In solchen Momenten schweiften ihre Gedanken ab.Sie beschäftigten sich mit ihrem Privatleben. In den vergangenen Jahren war sie viel allein gewesen. Torston nahm ihre beruflichen Wünsche nicht ernst, für ihn waren es Spinnereien. Wie gerne hätte sie sich mit ihrem Projekt mit einer anderen Geschäftsfrau ausgetauscht? In diesem Zusammenhang erinnerte sie sich immer an Tea. Sie war bis vor zwei Jahren ihre beste Freundin gewesen. Mit ihr über Berufspläne zu sprechen, hatte immer Spaß gemacht. Tea stellte den emotionalen Gegenpart zu ihrer eigenen rationalen Seite dar. Tea äußerte sich einfühlsam zu anderen Menschen. Sie hatte Verständnis für deren Wesenszüge, wenn es auch Macken waren. Sie selbst dachte eher daran, welche Vorteile der andere bot oder welche sie ihm bieten konnte. Sie ergänzten sich prächtig, wenn es daran ging, über Probleme zu sprechen. Es kamen immer unterschiedliche Aspekte zur Sprache. So war nichts fest manifestiert. Es gab immer überraschende Lösungen. Und natürlich konnten sie richtig schön herumalbern.Wenn sie es sich ehrlich eingestand, vermißte sie Tea. Wenn da nur nicht der winzige spitze Stachel in ihrem Herzen steckten würde! : Teas verbrachte Liebesnacht mit Torston! Oder irrte sie sich da ganz gewaltig? War das alles nur ihre grundlose Eifersucht?Oder doch die Wahrheit?
Hilda mußte sich eingestehen, daß sie es war, die den Zustand ihrer Ehe negativ beeinflußt hatte. Aus dem gemeinsamen Leben mit Torston hatte sie sich zurückgezogen. Ihr Interesse lag bei ihren beruflichen Plänen. Ihr eheliches Zusammensein verlief teilnahmslos bis lustlos, wobei sie beide nur noch nebeneinander herlebten. Als sie Torston zusammen mit Tea im „Azuro“ entdeckte, war sie vollkommen bestürzt gewesen. Und Torston gab das Treffen mit Tea zu. Sie fühlte sich von ihm gedemütigt und von Tea hintergangen. Am meisten verwunderte sie aber das Gefühl, fürchterlich wütend auf Torston zu sein. Er hatte sich zwischen sie und Tea gestellt. Ihre anfängliche Wut auf Tea verflüchtigte sich innerhalb der vergangenen Jahre immer mehr. Sie wußte inzwischen überhaupt gar nicht mehr, ob sie noch wütend auf ihre Freundin war.
Ihre Ehe mit Torston scheiterte nicht, was daran lag, daß sie ihrem Mann verzeihen konnte. Sie erlebten das gegenseitige Miteinander frisch mit einem ehrlichen Austausch an Worten und Gefühlen. Torston bemühte sich um sie. Sie begannen wieder einander zu vertrauen. Vielleicht ist die Zeit gekommen. Es wäre schön, wieder einmal die Gesellschaft von Tea zu genießen? Tea schaute immer optimistisch in die Zukunft. Mit ihr machte es Spaß, alle Alltagsdinge zu bereden. Sie mußte unbedingt herausfinden, wie sich die Begegnung mit Tea anfühlte.
Hildas Gedankenspiele endeten als Georgi, ihr Hund, sich bemerkbar machte. Er begann um den Sessel zu tänzeln, wobei er die kalte Schnauze an ihre Beine drückte. Es war Zeit für einen Spaziergang mit dem Vierbeiner. Hilda wollte am Seeufer entlang laufen. Rasch lief sie in den ersten Stock, tauschte ihren grünen Kimono gegen ein mit roten Blüten gemustertes Sommerkleid und verließ mit dem bellenden Georgi das Haus.
Es war Freitag Nachmittag. Für Rufus Vogl, 38 Jahre alter Kriminalhauptkommissar des Morddezernats in Cap Mondrian, hatte das Wochende bereits begonnen. Er freute sich auf einen bequemen Relaxtag in seiner Wohnung. Gerade hatte er sich eine Kanne mit schwarzem Tee, Darjeeling First Flush, seine Lieblingssorte, aufgegossen. Inzwischen trug er seinen bevorzugten Freizeitdress : Einen himmelblauen Baumwollpyjama. Die Stofffarbe kontrastierte vorteilhaft mit seinem dunkel gebräunten Teint, dem Braun seiner Augen und den schwarzen Haaren, in denen bereits graue Strähnen hervorblitzten. Mit anderen Worten, Rufus sah ziemlich attraktiv aus.
Elegant bewegte er seinen 1.80 m großen, schlanken Körper durch die beiden Räume seiner Wohnung. Sie befand sich in einem blau angestrichenen Haus , in der Nähe des Dezernats, in der Tulpengasse. Rufus war in einem Mix aus Erbstücken seiner Familie, Billigmöbeln schwedischer Herkunft und Designklassikern aus Italien eingerichtet. Am liebsten hielt er sich in dem blau gestrichenen Schlafzimmer mit dem Atelierfenster auf. In der Mitte des Zimmers thronte ein 2 m breites Boxspringbett, voluminös gebaut mit zwei übereinander liegenden Matratzen. Es war die teuerste Investition in der Wohnungseinrichtung seit langem. Das Bett hatte mehrere Monatsgehälter gekostet. Für Rufus ein sich lohnender Luxus, denn er entspannte wunderbar auf seinem Polsterlager. Gegenüber dem Bett an der Wand befand sich der Flachbildschirm.
Gerade hatte es sich Rufus bequem gemacht. Er lag waagerecht ausgestreckt auf der gelben Leinendecke, trank Tee aus kleinen weißen Tassen und schaute an die Decke. Es war an der Zeit wieder einmal seinem liebsten Zeitvertreib nachzugehen. Er beabsichtigte sich das Video über das Leben eines Geparden in der Savanne anzusehen. Denn er mochte Tierfilme. Er drückte auf den Knopf.Einige Sekunden später lief die Raubkatze über den Bildschirm.
Er bewunderte die elastischen und eleganten Bewegungen mit denen die Wildkatze herumstreifte. Wenn sie schneller lief und das Tempo steigerte, setzte sie zu Sprüngen an. Ihr Körper flog langgestreckt wie ein Pfeil durch die Luft. Das gelbliche Fell mit den charakteristisch schwarzen Punkten glänzte im Sonnenlicht. Rufus beobachtete den Geparden, wie er langsamer wurde und schließlich unter einem Baum stehen blieb. Der Platz gefiel ihm. Er legte sich genau in die Mitte des Schattens, den der Baum warf. Der Gepard hob seinen majestätischen, runden Kopf. Er blickte ihm direkt in die Augen. An dieser Stelle hielt Rufus das Video an. Er wollte einmal feststellen, ob die Wildkatze mit ihm plaudern würde. So ein Dialog von Mann zu Mann. Es war eine männliche Wildkatze. Ein Versuch war es wert. Rufus hatte Glück, der Gepard hatte Lust dazu:
Rufus = R
Gepard = G
G: >Du suchst ein Gespräch mit mir. Nur Mut, lege los.<
R: >Wie geht es dir? Warst du heute schon auf der Jagd?<
G:>Ja. Ich bin durch die Büsche gehetzt, aber meine Beute diese junge Antilope entkam mir. Eine beschämende Aktion für mich. Das passiert mir, dem schnellsten Landsäugetier der Erde. Ich kann 120 km pro Stunde laufen. Ich bin eine Kleinkatze und laufe schneller als die Großkatzen Löwe, Leopard und Tiger.<
R:>Mach dir nichts daraus. Rückschläge gehören zum Leben. Morgen taucht hinter dem nächsten Busch wieder ein Beutetier auf. Dann kannst du Ehrgeiz zeigen<.
G: Schnurrt. >Was ist mit dir? Bist du auch auf der Jagd?< Schnurrt wieder, etwas lauter. Geparden schnurren beim Ein- und Ausatmen.
Rufus war ganz glücklich, daß der Gepard auf ihn reagierte. Er goß sich eine weitere Tasse Tee ein.
R: >Ich mag Tee, für dich ist das wohl nichts. Ja, ich jage auch, wie du. Ich bin sozusagen ein professioneller Jäger. Ich bin hinter Verbrechern her. Bald geht es aufs Neue los. Ich gehe es im Job jedoch gerne langsam an, lasse die Dinge am Anfang der Ermittlungen in einem großen Rahmen laufen. So umkreist man den Verdächtigen in einem weiten Radius . Ich lasse meine Mitarbeiter gerne alleine machen. Es gibt auch Hetze, am Ende, wenn der Verbrecher entlarvt wird. Andererseits liebe ich die Geschwindigkeit wie du. Ich mag meinen alten roten Kombi gerne ausreizen, schnell fahren, dann fliegen die Bäume an der Straßenseite wie Schatten vorbei. Die Schnelligkeit gibt mir das Gefühl frei zu sein. Die Kollegen von der Verkehrskontrolle warnen mich immer vor Radarfallen. Ich möchte in der Savanne sein, mit dir umherjagen.<
G: >Stelle dir das nicht so einfach vor. Für uns Kleinkatzen ist der Lebensraum mit der Zeit immer kleiner geworden. Sehr viel Weideland und Jagdgebiet haben wir verloren. Es wurde als Agrarfläche für euch Menschen umgenutzt. Wo wir den Menschen näher kommen, werden wir gnadenlos gejagt und getötet. Heute gibt es von uns noch 12 000 Tiere. Die meisten von uns leben in den Schutzgebieten von Namibia. Früher jagten wir vom Mittelmeer bis hinunter nach Südafrika.Wir bevorzugen Savannen als Lebensraum, mögen keine Wüste und keinen Regenwald. Ich jage übrigens tagsüber, wie du, wenn ich Hunger habe.<
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