1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 Diese Hinwendung zu Österreich wird von Bachmann ausdrücklicher erklärt. In einem frühen wie in einem späten Interview erläutert sie diese Form von Patriotismus, die sie aus dem gemeinsamen »Sprachklima« (Bachmann, GuI 45) herleitet: »Dichter wie Grillparzer und Hofmannsthal, Rilke und Robert Musil hätten nie Deutsche sein können. Die Österreicher haben an so vielen Kulturen partizipiert und ein anderes Weltgefühl entwickelt als die Deutschen.« (Bachmann, GuI 12) Für Bachmann spielt die durch ihre Herkunft im Dreiländereck Österreich, Slowenien und Italien erfahrene Grenzproblematik, deren Spuren sich durch ihr gesamtes Werk ziehen, eine zentrale Rolle. In Bachmanns Manuskript Biographisches aus dem Jahre 1952, heißt es: »Im Grunde aber beherrscht mich noch immer die mythenreiche Vorstellungswelt meiner Heimat, die ein Stück wenig realisiertes Österreich ist, eine Welt, in der viele Sprachen gesprochen werden und viele Grenzen verlaufen.« (Bachmann 4, 302) Ihre bevorzugten Autoren sind österreichischer Provenienz, die den Konflikt verschiedener Kulturen, Traditionen und Sprachen in sich einschließen. Dies sei auch der wichtige Unterschied zur deutschen Literatur, die homogener als die österreichische ist. Bachmann ist eine Verfechterin des Modells ›Haus Österreich‹, »mit dieser langen und großen Geschichte, mit ihrer Literatur, die für mich immer eine größere Rolle gespielt hat als beispielsweise die deutsche […]. Denn selbst zu deutschen Autoren, vor denen ich Respekt habe, finde ich keine Beziehung. Natürlich aber zu Musil und Kafka, zu Weininger, Freud, Wittgenstein und vielen anderen.« (Bachmann, GuI 79f.)
Bachmann und Bernhard beziehen sich ausdrücklich auf die ruhmvolle Vergangenheit des Habsburger Reiches, in deren Mythos sie sich eingebunden fühlen. Deutsche Autoren haben durch die unterschiedliche Geschichte einen geringeren Einfluß auf beide Autoren. Die Wirklichkeitsflucht wird zugunsten einer konkreten Auseinandersetzung mit den »sozialhistorischen Zusammenhängen« (Bachmann, GuI 133) überwunden, immer mit der Prämisse, daß Dichten nicht außerhalb der geschichtlichen Situation stattfinde (vgl. Bachmann 4, 196). Der Habsburgische Mythos ist beiden Autoren gegenwärtig, die konkrete literarische Auseinandersetzung mit der Geschichte wendet sich jedoch gleichermaßen der Nachkriegsgeschichte und dem Opfermythos zu.
Ingeborg Bachmann und Thomas Bernhard zeigen wesentliche Merkmale des ›Österreichischen‹ in seiner komplexen Heterogenität. Die folgenden Untersuchungen werden diesen Umgang mit ihrer ›Heimat‹ deutlicher hervortreten lassen.
II Habsburgischer Mythos und Geschichtsbewußtsein
Einmal hat sie zu mir gesagt, im Grunde will ich nach Wien zurück , dann aber, oft keine paar Minuten später, genau das Gegenteil, indem sie nämlich mit derselben Überzeugung zu mir gesagt hat, im Grunde will ich nicht nach Wien zurück , im Grunde will ich in Rom bleiben und ich will sogar in Rom sterben. Maria hat oft gesagt, daß sie in Rom sterben will, dachte ich. Sie war durch ihren Verstand gezwungen, in Rom zu sein, in Wahrheit Wien zu lieben, aber in Rom zu sein, dachte ich. […] fing sie wieder an, davon zu reden, schließlich und endlich nach Wien zurückzugehen, das ihre Heimat sei, was ich selbst ihr gegenüber immer nur mit einem Lachen zu quittieren hatte, denn das Wort Heimat gerade aus ihrem Mund ist immer genauso grotesk gewesen, wie aus dem meinigen, nur spreche ich es niemals aus, weil es mir zu widerwärtig ist, überhaupt gebraucht zu werden, während Maria immer wieder in diesem Wort Zuflucht suchte, sie sagte auch immer von dem Wort Heimat , es sei das verführerischste .
Thomas Bernhard
Gelingen kann dem Dichter, im glücklichsten Fall, zweierlei: zu repräsentieren, seine Zeit zu repräsentieren, und etwas zu präsentieren, für das die Zeit noch nicht gekommen ist. (Bachmann 4, 196)
Der Figur Maria wird in Auslöschung eine Affinität zum Begriff ›Heimat‹ unterstellt. Thomas Bernhard projiziert in seinem großen Österreichroman das ambivalente Verhältnis Muraus zwischen Romliebe und Österreichhaß auf eine zweite Figur, hinter der sich Ingeborg Bachmann verbirgt. Damit wird ein Aspekt in Bachmanns Werk akzentuiert, der zum Zeitpunkt der Niederschrift von Bernhards Roman kaum Beachtung gefunden hatte: das Verhältnis der Autorin Ingeborg Bachmann zu Österreich. Daß Bernhard Murau über Marias Heimatbegriff lachen läßt und das Wort gerade aus ihrem Mund für grotesk hält, deutet die Spannung zwischen den Figuren in diesem Punkt an. Obwohl die Figurenrede zwischen Maria und Murau von dem Verhältnis zwischen Bernhard und Bachmann geschieden werden muß, impliziert diese Passage eine Kritik an Bachmanns Auseinandersetzung mit Österreich und seiner Geschichte. Da in Auslöschung außer dem Hinweis auf Böhmen liegt am Meer kein weiteres Werk Bachmanns explizit genannt wird, bleibt offen, ob sich die Kritik auf die ›geistige Heimat‹ im Gedicht bezieht oder auf andere Texte.
Der Diskurs über Österreich und seine Geschichte zieht sich allerdings durch Bachmanns gesamtes Œuvre, von der frühen Erzählung Das Honditschkreuz , den Gedichten der fünfziger Jahre, dem Erzählband Das dreißigste Jahr bis zu den Todesarten . Eine positive Aneignung der ›Heimat‹ wird ihr in dem letzten zu Lebzeiten veröffentlichten Text, Drei Wege zum See, unterstellt, in welchem die entschiedenste Auseinandersetzung mit der Habsburger Vergangenheit, dem Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit in Österreich stattfindet. Daß diese Art der Zuwendung an ihre ›Heimat‹ nicht statthaft sei, ist wiederholt vermutet worden; sie verherrliche Österreich und stilisiere es sogar als Opfer Hitlerdeutschlands.
Die angemessene Rezeption des gesamten Simultan -Zyklus ist nicht nur durch Ingeborg Bachmanns vermeintlich diffuses Geschichtsbild erschwert worden, sondern auch durch ästhetische Einwände. Die Kritik ist bei Erscheinen nahezu einmütig von Inhalt und Form des Werkes enttäuscht, da die fünf Erzählungen in ihrem ›Leichtigkeits-Parlando‹ gegenüber dem ein Jahr zuvor veröffentlichen Roman Malina nicht die gehegten Erwartungen an die Autorin erfüllen. Es trifft die Erzählungen wiederholt der Vorwurf der Trivialliteratur, indem die triviale Gedankenwelt der Figuren mit den Intentionen der Autorin gleichgesetzt wird.
Jean Améry hat bereits im Erscheinungsjahr von Simultan gegen die »mit rohem Übelwollen« (Améry, G 201) verfaßten Besprechungen eine prominente Würdigung gesetzt, und zwar in Hinsicht auf die Österreichthematik.
Bewältigungsversuche: Jean Améry
Eine Heimatdichterin? Um Gottes Willen, nein!
(Améry, G 201)
Jean Améry rückt in seiner Simultan -Rezension Hofmannsthals Terzinen , Schnitzlers Reigen und Leutnant Gustl , Musils Törleß und Roths Radetzkymarsch in den Blick, »also das literaturgewordene bürgerliche Österreich« (Améry, T 193), in dessen Tradition die Erzählsammlung stehe. Der inhaltlichen Dimension entspreche der Stil aus »Leichtigkeit und Nebenhingesprochenheit«, der »sowohl österreichisches Parlando wie wohldurchdachte kompositorische Technik« (Améry, T 194) sei. Améry sieht gar den »Versuch unternommen, eine österreichische Literatursprache zu schaffen oder wiedererstehen zu lassen.« (Améry, T 194) Literarische Tradition und österreichische Sprache sind Améry zufolge die Kriterien für Bachmanns Österreichbewußtsein.
Jean Amérys emphatische Besprechung – die nicht ohne Einschränkungen ist – gründet allerdings auch auf einer sehr persönlichen Verbindung zu Bachmanns Zyklus: In Drei Wege zum See ist »von einem Mann mit einem französischen Namen, der aber ein Österreicher war und in Belgien lebte« (Bachmann, 2 421) die Rede, der den Essay »Über die Tortur« verfaßt habe. Diese Erwähnung Amérys deutet den Einfluß seiner Schriften auf den Simultan -Zyklus an, die Bachmanns Geschichtsverständnis zu erhellen vermögen. Améry ist einer der wenigen österreichischen Autoren der Nachkriegszeit, auf den Bachmann sich bezieht und der seine Erfahrungen im ›Dritten Reich‹ und als staatenloser Exilant in dem Bachmann bekannten Band Jenseits von Schuld und Sühne. Bewältigungsversuche eines Überwältigten dargestellt hat.
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