Joachim Hoell - Der literarische Realitätenvermittler

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Ich bin nicht eigentlich Schriftsteller, habe ich zu Gambetti gesagt, nur ein Vermittler von Literatur und zwar der deutschen, das ist alles. Eine Art literarischer Realitätenvermittler, habe ich zu Gambetti gesagt, ich vermittle literarische Liegenschaften sozusagen.
Thomas Bernhard. Auslöschung. Ein Zerfall, 1986
Diese Selbsteinschätzung des erzählenden Protagonisten Franz-Josef Murau erhellt aus seiner Tätigkeit in Rom: er ist der Deutschlehrer Gambettis, der diesem die deutsche Literatur nahezubringen versucht. So wird auf den ersten Seiten des Romans ein Kanon zu lesender Werke aufgestellt, die Gambetti auf das aufmerksamste und mit der in seinem Fall gebotenen Langsamkeit studieren soll. Im Verlauf des Romans wird diese Literaturliste ständig erweitert, um am Ende mit einer beträchtlichen Anzahl an Autoren und Werken die freien Regale dieser Bibliothek des bösen Geistes gefüllt zu haben. Der geistesgeschichtliche Horizont, den Murau in diesem Pandämonium absteckt, reicht von Montaigne bis zu Ingeborg Bachmann, von der Spätrenaissance bis in die Gegenwart.
Joachim Hoell begibt sich auf die literarische Reise nach diesen 'Liegenschaften' und veranschaulicht in dieser größten Monographie zu Bernhards letztem und umfangreichsten Roman Auslöschung, auf welche Weise Thomas Bernhard von Autoren wie Jean Paul, Novalis, Hebel, Goethe, Kafka, Musil, Broch, Bachmann, Kropotkin, Pavese, Sartre, Montaigne, Descartes, Pascal, Voltaire und Rousseau thematisch, weltanschaulich und ästhetisch geprägt wurde.
Die intertextuelle Analyse bildet somit einen neuen Schlüssel für das Werk des 1989 verstorbenen österreichischen Schriftstellers.

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Joachim Hoell

Der literarische Realitätenvermittler.

Die Liegenschaften in Thomas Bernhards Roman

Auslöschung

2014

Über dieses Buch

Ich bin nicht eigentlich Schriftsteller, habe ich zu Gambetti gesagt, nur ein Vermittler von Literatur und zwar der deutschen, das ist alles. Eine Art literarischer Realitätenvermittler, habe ich zu Gambetti gesagt, ich vermittle literarische Liegenschaften sozusagen.

Thomas Bernhard. Auslöschung. Ein Zerfall, 1986

Diese Selbsteinschätzung des erzählenden Protagonisten Franz-Josef Murau erhellt aus seiner Tätigkeit in Rom: er ist der Deutschlehrer Gambettis, der diesem die deutsche Literatur nahezubringen versucht. So wird auf den ersten Seiten des Romans ein Kanon zu lesender Werke aufgestellt, die Gambetti auf das aufmerksamste und mit der in seinem Fall gebotenen Langsamkeit studieren soll. Im Verlauf des Romans wird diese Literaturliste ständig erweitert, um am Ende mit einer beträchtlichen Anzahl an Autoren und Werken die freien Regale dieser Bibliothek des bösen Geistes gefüllt zu haben. Der geistesgeschichtliche Horizont, den Murau in diesem Pandämonium absteckt, reicht von Montaigne bis zu Ingeborg Bachmann, von der Spätrenaissance bis in die Gegenwart.

Joachim Hoell begibt sich auf die literarische Reise nach diesen 'Liegenschaften' und veranschaulicht in dieser größten Monographie zu Bernhards letztem und umfangreichsten Roman Auslöschung, auf welche Weise Thomas Bernhard von Autoren wie Jean Paul, Novalis, Hebel, Goethe, Kafka, Musil, Broch, Bachmann, Kropotkin, Pavese, Sartre, Montaigne, Descartes, Pascal, Voltaire und Rousseau thematisch, weltanschaulich und ästhetisch geprägt wurde.

Die intertextuelle Analyse bildet somit einen neuen Schlüssel für das Werk des 1989 verstorbenen österreichischen Schriftstellers.

Die Originalausgabe dieses Buchs erschien 1995 in der VanBremem Verlagsbuchhandlung in Berlin. Für diese Ausgabe bei epubli wurde das Buch geringfügig überarbeitet und um ein aktives Inhaltsverzeichnis erweitert.

Pressestimme:

Realitätenvermittler (österreichisch für Grundstücksmakler) handeln mit Liegenschaften und spielen in Bernhards Leben und Werk eine nicht unwichtige Rolle. Franz-Josef Murau, die Hauptfigur der Auslöschung, bezeichnet sich selbst als einen "literarischen Realitätenvermittler". Von dieser Selbsteinschätzung ausgehend, macht der Verf. den Begriff der "literarischen Liegenschaft" literaturwissenschaftlich fruchtbar. So entsteht eine Topologie im doppelten Sinn des Begriffs. Denn es werden nicht nur die intertextuellen Bezugnahmen, sondern auch ihre Bedeutung als Konstituenten der Figur Muraus und der dargestellten Welt rekonstruiert. Die Arbeit behandelt also im Kontext der zum Teil nur über Autorennamen zitierten, deutsch- und fremdsprachigen Literatur (wobei die Goethezeit und die Moderne sowie autobiographische bzw. philosophische Literatur abgedeckt werden) die zentralen (aber auch schon hinlänglich bekannten) Topoi des Romans wie Kindheit, Krankheit, Politik und Utopie, Romantik sowie das Selbstverständnis des Geistesmenschen in seinem Versuch der autobiographischen Selbstvergewisserung im Akt der Auslöschung. Den Wert der Arbeit macht die solide und umfassende Aufarbeitung dieser topologischen Felder aus.

Germanistik, Oliver Jahraus, Band 40, 1999

Über den Autor

Joachim Hoell, geboren 1966, lebt als Autor in Berlin. Nach Studium und Promotion in Germanistik und Lateinamerikanistik zahlreiche Artikel und Bücher, u.a. Biografien über Thomas Bernhard (dtv 2000, Hörbuch gelesen von Hermann Beil, Tacheles 2006), Ingeborg Bachmann (dtv 2001, Hörbuch gelesen von Sophie Rois, Random House Audio 2006) und Oskar Lafontaine (Lehrach 2004), Mitherausgeber der Gesammelten Schriften von Philipp Mainländer (Olms 1996-1999) und zahlreiche Romanbearbeitungen fürs Hörbuch wie Hörbuchregie, von Autoren wie Louis Begley, Harry Belafonte, T.C. Boyle, Charles Dickens, John Grisham, Richard Ford, Robert Harris, Stephen Hawking, Terézia Mora, Melinda Nadj Abonji, Hanns-Josef Ortheil, Rüdiger Safranski, Frank Schirrmacher, Richard Sennett und Martin Suter. Lehraufträge zu moderner Literatur und Hörbuch an zahlreichen Universitäten. Konzeption und Moderation literarisch-musikalischer Programme, u.a. im Residenzschloss Ludwigsburg.

… mehr auf www.joachimhoell.de

Bei epubli von Joachim Hoell erhältlich:

Der literarische Realitätenvermittler. Die Liegenschaften in Thomas Bernhards Roman Auslöschung. Berlin 1995, 2. Auflage epubli Berlin 2014

Mythenreiche Vorstellungswelt und ererbter Alptraum. Ingeborg Bachmann und Thomas Bernhard. Berlin 2000, 2. Auflage 2001, 3. Auflage epubli Berlin 2014

Thomas Bernhard. Ein Portrait. München 2000, 2. Auflage 2003, 3. Auflage epubli Berlin 2014

Ingeborg Bachmann. Ein Portrait. München 2001, 2. Auflage 2004, 3. Auflage epubli Berlin 2014

Provokation und Politik. Oskar Lafontaine. Braunschweig 2004, 2. Auflage epubli Berlin 2014

Der literarische Realitätenvermittler.

Die Liegenschaften in Thomas Bernhards

Roman Auslöschung

Joachim Hoell

© 2014 Joachim Hoell

published by: epubli GmbH

Berlin www.epubli.de

ISBN 978-3-8442-8585-7

I. Einleitung

Aber wir sind eingeschlossen in eine fortwährend alles zitierende Welt, in ein fortwährendes Zitieren, das die Welt ist ... (Thomas Bernhard Verstörung)

Die Nachricht vom Tod seiner Eltern und seines Bruders führt für den Österreicher Franz-Josef Murau zu einer Reflexion seines Lebens in Rom und seiner Kindheit in Wolfsegg. Der dem Leser vorliegende Bericht ist Muraus literarische Bewältigung seines "Herkunftskomplex[es]" (A 201), der Auslöschung, die bis auf die Einschübe eines ungenannten Herausgebers identisch mit der Auslöschung 1ist. Obwohl Murau der Verfasser der Schrift ist, behauptet er, daß er nie ein Schriftsteller habe sein wollen, er wollte lediglich "etwas aufschreiben, nur für mich" (A 617):

Ich bin nicht eigentlich Schriftsteller, habe ich zu Gambetti gesagt, nur ein Vermittler von Literatur und zwar der deutschen, das ist alles. Eine Art literarischer Realitätenvermittler, habe ich zu Gambetti gesagt, ich vermittle literarische Liegenschaften sozusagen. (A 615)

Diese Selbsteinschätzung erhellt aus seiner Tätigkeit in Rom: er ist der Deutschlehrer Gambettis, der diesem die deutsche Literatur nahezubringen versucht. So wird auf den ersten zwei Seiten des Romans ein Kanon zu lesender Werke aufgestellt, die Gambetti "auf das aufmerksamste und mit der in seinem Fall gebotenen Langsamkeit" (A 7) studieren soll. Im Verlauf des Romans wird diese Literaturliste ständig erweitert, um am Ende mit einer beträchtlichen Anzahl an Autoren und Werken die freien Regale dieser " Bibliothek […] des bösen Geistes " (A 149) gefüllt zu haben. Der geistesgeschichtliche Horizont, den Murau in diesem Pandämonium absteckt, reicht von Montaigne bis zu Ingeborg Bachmann, von der Spätrenaissance bis in die Gegenwart.

Dieses name-dropping scheint gewissermaßen die einzelnen Autoren und Werke einzuebnen, so daß in der Forschungsliteratur zur Auslöschung zumeist der Brückenschlag zwischen der bedeutungslosen Geste des Hofmeisters und der totalen Auslöschung Muraus konstatiert wird, der den Sinn der Lektüreempfehlungen für den Roman negiert.

In dieser Arbeit soll entgegen dieser mittlerweile tief verwurzelten Meinung eine Recherche nach den von Murau vermittelten »Liegenschaften« durchgeführt werden; die Bedeutungen für die eigene Schrift des »literarischen Realitätenvermittlers« wie für Thomas Bernhards Auslöschung müssen dabei eruiert werden. Bernhard als realer Autor des vorliegenden Textes schiebt einen fiktiven Autor vor, um sein eigenes Ich hinter diesem verstecken zu können, ein Kunstgriff, der ihm ein gewaltiges Artikulationsfeld eröffnet. Wie Bernhard diese Möglichkeiten auszuschöpfen trachtet, soll im folgenden ersichtlich werden, denn die Lektüreerfahrungen Muraus sind auch die seinigen, allerdings mit dem qualitativen Unterschied, daß Bernhard diese »Realitäten« im Gegensatz zu Murau zu differenzieren weiß.

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