Als Kosegartens Kinder davon Kenntnis erhielten, dass ihr 79-jähriger Vater ein viertes Mal heiraten wollte, und zwar das aus Drontheim in Norwegen nach Grevesmühlen gezogene Dienstmädchen Ingeborg Juliane Linden, genannt „Lina“, erhoben sie in Anbetracht seines hohen Alters bei der Landesregierung Einspruch dagegen. Die Regierung sprach Kosegarten einen offiziellen Tadel aus und übergab die Angelegenheit einem ordentlichen Gericht. Nun aber forderte Kosegarten eine gerichtliche Entscheidung darüber, ob seine Kinder überhaupt grundsätzlich berechtigt seien, sich der Wiederverheiratung ihres Vaters zu widersetzen. Das Gericht verwarf den Widerspruch der Kinder als unberechtigt. So vermählte sich Bernhard Christian Kosegarten am 29. Juli 1801 mit Ingeborg Juliane Linden. Sein Amtsbruder Bandelin, der ihn bereits mit Friederike Schröder getraut hatte, vollzog wieder die Trauung.
„Lina“ Kosegarten, die sich wiederholt in Rostock aufgehalten hatte, schenkte dort am 12. Juni 1803 der Tochter Juliane Maria das Leben. Problematisch wurde nun die Ermittlung des Vaters dieses Kindes. Anfangs gab „Lina“ einen Rostocker Studenten als Vater an. Als aber Bernhard Christian Kosegarten am 17.Juni 1803 im Alter von 81 Jahren 3 Monaten und 10 Tagen gestorben war, nannte „Lina“ Kosegarten als den Vater ihrer Tochter. Aber das berührte den toten Kosegarten nun nicht mehr. „Lina“ Kosegarten verlegte ihren Wohnsitz endgültig nach Rostock, wo sie 20 Jahre später, am 20. August 1823, im Alter von 45 Jahren starb.
Am 13. Juli 1800 feierte Präpositus Bernhard Christian Kosegarten sein 50-jähriges Jubiläum als Pastor in Grevesmühlen. Zunächst war geplant, das Mittagessen im seinerzeit bedeutendsten Restaurant der Stadt, bei Sandmann, später das Callies’sche Geschäftshaus neben den Alten Rathaus, einzunehmen. Sämtliche Gäste sollten unter Musikbegleitung mit dem Jubilar vom Pfarrhaus zur Mittagstafel und nach dem Essen feierlich zum Pfarrhaus I zurückgehen. Diesen Plan aber ließ man in der Familie Kosegarten fallen, weil die Aufstellung solch eines Festzuges „gewissen Rangstreitigkeiten unterworfen“ wäre.
Kosegarten lud einige Wochen vor dem Jubiläum den Magistrat der Stadt und die Herren Beamten des Amts zur Teilnahme ein. Die Beamteten antworteten, dass „sie als fürstliche Bediente nicht voraus bestimmen könnten, ob ihre Geschäfte eine Teilnahme verstatten würden, jedoch im mindesten nicht zweifelten, dass auch ohne ihre Gegenwart das Fest in Freude verbracht werde“. Glückwünsche schienen vergessen, wenn nicht absichtlich vermieden worden zu sein.
Am Festtag fanden sich 10 Pastoren der Umgebung ein. Der Festzug betrat die Kirche durch den Südeingang. Das Gotteshaus war voller Menschen. Alle Gänge waren verstopft, Die von Kosegarten gehaltene Festpredigt war ein einziger Lobgesang des Jubilars auf sich selbst und eine einzige Strafpredigt an die Gemeinde, die ihren treuen Hirten nicht zu schätzen wisse.
Nach Beendigung des Gottesdienstes um ½ 3 Uhr stand die Menge auf dem Kirchhof von der Kirchentür bis zum Pfarrhaus. Auffallend war, dass hier und auch sonst kein einziges Gemeindeglied Kosegarten zu seinem Ehrentag gratuliert hat.
In seiner Festpredigt führte Kosegarten u. a. aus: „Schwächen und Fehler haften jedem Sterblichen an, weit entfernt also, dass ich nicht demütig bekennen sollte: Auch ich habe vielfältig gefehlt, auch ich bedarf der Reinigung durch Jesum Christum… Mein Temperament hat mich gewiss öfter irre geführt, und ich will nicht in Abrede sein, dass manche meiner Leiden durch mich selbst entstanden sind. Aber ich bin auch überzeugt,… dass ich mein Amt treu und nach besten Wissen und Gewissen verwaltet habe. Stets ist mir das Wohl meiner Gemeinde heilig gewesen.“
Noch Jahrzehnte nach seinem Tod lebte Kosegarten in der Erinnerung und der Phantasie der Grevesmühlener Gemeinde weiter. Eines Abends wurde Kosegartens Nachfolger Heyden herausgerufen. Jemand glaubte, in der Kirche, wo Kosegarten begraben lag, heftigen Wortwechsel zu hören. Der Betreffende war der Meinung, Kosegarten in einem zornigen Streitgespräch mit seinem alten Widersacher, dem Degtower Pächter Stricker, vernommen zu haben. Heyden hatte es nicht leicht, die Gemeinde zu beruhigen. Andere wollten Kosegarten mit einem Buch unter dem Arm vor dem Pfarrhaus am Kirchplatz gesehen zu haben: „Hei hadd’ hier noch wat aftaumaken!“
Als 1870 der romanische Ostteil unserer Kirche abgetragen wurde, stieß man im nordwestlichen Teil des Chores auf eine ca. 2,80 m tiefe Gruft, die sich unter dem Nordanbau fortsetzte. Sie stand den Erweiterungsbauten im Weg und wurde nach der Bergung von drei Kinder- und sieben Erwachsenensärgen und deren Umbettung auf den hiesigen Friedhof in die Fundamentierung des neuen Jochs mit einbezogen.
Von einem älteren Anwohner erfuhr man, dass die letzten dieser Särge zu Beginn des 19.Jahrhunderts in die Gruft gelassen worden waren, und zwar Angehörige der Familie des damaligen Pastors Kosegarten, der im Juni 1803 hier als letzter Verstorbener beigesetzt worden war. So lange hat es gedauert, bis der unruhige Geist Kosegartens endlich zur Ruhe gekommen war.
Jakob Bandelin war vom 9.Juli 1803 bis 1821 erster Pastor in Grevesmühlen. Er wurde in Rehna geboren und dort am 23. September 1751 getauft. Sein Vater, Johann Nikolaus Bandelin, war von 1733 bis 1772 in Rehna als Pastor tätig.
Über den Schulbesuch Jakob Bandelins ist nichts bekannt, wohl aber, dass er vor seiner Tätigkeit als Pastor in Grevesmühlen von 1783 bis 1784 Lehrer an der Domschule in Güstrow und von 1784 bis 1785 Konrektor in Ludwigslust war.
Albrecht gibt als Amtsantrittsjahr Bandelins in Grevesmühlen 1785 an, das Todesjahr seines Vorgängers Kräpelin. Aus den Kirchenakten geht aber hervor, dass Bandelin erst am 9. Juli 1786 hier ohne die übliche Pfarrwahl lediglich nach „Solitärpräsentation“ zweiter Pastor wurde, nachdem das Gnadenjahr für die Witwe seines Amtsvorgängers bereits mehrere Wochen abgelaufen war.
Magistrat und Bürgerschaft scheinen mit diesem Prozedere nicht einverstanden gewesen zu sein und äußerten in einem Schreiben an den Herzog die Befürchtung, Bandelin sei kränklich und schwindsüchtig. Dieser Verdacht wurde energisch zurückgewiesen. Am folgenden Sonntag Cantate wurde Bandelin dann aber doch eine „Hörpredigt“ gestattet, die schließlich alle Befürchtungen und Zweifel von Senat und Bürgerschaft ausräumte. Bandelin widerlegte auch den Verdacht, er sei „kränklich und schwindsüchtig“ durch die Tatsache, dass er noch 35 Jahre in Grevesmühlen als Pastor amtierte.
Bandelin war zweimal verheiratet, und zwar in erster Ehe mit Sophie Hedwig Lemcke, der Tochter eines Schweriner Regimentsfeldscheers (sic!), die er im Juni 1786 heiratete. Sophie Hedwig Bandelin starb am 5. Juni 1794 im Alter von 36 Jahren.
Am 1. September 1796 heiratete Bandelin Sophie Elisabeth Wendt, die Tochter des späteren Präpositus von Proseken, Wilhelm Otto Wendt. Sophie Elisabeth Wendt war am 26. März 1764 in Schorrentin getauft worden.
Die Tätigkeit als Seelsorger in unserer Gemeinde an der Seite seines skurrilen Amtsbruders Kosegarten war für Bandelin alles andere als leicht. Als gutmütiger und geduldiger Mensch ertrug er die meisten Ausfälle und Boshaftigkeiten des ersten Pastors gegen seine Person mit großem Gleichmut und Gelassenheit. Darüber ist bereits in den Darlegungen über Pastor und Präpositus Kosegarten berichtet worden. Von einer „notorischen Harmonie“ zwischen beiden Pastoren, wie Friedrich Franz Kosegarten behauptet und Chronist Otto Münster zu erkennen glaubt, kann sicher keine Rede sein. Dafür ist auch die Tatsache, dass Bandelin Kosegarten zweimal getraut hat, kein Beleg. Diese Aufgabe kam ihm als zweiten Pastor der Grevesmühlener Kirchgemeinde ohnehin zu.
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