1 ...6 7 8 10 11 12 ...24 Ich sagte nach einer Minute:„ Es ist besser, wir setzen uns wieder in Bewegung “.
Mein Haus lag in Differten, einem kleinen Kaff. So unbedeutend und klein, dass es kaum weiter auffällt. Klaus und die anderen wollten weiter Richtung Saarlouis. Einmal weil Klaus und Tom dort wohnten und Stephen auf die Autobahn müsste. Volker kam aus meiner Ecke, aber er wollte auch zu seiner Familie. Wir diskutierten dann noch zwei Minuten, aber mein Vorschlag war logischer. Es war besser an einem sicheren Ort Informationen zu sammeln, als sich unbedarft einem riesigen schwerbewaffneten Kampfkoloss zu nähern.
Wir stiegen wieder in die Autos und fuhren ziemlich schnell zu mir.
Auch in meinem Dorf war niemand auf der Strasse. Als ich Zuhause ankam war kein Auto in der Garage und es war totenstill.
Wir stiegen aus und gingen ins Haus. Ich rief nach meinen Eltern und meinem Bruder Michael. Keine Antwort. Im Flur sah alles normal aus.
Aber von meiner Familie gab es keine Spur. Ich wurde aus dieser Geschichte einfach nicht schlau. Ich war der einzige Soldat in der Familie. Mein Bruder hatte verweigert, mein Vater war, was das Schiessen oder den Bund angeht, genauso ahnungslos wie meine Mutter. Sie würden sich im Haus verschanzen und es nicht verlassen. Vielleicht wurden sie auch deportiert und es gab einen Kampf im Flur. Aber die Haustür war ganz und auch kein Fenster zerbrochen. Das ergab alles keinen Sinn. Aber ich wusste das wir uns beeilen mussten. Meine Freunde waren ziemlich mit den Nerven fertig und bangten um ihre Familien. Tom meinte, ich solle mal den Fernseher anmachen, vielleicht würde uns das weiterbringen. Ich drückte den Knopf aber es passierte nichts. Ich wollte das Licht anschalten. Aber es gab keinen Strom. Als ich den Wasserhahn überprüfen wollte, hörten wir ein Geräusch an der Tür.
Differten. 15.30 MEZ. Sonntag 14.10.
Tag 3
Ich war erschrocken und erleichtert zugleich. Wir stürzten in den Flur und ich sah meinen Bruder. Er sah ziemlich mitgenommen aus. Ich fragte, was vorgefallen war und wo unsere Eltern seien. Er sagte nur:„ Gott sei dank bist Du wieder da. Es sind ganz furchtbare Dinge passiert“ . Freitags etwa um 20.20 Uhr wären unsere Eltern in sein Zimmer gekommen und hätten darauf bestanden, dass er mit ihnen unten fernsieht. Da er aber lieber für sein Studium lernen wollte, sagte er nein. Aber sie hätten keine Ruhe gegeben und versuchten ihn vor den Fernseher zu zerren. Sie hätten sich dann durch das Haus geprügelt. Es war furchtbar. In dem Gemenge hätte er sie beide mit einer Gipsfigur k.o. schlagen müssen um seine Ruhe zu haben. Es gab keine andere Möglichkeit, sie waren wie Furien. Als er ins Wohnzimmer ging lief der Fernseher. Er sah es nur von der Seite, konnte aber erkennen, dass es kein normales Bild war auch ganz merkwürdige Töne waren zu hören. Dann hat er versucht einen Krankenwagen zu rufen, aber das Telefon war tot. Er rüttelte unsere Mutter wach und wollte wissen, was das soll. Sie hätte einen total abwesenden Eindruck gemacht und nur wirres Zeugs gestammelt. Das hätte Sie ständig wiederholt.
Er hat dann versucht beide ins Auto zu schleppen, um sie ins Krankenhaus zu fahren. Als er durch Saarlouis fuhr, hätte er dort ein einziges Chaos vorgefunden. Polizei und Krankenwagen, Feuerwehr Menschen die kämpften. Er hat dann mehrmals versucht anzuhalten um einen Polizisten zu fragen, was los sei. Er bekam keine Auskunft. Ein Polizist hielt ihn dann an und wollte wissen, wo er hin wollte. Er erzählte von dem seltsamen Verhalten seiner Eltern und dass er sie ins Krankenhaus bringen wolle. Der Polizist nickte nur und meinte, dass alle verrückt geworden seien und auf der Strasse Amok laufen würden. Er wüsste auch nicht, was los sein. Danach fuhr mein Bruder weiter zum Krankenhaus. Dort war sehr viel Betrieb und fragte einen Pfleger ob er ihm helfen könne unsere Eltern ins Krankenhaus zu bringen. Auf dem Weg zum Auto fragte der Pfleger, ob Sie auch verrückt geworden wären und wirres Zeug redeten. Mein Bruder bejahte es. Dann meinte der Pfleger, dass es für ihn den Anschein hätte, als ob jemand LSD ins Trinkwasser gemacht hätte. Als sie ans Auto kamen, waren unsere Eltern wieder bei Bewusstsein und fragten wo sie sind und was passiert war.
„ Ihr wisst nicht, was passiert ist? “,: fragte mein Bruder erstaunt.
„ Wo sind wir, warum habe ich Kopfschmerzen? “, stammelte unsere Mutter. „ Wir bringen sie erst mal ins Krankenhaus um sie zu untersuchen “:, sagte der Pfleger. Dann sehen wir weiter.
Sie gingen rein und als sie das Gebäude betraten, viel der Strom aus. Es war stockdunkel, die Leute torkelten und tasteten sich ins Freie.
Mein Bruder nahm meine Eltern und wollte zurück zum Auto um wieder nach Hause zu fahren, weg aus diesem Chaos. Er hatte Angst, dass Panik ausbrechen könnte und wollte so schnell wie möglich nach Hause. Überall auf den Strassen waren Menschen, die sich irgendwie unheimlich benahmen. Wie in Trance. Es wurden immer mehr und einige hatten fast nichts an. Alte Männer im Schlafanzug und Pantoffeln, einige Hausfrauen mit Küchenschürze und Männer mit Jogginganzügen.
Diese Prozession von schrägen Vögeln passte in keine Schublade für die sonst üblichen Verdächtigen. Es waren keine Hooligans, keine gestiefelten Telly Savallas Fans oder Freiluftaktivisten Marke Berlin/Kreuzberg. Ganz normale Leute, fast ein perfekter Bevölkerungsdurchschnitt. Mittlerweile war es schon 23.00 Uhr und es schien als würde eine bleierne Last auf allem liegen. Die ungeschickten Bewegungen der Leute verstärkten diesen Eindruck am stärksten. Sie sahen nicht krank aus, aber für ein großangelegtes Projekt des Vereins zur Förderung des Ausdrucktanzes e.V. war es nicht schlecht genug.
Glücklicherweise machte keiner von diesen Leuten irgendwelche Anstalten, die Strasse zu blockieren oder sich für fahrende Autos zu interessieren. Es sah eher so aus als ob die Polizei, die als Fußstreife unterwegs war, nacheinander jeden mit einer Ohrfeige kurieren könnte. Ein skurilles Szenario. Als mein Bruder dann auf die Ausfallstrasse Richtung Autobahn einbog, sah er vor sich viele Einsatzfahrzeuge von Feuerwehr und Polizei. Sie kontrollierten jedes Fahrzeug. Alle Personen mussten aussteigen und sich durchsuchen lassen. Jetzt konnte mein Bruder eine zugedeckte Leiche erkennen. Auf der Decke zeichnete sich ein Blutfleck ab. Einige Polizisten unterhielten sich über Funk über zahlreiche Fälle von Amokläufen und das hier irgendeine Massenpsychose im Gang war. Mein Bruder fragte, was los war und ob Gefahr bestünde.
Der Polizist meinte:„ Es sieht aus, als ob alle unter Drogen stünden “. Sie hätten hier einen Mann erschießen müssen, der mit einem Jagdgewehr auf Polizeifahrzeuge gefeuert hatte. Sie hätten jetzt damit angefangen die ganzen Leute mit ein Paar warmen Ohren wieder ansprechbar zu machen. Es könne auch eine Art Hypnose sein. Eine Droge wie LSD käme für ihn nicht in Frage, das wäre unwahrscheinlich, aber keiner wisse genau was da vor sich geht. Dann stiegen sie ins Auto und wollten weiter fahren. Der Polizist meinte noch, sie sollen aufpassen, es können einem ständig welche von denen, vors Auto rennen. Gerade war die letzte Autotür zugeschlagen, da raste ein Kombi auf sie zu. Er kam aus Richtung Ensdorf und fuhr schnurstracks auf den Pulk der Einsatzfahrzeuge zu. Eine Stimme rief über das Megaphon:„ Den Wagen aufhalten “. Direkt danach schossen die Beamten was das Zeug hielt, aber es war zu spät. Ein Feuerwehrmann sprang gerade noch zur Seite, dann rammte das Auto mit einem unbeschreiblichen Krach, drei Polizeiautos. Sekundenbruchteile später zerriss eine Explosion den Rest der vier Fahrzeuge. Alle Personen, die sich in der Nähe aufhielten, wurden von der Wucht der Explosion umgeblasen. Überall regnete es brennende Trümmer und die, die ihr Trommelfell noch hatten, hörten nur noch einen monotonen Summton. Die Fensterscheiben des anliegenden Gebäudes waren alle zerstört und teilweise auf den Bürgersteig gestürzt. Der Feuerwehrmann, der sich mit einem Sprung zur Seite den Aufprall erspart hatte, war 20m weit geflogen und hing aufgespießt an einem Verkehrsschild, drei m hoch über dem Boden. Er hatte keine Chance gehabt. Die Polizisten rappelten sich langsam auf und krochen auf allen Vieren von dem Brand weg. Sie bluteten aus den Ohren und Nasen. Zwei blieben liegen und bewegten sich nicht mehr. Die Druckwelle hatte ihre Lungen platzen lassen.
Читать дальше