1 ...7 8 9 11 12 13 ...19 Der Genuss war es also, der Genuss tun und lassen zu können, wie ich es möchte, wann ich es möchte, ob ich es überhaupt in Erwägung ziehe, es zu mögen, mich aus alten Verhaltensmustern zu schälen, die absolute Freiheit tun zu können, was mein Herz begehrt, der mir den Schwindel bescherte. Und das musste ich bei meiner nächsten Sitzung mit Ronda unbedingt loswerden.
„Ronda“, sag ich also, „Ronda, ich habe eine Erkenntnis.“ Und erstmal erzähle ich ihr von dem Schwindel und dass er immer gleich nachdem ich sie verlasse auftritt. „Ich bin mal gespannt, ob es mich heute, nachdem ich weg bin, wieder auf die Schnauze haut. Aber ich glaube zu wissen, dass dies nicht mehr passieren wird, weil ich soeben das einzig Richtige mache in so einem Fall. Ich erkenne das Problem und beseitige es, indem ich mein Bewusstsein einschalte und Ronda davon erzähle. Denn nur wenn es unbewusst bleibt, bleibt das Problem bestehen, und verstärkt sich sogar noch. Es bewusst anzusprechen, ist enorm wichtig. So würde ich, und dessen bin ich mir sicher, dem Schwindel das Handwerk legen. Weil er nicht mehr zu erscheinen braucht, um mich dazu zu zwingen, zu erkennen worum es bei mir geht.
Ronda findet die Geschichte und die dazugehörige Erklärung sehr spannend. Wie immer. Und ich weiß auf einmal, was ich bei Ronda so genieße, was ich zuvor noch nie genossen, noch nie in solcher Tiefe erlebt habe. Es ist das Wissen darum, mit Ronda Heimat zu haben. Es ist das Wissen, dass meine Wahrnehmungen richtig und stimmig sind, dass ich nicht verrückt bin und mich ständig fragen muss, ob Ronda tatsächlich so fühlt, wie ich es von ihr übernehme und wahrnehme. Ich soll und darf endlich genießen. Weil es an der Zeit ist und mein Schwindel beschert mir dazu eine ganz klare Botschaft. Lass los und genieße! Genieße was ihr zwar subtil, aber immerhin, füreinander habt und empfindet. Es ist ein Geschenk, so tief fühlen zu können. Ich freue mich wie ein junger Hund und habe, nachdem ich Ronda wieder verlasse, keinen Steinchenschwindel mehr.
Manchmal frage ich mich, was Ronda über leibliche Übertragungen und Gegenübertragungen weiß und wie viel sie davon aus ihrer Ausbildung hat mitnehmen können. Ich gehe ja mal davon aus, dass diese Form der Übertragung an den Psychotherapie-Schulen gelehrt wird.
Leibliche Übertragung nennt man Körperreaktionen, die beispielsweise nicht die eigenen sind, die man aber trotzdem am eigenen Leib spüren und erfahren kann. Es sind also Körpergefühle, die man vom anderen übernimmt. Oder jene Körpergefühle die man aus gegebenen Anlass aus einer früheren Situation mit ins Jetzt nimmt, im Jetzt spüren kann und auf sein Gegenüber projeziert, was scheinbar weit geläufiger ist und öfter auftritt. Die große Herausforderung besteht darin, die eigenen von den fremden Gefühlen unterscheiden zu können.
Also in meinem Leben ist das ja ganz normal, anderer Leute Gefühle, Gedanken und Körperreaktionen zu spüren. Und ich behaupte mal ganz ungeniert, dass Übertragung ohnedies ständig und andauernd im Alltag da draußen zwischen den Menschen passiert. Es ist kein Privileg, und überhaupt nichts Besonderes, auf das sich Therapeuten groß was einzubilden brauchen, wenn Übertragung zwischen ihnen und den Klienten passiert. Es wird aber immer als etwas arg Besonderes in den Praxen der Therapeuten gesehen. Eine besondere Verbindung soll da sein, zwischen beiden Protagonisten. Na ja, das mag schon stimmen. Aber es ist irgendwie, als hätten sie ein Patent darauf angemeldet, dass Übertragung nur in Therapeutenpraxen existieren darf. Allein das Wort Übertragung nervt mich schon schwer. Dass immer ein neue Sprache, ein neuer Ausdruck gefunden werden muss für Alltägliches und ständig Auftretendes, macht mein Leben kompliziert. Warum nennt man Übertragung nicht ganz einfach übersinnliche Wahrnehmung? Oder Gefühlswiederholung? Andererseits, so eine Sache könnte ja in die falsche Richtung weisen, sobald man als Therapeut von übersinnlicher Wahrnehmung spricht. Aber ich glaube auch, dass jede Berufsgruppe so ihre Eigenheiten hat und glaubt, sie müsse das Rad noch mal neu erfinden. Das finde ich eine ausgesprochen blöde Sache und zudem zu nichts gut, außer um etwas wichtiger zu machen, als es in Wahrheit eigentlich ist.
Ich sage zu Ronda: „Übertragung ist meines Erachtens nichts anderes als Hellsichtigkeit, Hellfühligkeit, Hellwissenheit und Hellhörigkeit in einem Wort zusammengefasst. Austrainierte Intuition, nenne ich es. Und die Fähigkeit zur Empathie ermöglicht das Fühlen von und durch andere Personen. So einfach ist das.“
Ronda stimmt mir zu, erklärt mir aber im selben Atemzug, dass sie keine solcher Wahrnehmungen bewusst zu nützen versteht. „Na das kann ja noch heiter werden“, überlege ich schnell. Ronda sollte sich in diesen Dingen meiner Ansicht nach doch etwas besser auskennen. Wir würden uns bei der Überprüfung unserer Gefühle leichter tun. Aber ich sehe schon, dass mich Rondas Gefühle nicht zu interessieren haben, dass sie uns nicht als ein „uns“ sieht. Weil sie sich bedeckt hält, aus welchen Gründen auch immer. Und das trägt nicht unbedingt zur Aufklärung und Heilung bei. Finde ich.
Meine Frau leidet meiner Ansicht nach unter haarsträubenden Zwängen. Und die muss ich ihr irgendwie austreiben, finde ich. Matt sagt immer, dass ich auch so war und mich nicht so aufregen soll, wenn sich meine Frau nicht mit sich selbst beschäftigen kann. Ich weiß nicht was in sie fährt, wenn sie so komische Sachen tut, wie gerade.
Ich will mich kurz zurückziehen aus einer intensiven Diskussion mit ihr. Ich muss zum stillen Örtchen, und da führt jetzt einfach kein Weg vorbei. Und das sollte doch für jedermann und frau verständlich sein. Der Weg dorthin ist ein Spießrutenlauf, weil mich meine Frau observiert, bei jedem Schritt den ich tue. Sie läuft mir hinterdrein, wie ein Hündchen seinem Herrn. Gott, wie mich das nervt. Also gehe ich schneller, ich laufe geradezu aufs Klo. Doch umso schneller ich werde, desto mehr passt sich meine Frau meinem Tempo an. Ich kann ihr gar nicht entkommen. Die Klotüre ist meine einzige Chance, mein einziger wahrer Freund in jenem Moment. Ich habe Angst, dass sie mir den Weg versperrt und mir meinen rechtmäßigen Platz am Häusl wegnimmt, jetzt in meiner dringlichsten Angelegenheit. Aber für sie gibt es gerade Dringenderes, das sie jetzt mit mir tun muss. „Himmelherrgott“, schimpfe ich in mich hinein, aber immer noch laut genug, dass sie es noch hören kann, „kann es denn jetzt noch etwas Wichtigeres geben? Lass mich jetzt vorbei oder es geschieht ein Unglück.“
Noch im Lauf reiße ich mir den Hosenknopf und den Reisverschluss auf. „Warte auf mich“ ruft sie, aber ich bin schneller, und riegle die Türe ganz schnell zu. Yea, freu ich mich und balle meine Faust zu einer Siegespose, weil sie ihren Fuß dieses Mal nicht zwischen die Klotüre stellen kann, um mir beim Pipi machen in die Augen zu sehen. „Dieses Mal nicht, meine Liebe“, lache ich in mich hinein, und weiß, ich habe sie besiegt. „Mach doch die Türe auf“, ruft sie zu mir herein. „Beim Reden muss man sich in die Augen sehen, sonst wird das nichts. Verflixt. Mach die Türe auf!“
Ich weiß, dass meine Frau nicht gerne ohne mich ist, und ich verstehe sie ja auch, dass sie die Diskussion mit mir fortsetzen will. „Ja Süße“, rufe ich zu ihr nach draußen. Ich sage meistens zu allem ja wenn ich am Klo sitze, weil ich so schneller meine Ruhe habe. Und vielleicht ist es genau dieses Ja, das uns unsere Diskussionen erst einbringt. Meistens verstehe ich gar nicht, was sie mir durch die versperrte Türe erzählt und fragt, es ist für mich in dem Moment einfach nur lästig ihr zuhören zu müssen, daher sage ich zu allem einfach ja. Ich glaube das ist besser als nein zu sagen.
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