Tea Sommerda brustete vor sich hin: „Bei dem Wetter freue ich mich auf meine gute Laune und meine neue cremefarbene Spitzenunterwäsche. Von wegen ein Bein stellen! Der Zero Wetterfrosch sollte seinen Mund halten, anstatt banale Sprüche in den Äther zu schicken. Sie klingen schlimmer als bei einem drittklassigen Astrologen. Außerdem hat er Tortenliebhaber vergessen. Das nehme ich ihm übel! Und das alles morgens zum Frühstück, wenn der Körper erst langsam sein Aktionspotential einschaltet.“ Tea redete laut darauflos, wie so oft, wenn sie allein war. Sie kuschelte sich in ihren lilafarbenen Seidenmorgenmantel und trank einen Schluck Kaffee. Was sie noch nicht wußte: In den nächsten Tagen erlebte sie Spektakuläres.Einige Überraschungseier in Form von unerwarteten Ereignissen fielen in ihr weich gepolstertes Leben. Sie würde viel Geschick und Energie brauchen, um die damit verbundenen Aha-Effekte zu meistern. Besonders Menschen, die ihr nahe standen waren die Ursache oder darin verwickelt.
Der bekannte Kochbuchverlag „Fritzen & Kötter“ saß in einem modernen weißen Bauhauskubus mit 10 Stockwerken am Rande von Cap Mondrian. Die großen Glasflächen der Panoramafenster fingen das klare Licht des Morgens ein. Vom 10. Stockwerk blickte man geradeaus über die Dächer der Stadt auf den See. Die Aussicht war phänomenal. Der Bau war nach streng ökologischen Gesichtspunkten entwickelt, um Heizungsenergie einzusparen.
Tea Sommerda, gerade 40 Jahre alt geworden, warf ihre aschblonden schulterlangen Haare zurück, als sie aus dem Fahrstuhl in der 10. Etage stieg. Sie war Kochbuchautorin, um genau zu sein Spezialistin für Süßes. Ihre Torten, Patisserie und Desserts schmeckten umwerfend. Gern sagte sie von sich, sie sei leidenschaftliche Bäckerin. Flink überquerte sie den Flur, klopfte an der Türe mit dem Schild Sven Fritzen und rauschte in das Zimmer. Sie zeigte ihre langen Beine, die sich unter dem kurzen aber nicht zu kurzen Rock abzeichneten und streckte ihren Rücken. Auf zum Gefecht sagte ihr ganzer Körper, ebenso hießen die Gedanken in ihrem Kopf.
>Hallo, Tea, prima, daß unser Treffen so schnell geklappt hat. Du bist eben flexibel<, ertönte es gönnerhaft aus dem Munde von Sven. Sven Fritzen gehörte der Verlag zur Hälfte. Er war ein 1,75 m großer Mittfünfziger mit Bauchansatz, blankem, wohlgeformten Kopf und Joggingambitionen. Er kombinierte daher gerne eine Jogginghose mit einem gestreiften Hemd. Grußlos wandte er sich Tea zu, als er hinter seinem Glasschreibtisch hervorkam. >Setzen wir uns am besten gleich dort drüben hin. Ich habe es eilig. Ich möchte zum Punkt kommen. Ich brauche deine Rezepte für die Sommerkuchen dringend. Das heißt sofort.< Jetzt sah er Tea nach seinem ihm eigenen Wortschwall aus wäßrigen blauen Augen an. >Es ist einfach so:Wir haben unsere Druckerei gewechselt. Aus Termingründen läuft der Andruck früher und der Text muß rein. Ich hoffe, du kannst das managen.< Um dem Ganzen Nachdruck zu verleihen seufzte er hörbar auf. Tea saß kerzengerade in ihrem Sessel. Angespannt hatte sie zugehört. Ihr Zeitplan käme ganz schön durcheinander. Sie brauchte das Kochbuch mit den Kuchenrezepten aber dringend, denn es füllte ihr leeres Haushaltskonto beträchtlich auf. Bleibe sachlich und mache ihm ein Angebot, sagte sie zu sich selbst. >Welche Rezepte stehen am Anfang? Du planst doch sicher die Reihenfolge und das Layout<, sagte sie zu ihm. >Gutes Argument. Die Sommerkuchenrezepte sind von Anfang bis Mitte des Buches platziert<, meinte er. >Die Desserts und das Kleingebäck folgen. < Tea feilschte nicht herum. >O.K. Das bekomme ich mit den Rezepten hin, die meisten sind entwickelt. Du erhieltst einige vorab per Mail. Nur mit dem Probebacken bin ich noch hinterher.< Sven marschierte quer durch das repräsentativ eingerichtete Zimmer zu seinem Glasschreibtisch und griff sich mehrere Computerausdrucke. Mit rosa Papierseiten, die fächerförmig in der Hand lagen, kam er zurück. Akribisch ordnete er die Seiten auf dem Tisch zu einem Viereck. Erleichtert lehnte sich Tea in dem schwarzen Ledersessel zurück. Mit ihren langen Fingern schob sie ihre Konzeptblätter in die Mappe zurück. Sie hatte eine Auseinandersetzung mit Sven über den gesamten Inhalt des Kochbuchs befürchtet. Offensichtlich bewertete ihr Kopf die Signale von Sven neulich am Telefon anders als es der Realität entsprach.
>Wann schaffst du es? Je früher desto besser<, fragte Sven knapp. Mit der Hand strich er sich nachdenklich über den Kopf. >Bis Monatsende dürften wohl alle Kuchen im Ofen sein. Die eine oder andere Rezeptur gehört sicher verfeinert. Das ist Routine. Der Text steht dann im Wesentlichen<, entgegnete Tea diplomatisch. >Dann ist das fix<, antwortete der Verlagsmanager. Tea dachte, sie wären fertig und wollte aufstehen. Schließlich bekam sie heute keinen Espresso von ihm wie sonst. >Bitte, bleibe noch einen Moment sitzen. Es gibt noch eine wichtige Sache, die ich mit dir besprechen möchte. In ein paar Monaten haben wir Weihnachten. Es geht um unser Weihnachts- und Adventsbackbuch.< >Du denkst schon an Weihnachten. Ist dir zu heiß?Megaheiß wird mir, wenn ich daran denke. < >Vielleicht solltest du ein Bad im See nehmen<, entgegnete Tea unbeeindruckt. >Weihnachten heißt Gebäckhimmel. Es wird gebacken ohne Ende. Wir brauchen dringend einen Knaller für den Rezeptteil des neuen Weihnachtsbandes. Einen Aufreißer für dasAdventsmarketing. < >Hm, Knaller? Worauf willst du genau hinaus?< >Also Tea. Ich dachte du springst in die Luft! Vor Begeisterung. Und Ideen sprudeln aus dir heraus.< >Ach, jetzt verstehe ich. Den Knaller, den soll ich liefern.< >So habe ich das angedacht. Mir schwebt vor, du erfindest einen ganz außergewöhnlich, geschmacklich einzigartigen Weihnachtskeks. Er soll das Herzstück werden im Adventstitel.< Sven dozierte lauthals vor sich hin. >Verstehst du, ein herausragender Keks aus der Menge der konventionellen Gebäckteile. Ein himmlischer Keks vom Weihnachtsmann. Er macht unseren Band zum Bestseller!< Tea kam aus dem Staunen nicht heraus. Von einem Weihnachtsbuch wußte sie bislang nichts.
>Ich liebe Weihnachtsgebäck< rief sie aus. > Der Keks entsteht zuerst im Mund.Ich muss ihn schmecken . In der Nase, ich muss ihn riechen. Dann im Kopf.In alten Kochbüchern gibt es fantasievolle Anregungen, meist in alten Rezepten. Dort gibt es alte Rezepturen, die wieder zu entdecken sind.< >Nichts Altes. Ein ganz neues Produkt muß es sein, es muss Kenner überzeugen. Ein kulinarischer Leckerbissen. Streng dich an. Denke jetzt schon darüber nach und fange an<, insistierte Sven. >Mich anstrengen? Was mache ich denn sonst? Was denkst du dir eigentlich? Ich kupfere doch nicht einfach Rezepte ab, sondern mache alles selbst.< Tea warf Sven wütende Blicke zu. > Die Kuchen kullern doch nicht per Knopfdruck aus dem Backofen.< >Sei nicht so empfindlich. Bitte. Ich stehe extrem unter Druck. Die Konkurrenz schlägt immer schärfer zu. < Sven formte mit beiden Händen einen Kreis. Die Geste hatte etwas Beschwichtigendes ansich aber Tea ignorierte sie.
Sichtlich genervt entgegnete sie: >Ich werde dir wie immer ein Versuchsexemplar Keks präsentieren.< Sven starrte sie irritiert an. >Es ist nicht wie gewöhnlich und wie immer.Der neue Weihnachtskeks muß einzigartig werden. Ein himmlisches Erlebnis.< Sven stand auf, ein Zeichen dafür, daß das Gespräch beendet war. Er war sichtlich in Eile. Er streckte Tea seine schlaffe Hand hin. Mit den Worten >Fröhliches Backen, Tea<, verabschiedete er sich.Tea verließ das Zimmer so schnell sie konnte. Überstanden dachte sie verärgert. Ich habe immer Superrezepte erfunden, Backen ist meine Leidenschaft, es ist mein kreativer Zufluchtsort. Was will dieser Sven Fritzen ?: Einen Knaller?Er wird seinen Knaller bekommen………………
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