„Es ist eben ein ganz besonders wertvolles Stück!“, pries der dicke Verkäufer seine Ware geschickt an. „So etwas findet man nicht an jeder Straßenecke. Er besitzt magische Kräfte und schafft ein unlösbares überirdisches Band zwischen dem Schenker und der Beschenkten.“
„Ich bräuchte es aber umgedreht!“ warf das Mädchen ein.
„Dem Ring ist es egal!“, wiegelte der Verkäufer geschickt ab.
Natürlich, eine Lüge ersetzte die andere! Der Kerl trug aber geschickt auf. Seine Lobpreisungen schienen ihre Wirkung jedoch nicht zu verfehlen.
„Genau so etwas brauche ich für meine Arbeit! Urgroßtante ist immer so unzufrieden mit mir“, murmelte seine süße Kundin verzückt und hielt dann erschrocken inne. Ihr wurde klar, dass Begeisterung nicht gut für den Verkaufspreis war.
„Der ist leider viel zu teuer!“, murmelte sie und reichte äußerlich traurig den billigen Tand zurück. Es schien gespielt. Sie wollte sicher den Preis drücken.
Aus einer Laune heraus, beschloss ich, mich an dem Spiel zu beteiligen und fragte ich den Händler kess das Verkaufsgespräch unterbrechend: „Was kostet der?“
„Einen Dollar!“
„Ich dachte die Hälfte und das ist schon viel zu viel!“, mischte sich das junge Mädchen erbost über die plötzliche Preissteigerung ein.
Der gerissene Kerl warf ihr einen bitterbösen Blick zu. Er wollte sich das gute Geschäft nicht verderben lassen.
„Verschenk ihn und das Herz der Dame gehört dir!“, pries der Bursche und setzte ein bezauberndes zahnloses Lächeln auf. „Der Ring hat magische Kräfte.“
Ich schmiss dem betrügerischen Kerl das Geld lachend zu, welches der geschickt in der Luft auffing.
„Na dann!“
„Für wen ist das wertvolle Stück? Soll ich das zauberhafte Ding einpacken!“, fragte er eifrig nach.
Das hübsche Mädchen machte ein trauriges, geradezu entsetztes Gesicht, weil mit meinem Kauf gleichzeitig ihre Hoffnung erstarb, obwohl sie sich den Ring wahrscheinlich niemals geleistet hätte. Der Handel war so schnell und überraschend vor sich gegangen, dass sie nicht reagieren konnte.
„Für das hübscheste Mädchen an diesem Ort!“, erwiderte ich und reichte den funkelnden Schmuck kurzerhand dem blutjungen Wesen.
„Ich schenke ihn dir!“
Ehe die junge Schönheit sich versah, hatte ich ihn der Sprachlosen auf einen ihrer Finger gesteckt. Sie wirkte fast apathisch durch die Überraschung.
„Passt!“, scherzte ich. Mir fiel dabei auf, dass die Einheimische wohlgeformte Hände hatte. Selbst der leichte Schmutz daran ließ diesen Eindruck nicht schwinden.
Der Verkäufer war für einen Moment erstarrt, lachte dann schallend und der Übertölpelten fiel glatt der Mund herunter.
„So etwas erlebt man selten! Das verschlägt selbst einer Hexe die Sprache“, genoss der Händler den Augenblick. Die anderen Menschen blickten inzwischen neugierig zu uns herüber. Zu gern hätten sie gewusst, was da vor sich ging.
Die Schöne lief puterrot an, vermochte kein Wort hervorzubringen und sah mich verschämt an. Damit hatte das feenhafte Ding sicher nicht gerechnet. Sie wirkte von einer auf die andere Sekunde verwandelt, so als entfaltete der Reif tatsächlich eine magische Wirkung. Himmelten mich ihre Augen an?
Ehe sie jedoch etwas hervorbrachte und den Spaß zerstörte, wandte ich mich gutgelaunt ab und ging zu den Pferdewagen. Autos gab es hier offenbar noch nicht.
Die Abwechslung war lustig gewesen. Die Kleine hatte nun sicher wochenlang etwas zu erzählen. Wann erlebte es hier ein junges Mädchen schon, dass ein Zug aus New York hielt, ein reicher junger Mann ausstieg und ihr sofort einen goldenen Reif schenkte.
Ein bärtiger alter Kutscher, der an der Station seine Fahrdienste anbot, nahm mich mit seinem Pferdewagen mit. Wir holperten durch die hügelige Einöde. Der Mann schwätzte mich förmlich mit Märchen zu und glaubte offenbar, dies gehöre zu seinem Dienst.
So erfuhr ich, dass mein Uropa so etwas wie der örtliche Schamane war und angeblich mit den hiesigen Geistern sprach. Ich erklärte dem Tropf, dass es wissenschaftlich solche nicht gäbe, worauf er ungläubig schaute.
„Ihr Großstädter seid einfach dumm“, verdrehte er seinen riesigen Kopf schüttelnd die Wahrheit. Ich sah ein, dass ihm nicht zu helfen war, da er meine Einwendungen nur als jugendliche Unreife wertete. Zur Krönung erzählte er mir noch mehr Schauergeschichten und gut gemeinte Warnungen, um mich endgültig von seinem Wahn zu überzeugen. Er wäre ein guter Patient für den Tunichtgut, der es auf meine Mutter und unser Geld abgesehen hatte. Mein beharrliches Schweigen interpretierte der Märchenerzähler als Einsicht in seine Weisheit. Innerlich lachte ich jedoch über seine Weltsicht, die kurz hinter der Stadtgrenze von Deadwood endete.
„Ich schwöre es bei meiner Mutter“, hob der Fuhrmann groß an und strich mit einer Hand durch seinen langen Bart, „bis vor Kurzem haben hier sogar Vampire und Werwölfe ihr Unwesen getrieben. Das war eine Plage. Alte Indianerflüche sollen der Grund gewesen sein. Man traute sich gar nicht in den Wald hinein.“
Der ausschweifende Erzähler bekreuzigte sich mehrfach und sah sich zur Verdeutlichung der realen Gefahr furchtsam um, so als käme jeden Moment ein Werwolf aus dem Gebüsch gesprungen. Zur Vorsicht spuckte er auch noch zur Seite und rieb an dem Bund Knoblauchzehen, das er an den Kutschbock gebunden hatte.
Wo war ich nur gelandet? Zwar galt der wilde Westen allgemein als rückständig und seine Bewohner als besonders abergläubisches Volk, aber die Leute aus Deadwood übertrafen anscheinend alle. Ich war im finsteren Mittelalter gelandet.
Nach etwa zwei Stunden setzte der Mann mich an einem Trampelpfad ab. Mir taten schon die Ohren weh und mein Kopf summte von dem vielen Geschwätz. Den restlichen Weg bis zur Hütte meines Urgroßvaters musste ich nun zu Fuß gehen. Das Fuhrwerk kam durch das dichte Gehölz und den aufgeweichten Boden nicht durch. Jetzt verging mir das Lachen. Durch einen dunklen Tannenwald führten mich die Schritt. Der Winter streckte bereits seine eisigen Fühler aus. Die bemoosten Laubbäume verloren ihre Blätter. Die Black Hills erschienen mir als ein schauerlicher Ort, dessen Trübseligkeit sich mit jeder Stunde verstärkte.
Zu allem Unglück regnete es noch, sodass selbst meine Unterhose pitschnass wurde. Irgendwelche Vögel kreischten. Sie wollten vor mir oder vor etwas anderem warnen. Zwar hatte ich keine Angst vor Geistern, aber viele andere Kreaturen waren hier gefährlich genug. Im Wald heulten entfernt wilde Wölfe.
Ich umklammerte zur Sicherheit einen kräftigen Wanderstock. Der Fuhrmann hatte mir geraten, diesen stets bei mir zu tragen. Sollte ich Wölfe sehen, müsste ich möglichst schnell auf einen Baum klettern. Falls dagegen ein Bär auftauchte, sollte ich tun, als wäre ich aus Stein und bloß nicht auf einen Baum klettern oder weglaufen. Was tat man jedoch, wenn man auf beides traf? Angstvoll sah ich mich immer wieder um. Hinter jedem Strauch befürchtete ich ein Raubtier. Scheinbar hatten seine Werwolf- und Vampirmärchen meine Angst beflügelt. Das ärgerte mich. Hoffentlich besaß mein Urgroßvater eine Flinte. Ich bereute, keine Revolver auf die Reise mitgenommen zu haben.
An diesem Ort konnte man froh sein, wenn man überhaupt überlebte. Wie hatte es mein Urgroßvater nur geschafft, hundert Jahre alt zu werden? Er hatte die Indianerkriege somit noch selbst miterlebt. Wer hier blieb und in keine Großstadt zog, musste sehr dumm sein.
Mit einem Kopf voll mürrischer Gedanken und dem schweren, inzwischen vom Nieselregen durchnässten Beutel auf dem Rücken stapfte ich über den matschigen Boden des Trampelpfades. Trotz des dicken Fellfutters der Stiefel waren meine verwöhnten Füße inzwischen eiskalt. Solche Probleme kannte ich sonst nicht.
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