Sie füllte die Teigzutaten in die Rührschüssel ihrer Küchenmaschine und schaltete sie ein. Sie beobachtete wie sich die einzelnen Bestandteile behutsam zu einer gleichförmigen Masse formten. Wie immer, wenn sie ein neues Rezept ausprobierte, war es still im Haus. In keinem Zimmer hörte man Musik. Tea konzentrierte sich fast schon meditativ auf den Akt des Kochens. Mit flinken Fingern entkernte sie die Aprikosen, steckte die Früchte in den Teig, der inzwischen ausgebreitet in der Backform lag. Den Nußstreusel streute sie akkurat über die Aprikosen. Jetzt nur noch backen, vorher die passende Backtemperatur einstellen, dabei keinen Fehler machen, dachte sich Tea. Sie freute sich auf das neue Kuchenstück. An ihrem Multifunktionsbackofen stellte sie die Temperatur ein. Die Backform verschwand flink im Backfach des Ofens.
Fertig ist der Kuchen, jetzt ist der beste Augenblick für eine Musestunde, ging es Tea durch den Kopf. Sie drückte die Taste an der Kaffeemaschine. Mit einer Tasse frischen Cappuccino spazierte sie zum Sofa, auf das sie sich entspannt in die Kissen setzte. Ganz zur Ruhe kam sie nicht. Erst heute morgen der Stress mit Sven Fritzen und jetzt begann sie in einer inneren Berg- und Talfahrt nachzudenken. Immer wenn sie einen neuen Backversuch startete, landeten ihre Gedanken bei Hilda Frey, die früher ihre beste Freundin war. In früheren Zeiten testete Hilda gerne ihre neuen Kuchenkreationen. Sie war immer gespannt, wie ihr Kuchen schmeckte. Jetzt mußte Tea alleine probieren. Die Gedanken in ihrem Kopf umkreisten ihr Verhältnis zu Hilda. Sie hatten sich seit zwei Jahren nicht mehr gesehen und gesprochen. Sie, Tea, war an allem schuld! Schließlich hatte sie mit Hildas Ehemann, Torston, einige Dates gehabt. Sie hatten heftig geflirtet. Wenn sie daran dachte, krampfte sich ihr Magen zusammen. Damals fühlte sie sich einsam und deprimiert. Torston bestätigte sie in ihrer Weiblichkeit. Sie war einem dringenden Bedürfnis nach emotionaler und körperlicher Nähe eines Mannes nachgekommen. Er gab ihr das Gefühl, eine begehrenswerte Frau zu sein.Sie kämpfte nicht dagegen an, sondern es gefiel ihr. Sie verhielt sich vollkommen egoistisch, mit keiner Sekunde dachte sie daran, daß Torston mit Hilda verheiratet war. Sie blendete es einfach aus. Sie hatte sich schuldig gemacht. Für Torston war sie nicht mehr als eine Abwechslung von einem langjährigen Eheleben.
Ihr Verhalten von damals war ihr heute fremd. Torston entsprach nicht mehr dem Typ Mann, den sie heute bevorzugte. Torston hatte ihr geschmeichelt. Er fing ihre weibliche Seite ein mit seinen Komplimenten, war aber ansonsten ziemlich dominant gewesen. Er braucht eine anpassungsfähige Frau, die nicht unbedingt eigenständig denkt, dachte sie. Wie Hilda mit ihm zusammenleben konnte, war ihr ein Rätsel. Es verwunderte sie immer mehr, je länger sie darüber nachdachte. Sie betrachtete sich als eigensinnige Frau, die gerne eigene Wege ging. Sie verdiente ihren Unterhalt mit der Kreation von neuen Tortenrezepten und wollte über ihre Finanzen selbst bestimmten. Da bevorzugte sie einen Mann wie Rufus Vogl. Ohne Mann zu leben war ihr schlicht zu langweilig. Rufus gefiel ihre Selbstständigkeit. Bis jetzt lief es ziemlich gut mit ihm.
Jetzt waren so viele Monate vergangen, in denen sie Hilda vermißt hatte. Würden sie jemals wieder miteinander sprechen? Vielleicht war es an der Zeit, einen Schritt auf Hilda zuzugehen? Nur wie sollte sie es machen, damit es einen Neuanfang gibt? Alle diese Gedanken machte sich Tea, wenn es um Hilda ging.
Sie schlenderte zurück in die Küche, ging zum Backofen, öffnete neugierig die Türe des Schachts und holte den Kuchen heraus. Ungläubig betrachtete Tea ihr Backwerk. Es entpuppte sich als ein rauchendes Schreckgespenst.Eine dunkle, fast schwarze Masse lag auf dem Kuchengitter. Teas Stimmung verfinsterte sich zusehens, denn heute war offensichtlich nicht ihr Glückstag.Es war ihr Fehler gewesen, raste es Tea durch den Kopf: Sie hatte die Backtemperatur des Teigs für den neuen Ofen falsch kalkuliert. Einfach nur einige Grade zu hoch auf dem Display eingestellt.
Für heute reichten Tea ihre Erlebnisse. Sie brauchte dringend Abstand zu ihrer Backorgie, die gründlich schief gelaufen war.Ein Wechsel der Perspektive mit einer anderen Umgebung würde ihr helfen. Sie entschloß sich einen Spaziergang zum Yachthafen zu machen. Das würde ihrer inneren Balance wieder auf die Sprünge helfen. Vorher zog sie ihr neues, weißes Sommerkleid mit dem Mohnblütenmuster an, bevor sie sich auf den Weg machte.
Nachdem Torston gegangen war, versuchte Hilda ihren Ärger in Luft aufzulösen. Wie immer, wenn sie erregt war, begann sie vom Wohnzimmer zum Arbeitszimmer zu laufen und wieder zurück. Die gleichmäßigen ruhigen Schritte, die sie dabei machte, senkten ihren Stresspegel. Nach zwei Stunden atmete sie auf. Sie betrachtete ihre weiße Inneneinrichtung mit einem zufriedenen Lächeln. In ihrem Arbeitszimmer in der Leseecke mit den hohen Regalen voller Tiermedizinbücher und Ratgeber für den Hundefreund setzte sie sich in ihren Lieblingssessel. Es war ein mit weißem Stoff überzogenes Oval eines skandinavischen Möbelherstellers.
Ihre Medizinliteratur erinnerte sie daran, ehemals einige Semester Tiermedizin studiert zu haben. Damals gab sie ihr Studium auf, als ihr Sohn Felix auf die Welt kam. Jetzt war Felix beim Studium in Wien. Sie hatte die beiden letzten Jahre genutzt, sich eine eigene Existenz aufzubauen: „Lussodog“, einen Online-Handel mit Zubehör für den Hundeliebhaber.
Ihr Kopf funktionierte wieder klar und rational, wie es ihrem Charakter entsprach. Sie wußte nicht, welches Geschäftstechtelmechtel zwischen Torston und Mike Petrus lief, aber es konnte ihr auch egal sein. Ihr Hundeleckerli stand jedenfalls nicht zur Diskussion. Sie besaß die Rezeptur dafür und wollte es als Spezialität über ihren Online-Handel verkaufen. Die Rezeptur stammte aus Hong Kong. Dort hatte sie Hilda einem Chinesen auf dem Markt in Kowloon abgekauft.
Sie erinnerte sich daran, wie sie nachmittags auf dem Markt umherschlenderte, vorbei an Tierkäfigen voller Hühner, Kaninchen und Vögel. Mittendrin stand der Chinese und pries sein Futter für Haustiere an. In viereckigen Körben unterbreitete er Trockenmischungen für Hunde und Katzen. Hilda steckte ihre Nase in die Körbe. Der Chinese sprach Hilda in perfektem Englisch an, was er damit erklärte, einige Jahre in England gelebt zu haben. Hilda war sofort von dem Hundefutter begeistert. Die Stücke hatten eine krosse Krume und rochen nach Kräutern. Sie erklärte ihm, sie könne das Trockenfutter nicht mit nach Europa nehmen. Doch wäre sie auf der Suche nach einem Hundeleckerli mit einem besonderen Geschmack. Kein Problem meinte er. Er nahm einen Stift und schrieb ihr einige Zutaten auf einen klebrigen Papierfetzen. Anhand ihres Wissens über Hundeernährung erkannte sie sofort die ideale Zusammensetzung für die Physiologie eines Hundes. Sie paßte perfekt in die Geschmacksvorliebe von Haushunden. Sie bedankte sich bei ihrem chinesischen Verkäufer, nachdem sie ihm 50 Dollar gegeben hatte. Der Chinese machte daraufhin eine tiefe Verbeugung vor ihr. Als sie zurück im Hotel bei Torston war, kommentierte dieser ihre Errungenschaft mit den Worten: „Was hast du dir wieder für einen Mist andrehen lassen.“
Ihre Idee mit dem Hundeleckerli machte ihr Torston nicht kaputt und erst recht nicht ein Mann wie Mike Petrus. Daß Torston immer wieder mit ihm Geschäfte machte, fand sie haarsträubend. Torston hielt ihre Idee angeblich für eine Laune, sprach aber mit Mike Petrus darüber. Seltsam dachte sie. Hatte Torston inzwischen eine Eingebung gehabt, wodurch sich seine Meinung änderte? Für Hundefutter wurden nach den Marktanalysen der Meinungsforscher jedenfalls Riesenbeträge pro Jahr ausgegeben. Hundebesitzern saß der Euro locker, wenn es um das leibliche Wohl ihrer Lieblinge ging. Hilda hatte die Wirtschaftsinformationen genau gelesen. Die Ausgaben für Hundefutter gingen jedes Jahr in die Milliarden Euro.
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