Tränen stiegen in Normans graue Augen auf. Rasch setzte sie sich auf die Bettkante, nahm ihn tröstend in die Arme. Zärtlich strich sie ihm die feuchten, blonden Haarsträhnen aus dem verschwitzten Gesicht, lächelte ihn liebevoll an. Während sie beruhigend auf ihn einredete, wiegte sie ihn sanft. Die besorgten Augen der Eltern trafen einander:
"Wann hören diese Albträume endlich auf," dachten sie.
Eine Weile genoss Norman die Geborgenheit der mütterlichen Arme. Dann strebte er fort, wollte zum Vater,überlegte:
"Dad war stärker als Mama, würde ihn besser beschützen. Außerdem ist Dad der Sheriff".
Normans Lippen zitterten. Zaghaft lächelte er, in der Hoffnung, dies könnte die Furcht vertreiben. Über Ricks Schultern gewahrte er Linny. Zitternd stand seine ältere Schwester in der Tür. Ihre braune Augen schauten sie verängstigt an. Die blonden Haare, vom Schlaf zerzaust, umgaben wirr ihren Kopf. Norman staunte:
" Linny hatte ja Angst!" Nie zeigte sie sich ängstlich, tat immer erfahren und unerschrocken.
"Was ist los? Warum seid ihr alle auf?" Fragte sie.
"Dein Bruder hat schlecht geträumt," antwortete Rick.
"Ach, so".
Linny dehnte das "so", ungerührt sollte es klingen, Ihre bebende Stimme widersprach dem.
Rick nahm Norman auf den Arm, schritt mit ihm zur Tür. Der Junge hoffte, bei den Eltern übernachten zu dürfen.
"Heute Nacht schläfst du bei uns," entschied sein Dad im selben Moment.
April bemerkte den nasse Pyjama:
"Einen Augenblick Rick. Norman braucht einen frischen Pyjama."
Irritiert musterte Linny den Raum. Etwas war anders, aber was? Sie sah auf den Boden, hob den Teddy auf. Sie umklammerte das Plüschtier, sah beklommen umher, entdeckte nichts Ungewöhnliches. Doch dieses ungute Gefühl blieb. Eisig kroch es ihr über den Nacken, wie eine Raupe, die sich zu ihrem Kopf vortastete. Erstaunliche Kälte beherrschte den Raum. Schaudernd umfasste das Mädchen ihre Oberarme. Merkten die Anderen das nicht? :
"Komisch diese Eiseskälte. Heute war es doch warm!"
Ein erneuter Kälteschauer rollte ihren Rücken entlang, schüttelte ihren Oberkörper. Die eigentümliche Kühle haftete nicht nur an der Oberfläche ihres Körpers, sondern füllte das Innere ihres Bauches, stieg empor bis zum Hals. Ein Druck lastete auf ihrer Brust. Das Druckgefühl nahm zu. Das Atmen fiel ihr zunehmend schwerer. Namenlose Angst, sie wusste nicht weshalb, packte sie:
"Ich muss mich verstecken", dachte sie, rannte auf dem Flur. Zögerlich folgte sie der Familie:
"Eigentlich bin ich zu groß, um im Bett von Mum und Dad zu schlafen."
Es beruhigte sie unendlich, dass ihr Vater sagte:
"Komm her Linny, wir wollen zusammen kuscheln."
Geborgen lagen die Kinder zwischen den Eltern:
"Dad, ich habe nicht geträumt. Sie sind in echt da gewesen. Die Monster wollten mich holen", murmelte Norman, bereits halb im Schlaf.
"Alles gut!"
Rick
Obwohl Rick übermüdet war, fand er keinen Schlaf. Gern wäre er aufgestanden, umhergewandert, um seine Gedanken zur Ruhe zu zwingen. Er wagte hingegen nicht, sich zu bewegen, aus Sorge, die Kinder zu wecken, die sich rechts und links an ihn klammerten. Neidisch registrierte er Aprils gleichmäßige Atemzüge, die Beneidenswerte schlief.
Es lauschte dem Säuseln des Windes. In der Stille hörte er selbst die Zweige der Kletterrosen, wie sie sanft gegen die Hauswand schlugen. Von irgendwo durchdrang das Rufen eines Käuzchens die nächtliche Ruhe. Später schloss er aus dem Rauschen der Bäume, dass der Wind an Stärke zunahm. Es war soweit! Der Indian Summer verabschiedet sich. Wehmut schlich in sein Herz. Mit Riesenschritten eilte der Herbst vorbei, den Winter auf den Fersen.
Er wünschte, er hätte seine Familie überreden können, dieses Jahr auch zu verreisen. In glühenden Farben versuchte er, ihnen Florida schmackhaft zu machen, übertraf sich selbst war richtig gut, fand er. Die Erinnerung ließ ihn grinsen. Großmutter blieb stur! April stand ihr da in nichts nach. Dabei war sie seine Granny! Erneut überflog ein Lächeln sein Gesicht. Gern hätte er die Liebste jetzt angesehen, sie gestreichelt. Leider lagen die Kinder zwischen ihnen.
Ricks Gedanken kehrten zurück zu Normans Ängsten. Sanft lockerte er dessen Arm von seinen Hals, schob ihn behutsam beiseite. Nur zu gut verstand Rick die Furcht des Sohnes. Als Kind litt er gleichfalls unter garstigen Träumen. Es war stets der gleiche Albtraum, der ihn quälte. Er überlegte, was er damals träumte, wovor er sich fürchtete. Es fiel ihm einfach nicht ein. Er fühlte sich wie nach einer Gehirnwäsche. Es ist eben schon zu lange her, schlussfolgerte er. Obwohl, vergaß man solche Träume je?
Irgendwann hörten die Albträume auf. Wann war das gewesen? Genau, nach dem ungeklärten Unfalltod der Eltern, damals, als es geraume Zeit so dunkel war.
Seine Großeltern, indianischer Abstammung, nahmen den Zehnjährigen auf. Der Großvater, trotz seiner Herkunft, Bürgermeisters von Angeltown, verstarb vor knapp zwanzig Jahren. Bisweilen vermisste Rick ihn auch heute noch.
Granny, ja, er würde die Großmutter wegen Norman um Rat fragen.
Ein schnarrender Laut aus seiner Nase ließ ihn zusammenzucken. Das Geräusch verwunderte ihn, ließ ihn grinsen. Er stand wohl im Begriff endlich einzuschlafen. Entspannt drehte Rick sich auf die Seite, knuffte das Kopfkissen zurecht und genoss das Herannahen des Schlafes.
Schlaftrunken, in dicken Bademänteln gehüllt, hockten April und Rick, am Küchentisch vor den weiß gerahmten Sprossenfenstern, hinter denen zögerlich die Schwärze der Nacht dem Licht des Morgens wich.
Die aus Kiefernholz gefertigten Möbel verliehen der Küche ein gemütliches Aussehen. Das spärliche, aber sanfte Licht der Dunstabzugshaube verstärkte die anheimelnde Atmosphäre zusätzlich. Das alles jedoch nahmen die Beiden momentan nicht zur Kenntnis, zu sehr damit beschäftigt, müde zu sein. Schwer stützten sie die Ellenbogen auf dem Tisch, das Kinn ruhte auf den Handkanten, die Handflächen an den Wangen.
Das Blubbern der Kaffeemaschine verkündete, das durchgelaufene Wasser. Aromatischer Duft von frischem Kaffee zog durch die Küche.
April strich die blonden Locken hinter die Ohren. In rosafarbenen Plüschpantoffeln, ein Geschenk der Kinder, schlurfte sie zum Kaffeeautomaten, goss das ersehnte Getränk in die bereitstehenden Tassen. Die Augen minimal geöffnet gab sie Zucker sowie Milch hinzu. Energielos schlappte sie zurück zum Esstisch.
Die Morgenmuffel umklammerten ihre Kaffeebecher, als fürchteten sie, sie könnten ihnen abhandenkommen. Ungeduldig pusteten sie in den heißen Wachmacher, tranken genüsslich den ersten Schluck. Angestrengt versuchten sie, munter zu werden.
Bei Rick lief das Trinken nicht ohne Geräusch ab. April beschloss, diese Töne zu ignorieren, noch fehlte ihr die Kraft, das zu kommentieren. Nach einer gefühlten Ewigkeit hoben beide den Kopf. Die Lebensgeister kamen in Gang, Energie fing an zu pulsieren. Sie lächelten einander zu.
"Normans Albträume sind erschreckend", seufzte April schließlich.
"Hmhm, ja, das macht uns alle fertig."
Einige Schlucke Kaffee später fügte Rick hinzu:
"Wir sollten mit Granny sprechen. Bestimmt weiß sie Rat, kennt ein Mittel, das ihm hilft, besser zu schlafen."
Seine Großmutter, Mary Falcon, obwohl weit in den Achtzigern, noch sehr agil, gehörte zum Stamm der Abnakis. Ihr Vater, Schamane des Stammes und die Ältesten lehrten Mary viel über die Natur. Die Indianer glauben, dass jede Kreatur, jeder Stein, jeder Baum und jeder Berg eine Seele besitzen. Aus diesem Grund sollten die Menschen im Einklang mit der Natur leben, sie achten und respektieren.
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