Aber er passte nicht zu ihnen!
Robert oder Robér, wie seine Mutter ihn nannte, stammte aus einer recht wohlhabenden Familie, Vater Mediziner und Mutter ‚Professorengattin’.
Er war einen anderen Lebensstandard gewöhnt, für ihn waren Dinge selbstverständlich, an die Maja gar nicht denken konnte, von denen sie, Tochter eines Straßenbahnfahrers bei der Üstra und einer Sekretärin in einem kleinen Handwerksbetrieb, nicht einmal gehört hatte.
Trotzdem hatte sie den Boden nicht verloren, sah nicht auf den kleinbürgerlichen Mief ihres Elternhauses hinab, benahm sich wie immer, kein bisschen affektiert.
Und auch wenn Robert sie in eine Pizzeria einlud, sie blieb Maja, Maja Busse.
Robert hingegen, und das machte Vater Busse etwas stolz und versöhnte ihn mit dem Siebzehnjährigen, fühlte sich allem Anschein nach bei den Busses wohl. Wenn er zu Maja kam, brachte er in der Regel einen kleinen Blumenstrauß für ihre Mutter mit, den er ihr mit einer besonderen Geste überreichte, bevor sie in Majas Zimmer verschwanden. Dort verbrachten sie mehrere Stunden, hörten Musik und schmusten, ohne dass etwas passierte, da war Frau Busse sich sicher.
Wenn sie in den Garten gingen, war Robert fast regelmäßig dabei.
Anfangs hatte sich Busse dagegen gestemmt, doch als Maja daraufhin jegliche Lust auf den Garten verloren hatte und andere Orte bevorzugte, gab er sich geschlagen und gestattete, dass Robert regelmäßig in der Laube war.
Nach und nach gewöhnte er sich so sehr an seine Gegenwart, dass ihm etwas fehlte, wenn Maja alleine, ohne Robert in der Laube war.
„Ist etwas passiert? Habt ihr euch etwa gestritten?“, fragte er dann besorgt und war erst zufrieden, wenn Maja lachte, ihm um den Hals fiel und „er muss noch für die Schule lernen. Er schreibt morgen eine Klausur“, antwortete.
Wenn er aber da war, arbeiteten sie erst ein wenig. Es gab immer etwas zu tun, den Rasen zu mähen, Unkraut zu jäten, Bäume und Büsche zu beschneiden oder Laub zu harken.
Und wenn die Arbeit beendet war, gab es Kaffee und Kuchen. Man saß in der späten Nachmittagssonne, vor sich ein Stück Obstkuchen und eine dampfende Tasse Kaffee. Maja und Robert, nebeneinander auf der Bank, sahen sich von Zeit zu Zeit verliebt an, hielten sich auch mal unter dem Tisch die Hände, bis Maja aufsprang,
„Wir gehen noch ein bisschen schwimmen!“, verkündete, in der Laube verschwand und im Bikini zurückkehrte.
Hand in Hand liefen sie die wenigen Meter bis zum Ufer des Kiesteiches, schwammen um die Wette bis zu einer der kleinen Inseln, blieben dort, lagen nebeneinander, küssten sich, liebkosten sich.
Ganz besonders liebte Maja es, wenn sie sich im Wasser umarmten, sich ihre Körper wie Fischleiber umeinander schlangen. Da zog sie auch das erste Mal ihren Bikini aus, sah, wie Robert erst rot wurde und dann ganz schnell auch seine Badehose abstreifte und zu ihr ins Wasser sprang. So, ohne störenden Stoff, war es noch schöner. Sie spürte seinen Körper, den Körper eines Mannes, sie spürte sein Verlangen, presste sich an ihn, als sie wieder am Ufer lagen, das seichte Wasser ihre Körper umspielte.
Seitdem zogen sie sich immer aus, wenn sie allein waren, in Majas oder Roberts Zimmer.
Einmal hatte Busse seine Tochter gefragt: „Was tut ihr eigentlich die ganze Zeit, wenn ihr in deinem Zimmer seid?“
Frau Busse hatte ihn angesehen, als hätte er etwas Ungeheuerliches gefragt, aber Maja schien das nicht so zu empfinden.
„Wir kuscheln und hören Musik“, hatte sie geantwortet, ganz selbstverständlich, ohne die Spur einer Rötung in ihrem Gesicht. Und dann hatte sie leise hinzugefügt: „Danke, dass ihr uns nicht stört.“
Sie war zu ihnen gekommen, hatte sich über sie gebeugt, ihnen einen Kuss gegeben und sich wieder gesetzt.
Busse wollte noch fragen, ob auch nichts passierte, aber er verschluckte die Frage. So selbstverständlich und unbefangen klang, was Maja gesagt hatte.
An diesem Sonntagmorgen blieben sie lange im Bett.
Munter waren sie schon, auch lockte das schöne Wetter, die Sonne schien, ein warmer Wind wehte durch die offene Terrassentür und blähte die Vorhänge.
Es war ein Tag wie gemacht, um ihn am Strand zu verbringen, in der alten verlassenen Strandburg zu liegen, vor Wind und den neugierigen Blicken der wenigen Spaziergänger geschützt, und ab und zu baden.
Carmen hatte noch nicht richtig die Augen aufgeschlagen, da blinzelte sie nach ihrem Ring.
Es war wahr, sie hatte es nicht geträumt. Der Ring steckte tatsächlich auf ihrem Finger.
Sie streckte weit ihren Arm aus, betrachtete den Ring aus der Ferne, hielt ihn in die Sonne, drehte ihn, juchzte vor Vergnügen, als er im Sonnenlicht funkelte.
„Jose, sag, dass ich nicht träume! Sag, dass gestern wahr war! Sag, dass der Ring meiner ist! Sag, dass es mein Verlobungsring ist! Sag, dass du mich liebst! Sag, dass du mich immer lieben wirst!“
Sie zog die Decke zur Seite, drehte sich zu ihm, legte sich auf ihn und bedeckte seine Brust mit Küssen, arbeitete sich hoch und schlang die Hände um seinen Nacken.
„Ich lass dich nicht mehr los! Niemals mehr!“, stieß sie hervor, als sie kurz Luft holte, drückte wieder ihre Lippen ganz fest auf seinen Mund und rollte mit ihm quer über das Bett.
Sie wollte ausgelassen sein, sie wollte toben, eine Kissenschlacht machen, wenn das nicht kindisch wäre!
Sie musste etwas machen, um nicht zu platzen vor Glück.
Jose schien noch müde zu sein. Er hatte die Augen geschlossen, und nur ein amüsiertes Schmunzeln verriet, dass er schon wach war.
Dann, ganz plötzlich, breitete er seine Arme aus, umarmte sie und drückte sie auf die Kissen.
So lag sie da, mit durchgedrücktem Rücken, strahlte ihn an, warf noch einen Blick auf den Ring, öffnete ihre Schenkel und zog Jose zu sich herab.
Schreien hätte sie können vor Lust, als sie ihn in sich spürte, fest und doch so sanft.
„Weißt du was?“, begann Carmen, als sie beim Frühstück waren, „wollen wir nicht schon heute nach Hause fahren?“
Jose sah sie erstaunt an. Mit allem hätte er gerechnet, damit, dass sie noch ein paar Tage dranhängen wollte, und davor hatte er etwas Angst gehabt, und nun wollte sie vorzeitig nach Hause.
„Wieso, fühlst du dich nicht wohl? Fehlt dir etwas? Habe ich etwas falsch gemacht?“
„Sicher lachst du mich aus.“
Erst als er ganz, ganz fest versprochen hatte, sie nicht auszulachen, sagte sie ernst: „Ich möchte doch wieder in die Schule gehen. An jedem Tag, an dem ich fehle, versäume ich etwas. Wie soll ich das aufholen?“
Jose war sprachlos.
Er nahm ihre Hände in seine und streichelte sie.
Immer noch ungläubig sah er sie an.
Sie spürte, dass er sie fragen wollte, und sie kam ihm entgegen: „Ich möchte ihn zeigen.“
Sie befreite ihre Linke Hand und streckte sie weit von sich.
Nach einem Augenblick fügte sie hinzu: „Außerdem, was soll ich den ganzen Tag machen, wenn du bei der Arbeit bist? Ich kann doch nicht nur Däumchen drehen.
Und dummer werde ich bestimmt nicht, wenn ich wieder zur Schule gehen.“
„Willst du wieder in deine alte Schule zurück? Es wird vielleicht schwierig, weil sie wissen wollen, wo du die ganze Zeit warst.“
Carmen sah ihn mit verträumten Augen an.
„Sollen sie doch fragen. Ich werde ihnen die Wahrheit sagen. Dieses Leben war ein Teil von mir, und ich schäme mich nicht. Ich bedaure es auch nicht. – Nicht nur, weil wir uns getroffen haben. Ich glaube, ich habe in diesen Wochen und vor allem jetzt sehr viel gelernt. Über mich, über andere, über die, die ganz unten sind, und die, die ihnen helfen wollen“, sie sah Jose voller Dankbarkeit an, und wieder wollten sich ihre Augen füllen, doch sie kämpfte die Tränen tapfer hinunter. Einmal musste sie schlucken, dann war ihre Stimme wieder klar.
Читать дальше