1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 ›Heimat‹ ist nicht grundsätzlich gleichzusetzen mit ländlicher Provinz, es kann auch eine Stadt sein oder die Kindheitslandschaft. Eine kritische Heimatliteratur kann die Auseinandersetzung mit der individuellen wie kollektiven Vergangenheit sein. Die Antiheimatliteratur zeigt jedoch keine Wege, sondern zerstört diese.
Sozialpartnerschaftliche Ästhetik
Die Verhältnisse hierzulande sind banausisch, kunstfeindlich und geisttötend.
Karl Kraus
Nach den Erwiderungen auf Greiners und Magris’ Thesen beruhigt sich die Debatte um das ›Österreichische‹. Anfang der neunziger Jahre erscheinen Robert Menasses Essays Die Sozialpartnerschaftliche Ästhetik und Das Land ohne Eigenschaften , in denen der Autor eine Bilanz zu österreichischer Identität und Geist zieht. Die vertretenen Thesen sind nicht grundsätzlich neu, sondern versuchen eine Synthese aus den bislang widerstrebenden Ansätzen zu schaffen. Menasse prägt für diese Vereinigung der Gegensätze den Begriff der ›Sozialpartnerschaftlichen Ästhetik‹.
Die österreichischen ›Sozialpartner‹ sind eine Erfindung der Zweiten Republik und setzen sich paritätisch aus Arbeiter-, Bundeswirtschafts- und Landwirtschaftskammer sowie dem Österreichischen Gewerkschaftsbund zusammen. Als Garant für den sozialen Frieden ist ein Kräftegleichgewicht geschaffen, das immer wieder Kompromisse erzielt. Die Kritik an diesem System besteht gerade in dem ständigen Ausgleich, der nicht progressiv, sondern konservierend auf die Gesellschaft wirke. 77
Der Literaturbetrieb sei in die Harmonisierung der Gegensätze ebenso eingebunden, denn »Widersprüche werden gleichsam transzendiert, in der Realität aber nicht angetastet.« 78Daraus sei ein System unbegrenzter Möglichkeiten entstanden, in dem Revolution und Konservatismus nebeneinander stehen, ohne sich gegenseitig zu behelligen. Damit werde das von Magris als ›Habsburgischer Mythos‹ gekennzeichnete Klima der Harmonie, das schon im alten Österreich bestimmend gewesen sei, wieder aufgegriffen. Allerdings werden in der geschaffenen Scheinharmonie die bestehenden Gegensätze nicht aufgehoben: »Die Ambivalenz jenes Endzeitzustandes der Sozialpartnerschaft, dieses bürgerlichen Geschichtszieles, das die totale Harmonie durchsetzt, ohne die Konfliktursachen zu beseitigen« 79, sei ein künstliches Paradies »institutionalisierter Konfliktharmonisierung« 80. Dies führe zu einem Stillstand der Geschichte, und in den Romanen Handkes und Bernhards erkennt Menasse daher »grundsätzlich keine Konkretisierung des historischen Moments« 81, und Gernot Wolfgrubers Figuren scheitern nicht prinzipiell, sondern an »diesen in Österreich so elastisch versteinerten Verhältnissen« 82.
In dem zwei Jahre später erschienenen Essay Das Land ohne Eigenschaften führt Menasse diese Thesen fort: »Österreich hat sich von seiner Geschichte abgeschottet und versucht dennoch von seiner Musealität zu leben.« 83Die heutige österreichische Realität zeige eine deutliche Parallele zu dem Österreich, das Musil im Mann ohne Eigenschaften beschrieben hat: »Wieder leben wir in einer Endzeit.« 84Die österreichische Neutralität sei zu einem Mythos geworden, und daher sei es kein Zufall, daß in Österreich mit der sogenannten ›Antiheimatliteratur‹ eine im internationalen Vergleich völlig eigenständige, neue literarische Gattung entstanden ist, denn »Österreich ist die Anti-Heimat par excellence.« 85Die Literatur, die sich mit dem Desaster der Provinz beschäftigt, sei daher das Beste, was die Zweite Republik hervorgebracht habe. Menasse verweist auf die Romane Hans Leberts und Gerhard Fritschs wie auf ihre Nachfolger. 86
So wie Magris die Mythologisierer der Zwischenkriegszeit mythologisiert, synthetisiert Menasse die Synthetisierer der Nachkriegszeit. Die bisherigen Versuche zur Bestimmung des ›Österreichischen‹ erhalten jeweils ihre Berechtigung, indem das Gegensätzliche und Unbestimmbare den ›Geist‹ und die ›Identität‹ der österreichischen Gesellschaft und Literatur bedeute. Die Harmonisierung der im ›Habsburgischen Mythos‹ verwurzelten Autoren und der von Greiner unterstellte Eskapismus für die Autoren der siebziger Jahre wird von Menasse nicht widerlegt, sondern erklärt und begründet. Deutlich wird bei diesem erneuten Bestimmungsversuch, daß sich die österreichische Literatur einer klaren Kategorisierung entzieht, beziehungsweise daß sie darin ihr Wesen zu haben scheint. Das ›Österreichische‹ näherte sich auf dieser Weise dem Zeitgeist der Postmoderne an, für den auch die Geschichte nur noch aus Versatzstücken besteht, die beliebig zusammengefügt werden können.
Nationalliteratur in der Postmoderne
In der Welt von heute ist das Problem der nationalen Identität besonders akut. […] Wir müssen begreifen, daß die Welt zwar voller Widersprüche steckt, aber dennoch eine einzige Welt ist – und Nationen macht das nervös. Sie fürchten, ihre Kultur zu verlieren, ihre Sprache und ihre Lebensweise. […] Globalisierung darf allerdings keine Dampfwalze sein, die in der ganzen Welt völlige Gleichförmigkeit schafft und die Vielfalt der Kulturen außer acht läßt. Deshalb müssen […] wir einen politischen Mechanismus finden, um diese beiden Tendenzen miteinander zu versöhnen. 87
Michail Gorbatschow
Anläßlich der Frankfurter Buchmesse mit ihrem literarischen Schwerpunktland Österreich sind eine Fülle an Meinungen und Positionen seitens österreichischer und deutscher Kritiker zum Wesen des ›Österreichischen‹ publiziert worden. Im Sinne von Magris und Menasse wird das Heterogene zum eigentlichen Bestimmungsfaktor. Eine Bündelung der wiederkehrenden Thesen soll den Ausblick auf das ›Österreichische‹ im Werk Ingeborg Bachmanns und Thomas Bernhards geben.
Das habsburgische Erbe wirkt weiterhin in der österreichischen Literatur fort. Strukturen wie der übermächtige Beamtenapparat, der Ordnungsglaube 88, das kuriose Titel- und Formelunwesen, mangelnder Widerspruchsgeist, lächelnde Heuchelei seien allesamt Atavismen des behäbigen Habsburgertums. Der ›Habsburgische Mythos‹ sei »wie eine Art Ödipuskomplex« 89. In diesem Kontext spricht Leo Federmair auch von den verbindenden formalen Gesichtspunkten: »Demnach sind ihre Hauptcharakteristika das Barocke, Verspielte, Manieristische, eher Sinnliche als Intellektuelle.« 90
Raoul Schrott hält die Österreicher weiterhin für »servil, ein Erbe kaiserlicher und königlicher Monarchien, das zur hohen Kunst des Hofnarrentums« neige, »dessen morbider Charakter sich in den Kaffeehäusern offenbar[e], in der hohen Kunst des Nörgelns« 91. Aus Ahnen und Erleben des Zerfalls von einem Großreich, das Österreich einmal als Monarchie der Habsburger jahrhundertelang war, und aus dessen »Zerbröselung aus sich selber, mündend in den Kopfsturz des Selbstmords« 92, seien all die Ängste und Schwächen entstanden. Für Günther Nenning ist »die geheimnisvoll fortdauernde altösterreichische Grundlage der österreichischen Literatur […] viel müheloser multikulturell als die deutsche. Insofern (dank des verschollenen Vielvölkergedränges) ist die österreichische Literatur nichtdeutsch. Die deutsche Literatur ist ethnisch reiner – und insofern bornierter, provinzieller als österreichische Literaturprovinz.« 93Darin sieht Barbara Frischmuth gerade die große Chance Österreichs, weil die meisten anderen Nationen einen viel starreren Nationenbegriff haben und es schwerer mit der notwendigen Modernisierung haben. 94Der ›Habsburgische Mythos‹ wird von diesen Autoren – trotz seiner Nachteile 95– als multinationale, multikulturelle und multilinguale Tradition geschätzt, die es in der Moderne zu nutzen gilt. Dieses Erbe muß allerdings sensibel verwaltet werden, damit daraus keine ideologisch gefährliche Nationalliteratur entsteht, die bereits im 19. Jahrhundert und dann im Nationalsozialismus korrumpiert war. 96Auch die österreichische Nachkriegsgeschichte zeige, wie leicht es sich die Mehrheit der Österreicher gemacht habe, sich nur in die Geschichte zurückzuwenden und dabei die drängende Gegenwart zu vermeiden. 97
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