach oben, als wollte er etwas abschütteln. Das geschah dermaßen heftig, dass der geliebte Teddy auf den Boden fiel. Erschrocken glotzten die Glasaugen des Teddys zur Zimmerdecke.
Unverständliche Worte flossen über die bläulichen Lippen des Jungen. Regungslos lag er auf dem Bett, öffnete dann ruckartig die Augen. Grauen erfüllt starrten sie nach oben. Die schmächtige Kinderbrust hob und senkte sich heftig.
Er hörte sie noch, diese flüsternden Stimmen, sah noch ihre grässlichen Gesichter, ihre grauenhaften Gestalten, die um ihn herum tanzten:
"Komm mit uns. Du gehörst zu uns", raunten sie ihm zu. Die Wesen ließen nicht von ihm ab, zerrten an ihm . Sie sollen endlich damit aufhören! Der Junge steckte in dem eigentümlichen Moment zwischen Wachsein und Schlafen. Er wusste, ein Traum hielt ihn gefangen und er war nicht im Stande, diesen zu ändern. Wenn er sich aber konzentrierte, war es vielleicht möglich, das Geschehen zu manipulieren. Er musste die Realität herbeizwingen. Abrupt setzte er sich auf, als würde es passieren, wenn er es inbrünstig wünschte. Schutz suchend beugte er den Oberkörper vor, riss den verkniffenen Mund auf. Dann schrie er. Schrille, panische Schreie bahnten sich ihren Weg. Warm lief es seine Beine entlang. Das war ihm egal. Er wollte nur schreien!
Mit besorgten Gesichtern stürmten die Eltern, April und Rick Falcon ins Zimmer. Bei den ersten Aufschreien wussten sie, Norman plagte wieder einen dieser Albträume. Dessen ungeachtet fragte Rick:
"Was ist los? was ist passiert!"
Forschend huschten seine Augen durch das Kinderzimmer. Mit gewollt lässigen Schritten trat er zum Fenster, überprüfte es betont auffällig.
Selbstverständlich war es verschlossen, dachte, wusste er, kontrollierte es jedoch trotzdem, wie er es immer tat. Er setzte sein "Es-ist-alles-in-Ordnung-Gesicht" auf, checkte, wie stets die Schränke. Norman sollte sich behütet wissen. "Das unter-dem-Bett-Gucken" unterließ er heute. Das Vorherige musste zur Beruhigung ausreichen.
Rick war hundemüde, wollte zurück ins Bett. Ein schlechtes Gewissen beschlich ihm augenblicklich bei diesem Wunsch. Aprils Miene bestärkte das Gefühl zusätzlich. Sie drehte ihr Gesicht beiseite, hob indigniert eine Augenbraue, wie immer, wenn sie ungnädig war. Ihr vorwurfsvoller Blick malträtierte ihn. Schließlich bückte sie sich, holte das Versäumte nach:
"Niemand unter dem Bett, Liebling", versicherte sie.
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