1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 Der zweite Mythos besteht in dem Herunterspielen und Verfälschen der Rolle Österreichs im Nationalsozialismus gegenüber der Weltöffentlichkeit, wobei für eine Vielzahl von Österreichern, für die das Jahr 1945 subjektiv nicht Befreiung, sondern Niederlage bedeutete hatte, Konzession um Konzession gemacht werden mußte. 98Diese Kontinuität gilt es zu bekämpfen, da sich Österreich wieder von rechten Kräften bedroht fühlt: »es ist traurig, dass die ›volksseele‹ der österreicher zum faschismus tendiert.« 99
Wendelin Schmidt-Dengler konstatiert weiterhin zwei einander schroff gegenüberstehende Positionen in der österreichischen Nachkriegsliteratur: »eine Position der Ordnung und eine der Anarchie.« 100These steht gegen These: Austriakischer Triumphalismus gegen ständige Selbstzweifel, permanente Unschuldsbeteuerungen gegen ständige Selbstbekenntnisse. Diese Mehrsinnigkeit leite sich schon von Freud und Schönberg als entscheidende Etappen in der Bewußtseinsbildung her, nämlich deren Eintritt in die Selbstreflexion. 101
Letztendlich vermögen die das ›Österreichische‹ konstituierenden Merkmale »die großen Probleme und großen Krisen des zeitgenössischen westlichen Bewußtseins mit außergewöhnlicher Luzidität auszudrücken.« 102Ingeborg Bachmann sieht Österreich durch seine Geschichte als Nukleus für weltweite Prozesse: »Man kann von diesem kleinen, verwesten Land aus Phänomene viel genauer sehen, die man in den großen, verblendeten Ländern nicht sieht.« (Bachmann, GuI 80) Damit näherte sich die mikroskopische Untersuchung österreichischer Literatur globaleren Zusammenhängen und Problemen der Moderne wie Fortschritt versus Tradition, politische Gemeinschaft versus kulturelle Verschiedenheit, Geschichtsbewältigung versus Geschichtsklitterung, künstlerische Utopie versus vollständige Resignation.
Anton Pelinka stellt für das Österreichbild die Synthese her, daß jeder seine eigene Wahrheit behalten dürfe. »Österreich ist nicht gleich Österreich, die Wirklichkeit dieses Landes widerspricht seiner Wirklichkeit. […] Aber eben weil Österreich immer wieder neu und im Widerspruch erfunden wird, gibt es keinen Stillstand – Österreich ist nicht zu Ende.« 103Peter Wapnewski verweist auf das gemeinsame Erbe des ›morbus austriacus‹, das die österreichischen Autoren dieses Jahrhunderts miteinander verbinde: »Denn was immer sie trennen mag, was immer sie unterscheiden mag von sozialer und geographischer und religiöser Abstammung her: sie alle tragen als Erbe den morbus austriacus in sich, die Last großer Schwermut und schmerzlicher Trauer, die Unlust, an der Lust des Lebens anders teilzunehmen als in spielerischem Spott, in sanfter Wehmut oder bitterem Hohn«. 104
In welcher Weise Ingeborg Bachmann und Thomas Bernhard von diesem ›morbus austriacus‹ befallen sind, den Jean Améry im Werk beider Autoren erkennt 105, sollen die folgenden Ausführungen zum Verhältnis Österreichs zeigen.
Bachmann, Bernhard und das ›Österreichische‹
Vergessen Sie auch nicht das Gewicht der Geschichte. Die Vergangenheit des Habsburgerreichs prägt uns. Bei mir ist das vielleicht sichtbarer als bei den anderen. Es manifestiert sich in einer Art echter Haßliebe zu Österreich, sie ist letztlich der Schlüssel zu allem, was ich schreibe. 106
Thomas Bernhard
Ingeborg Bachmann und Thomas Bernhard gehören zu den bedeutendsten Autoren der Nachkriegszeit in Österreich. In welcher Weise ihr Werk spezifisch ›österreichisch‹ ist, in den ›Habsburgischen Mythos‹ als ›mythenreicher Vorstellungswelt‹ eingebunden ist und sich mit dem Opfermythos als ›ererbtem Alptraum‹ auseinandersetzt, werden die folgenden Einzeluntersuchungen zur Fortschreibung der Werke Joseph Roths, Jean Amérys und Hans Leberts ausführen. Beide Autoren haben sich jedoch wiederholt in ihrem Werk und in Interviews zu Österreich geäußert.
Thomas Bernhards 1966 publizierte Politische Morgenandacht stellt als polemischer Entwurf und Verwurf Österreichs seine dezidierteste Auseinandersetzung mit der habsburgischen Vergangenheit und der österreichischen Gegenwart dar. Kaum einer wisse heute noch von »was für glänzenden, den ganzen Erdball überstrahlenden und erwärmenden Höhen [die österreichische Politik] im Laufe von nur einem einzigen halben Jahrhundert in ihr endgültiges Nichts gestürzt ist. […] Heute, ein halbes Jahrhundert nach der Zertrümmerung des Reiches, ist das Erbe verbraucht, die Erben selbst sind bankrott. […] Ich enthalte mich nicht der Versicherung, daß wir in Österreich von dem ›Begriff Österreich‹ nichts mehr zu hoffen haben. Wir werden aufgehen in einem Europa, das erst in einem anderen Jahrhundert entstehen mag, und wir werden nichts sein. Wir werden nicht über Nacht nichts sein, aber wir werden eines Tages nichts sein. Überhaupt nichts. Und beinahe überhaupt nichts sind wir schon. Ein kartographisches Nichts, ein politisches Nichts. Ein Nichts in Kultur und Kunst.« (PM 11ff.) Diese wohl deutlichste Interpolation von Habsburger Reich und Nachkriegszeit ist Kennzeichen von Bernhards in der altösterreichischen Geschichte angesiedelten Literatur, von dessen Erbe er sich jedoch nicht mehr viel verspricht. 107Die österreichische Geschichte ist scheinbar am Ende und die ruhmvolle Tradition des Landes wirkt übermächtig und blind fort. Diesen Widerspruch verarbeiten Bernhard und Bachmann, wie ihre Reminiszenzen an die österreichische Kulturgeschichte von Haydn, Mozart, Bruckner bis zur Wiener Schule und von Stifter, Hofmannsthal, Rilke, Kafka, Musil bis zu Broch zeigen. Die Polarität von Wirklichkeit und Wirklichkeitsflucht, von Handlung und Handlungsverzicht ist die Spannung, die ihre Figuren gegenüber ihrem Erbe aufreibt.
Daß in Bernhards Werk wiederholt ein Erbe anzutreten ist, das dann verschenkt oder vernichtet wird, und diese Erbschaften Schlösser, Burgen und gewaltige Ländereien umfassen, ist ein Hinweis darauf, wie das habsburgische Erbe auf den Figuren lastet. »Thomas Bernhards Werk ist eine einzige Anstrengung, den Mythos zu liquidieren« 108, vermutet Ulrich Greiner. Dieses Erbe ist jedoch infiziert, wie an dem Familienbesitz Wolfsegg in Auslöschung deutlich wird, da es durch die Korrumpierung mit den Nationalsozialisten und durch die dort verübten Verbrechen jäh von der geschichtlichen Tradition Großösterreichs abgetrennt worden ist. Die Gefahr der Nostalgie ergibt sich deswegen kaum, auch wenn die Schönheit österreichischer Landschaft und kultureller Bestände immer wieder betont wird. 109»Österreicher wird man ja nicht in einer Nacht, sondern in einem langen Prozeß, das ist eine Jahrhundertsache und keine von Jahrzehnten. Alles, was wir sind, setzt sich aus den Leuten zusammen, die vor uns waren, in dieser Verschmelzung von Völkern. Österreich war ja immer offen, tatsächlich weltoffen. Und ist es ja heute noch. Der Österreicher sagt zwar, ich bin nur Provinz, aber es ist ja genau das Gegenteil.« 110Dieses weitere deutliche Bekenntnis zur jahrhundertelangen Geschichte Alt-Österreichs demonstriert Bernhards Verwurzeltsein in der Kultur seiner Vorfahren. Eine ›Heimat‹ ergibt sich daraus jedoch nicht mehr, zumindest nicht im Sinne von unbelehrbaren Faustpatrioten. »Folgerichtig intensiviert sich der Zweifel an der Aufmerksamkeit, auch was das geliebte, genauso gehaßte Österreich, das Land meiner Eltern betrifft. Was diesen noch Heimat gewesen war, eine lebenslängliche Glücks- und Schreckensbindung, ist mir ein mehr oder weniger zur Gewohnheit gewordener Geschichtsaufenthalt, geliebte, gehaßte Nähe, von Heimat kann keine Rede sein« 111. Bernhard distanziert sich immer wieder von Österreich, das durch seine Geschichte wie auch die Verbindung von Staat und Kirche korrumpiert worden sei. 112Er gibt diesen österreichischen Verhältnissen letzten Endes eine produktive Wendung, da Zorn und Verzweiflung seine einzigen Antriebe zum Schreiben darstellen, und in Österreich habe er den idealen Ort dafür gefunden. »Kennen Sie viele Länder, wo ein Minister sich extra bemüht, um die ›Rückkehr in die Heimat‹ eines SS-Offiziers zu begrüßen, der für den Tod tausender Menschen verantwortlich war?« 113Literarisch zeigt sich diese Hinwendung zu Österreich in den von den Figuren erwähnten kanonisierten Texten. Von herausragender Bedeutung in der Auslöschung sind die österreichischen Dichter der Moderne wie Kafka, Musil und Broch. 114
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