Diese Episode kannte der Schwiegervater Fritz Reuters, Pastor Kuntze, aus der Zeit, als er in Grevesmühlen Rektor gewesen war, und erzählte sie Fritz Reuter in Roggenstorf. Dieser bezog sie in freier Bearbeitung als die Geschichte von der Predigt in seinen Roman „Ut mine Stromtid“ ein, die der Kandidat Kurz (= Kosegarten) seinem Vetter Baldrian (= Bandelin) ablauscht.
Bandelin nahm aber nicht stillschweigend hin, dass ihn Kosegarten einmal ohne erkennbaren Grund während des Abendmahls vor versammelter Gemeinde heftig ohrfeigte. Bandelin beherrschte sich während des Gottesdienstes, ließ dann aber seine Kutsche anspannen und fuhr nach Schwerin, um sich dort über Kosegarten zu beschweren. Kosegarten erfasste die Situation, er ahnte, dass er im Falle einer Beschwerde Bandelins diesmal nicht ungestraft davonkommen würde, ließ auch seinerseits anspannen und jagte Bandelin nach. In Mühlen Eichsen holte er ihn ein und bot hier seine ganze Überredungskunst und Überzeugungskraft auf, um Bandelin zu beruhigen, zu besänftigen und von einer Beschwerde gegen ihn abzusehen. Verbürgt ist, dass beide Pastoren versöhnt nach Grevesmühlen zurückgekommen sind. Dass sie ihren Streit aber bei einem Becher „Rotspon“ in der Mühlen Eichsener Dorfschänke weinselig beigelegt hätten, gehört sicher in das Reich der Legende.
Über seinen Amtsantritt in Grevesmühlen führte Kosegarten 50 Jahre später in seiner Predigt zu seinem Dienstjubiläum aus: „Ich fand hier einen wüsten Ort, und die mir anvertraute Herde war ganz verwildert; mit ahnete, was ich erdulden müsse, um sie zu erziehen. Fast alle Sonntage musste ich große Exzesse rügen…“ Bei seinen Maßnahmen zur Erziehung seiner Gemeinde bediente sich Kosegarten durchaus nicht nur feiner Methoden. Schon 1751 musste er sich wegen Eingriffs in die „jura episcopalia“ verantworten. 1753 wurde er vor das Konsistorium geladen, weil „er die ganze Gemeinde von der Kanzel angespucket und die Bürgerschaft als Schweine“ bezeichnet hatte. Der Bürgermeister de Marne galt als Kosegartens persönlicher Feind und besuchte keine Gottesdienste, in denen Kosegarten predigte, weil er dann immer auf eine auf ihn gemünzte Strafpredigt gefasst sein musste. So schickte er den Stadtschreiber mit Bleistift und Papier in die Kirche, um etwaige Angriffe auf seine Person wort-wörtlich belegen zu können. In einer Klageschrift gegen Kosegarten wird vermerkt, dass er „wegen seiner Grobheit schon weltkundig und in öffentlichen Blättern vor ungesittet geschrieben wird“. Gustav Willgenroth führt in seiner Schrift „Die Mecklenburg-Schwerinschen Pfarren seit der Reformation“ ein Kanzelwort Kosegartens an, das zu dessen Lebzeiten in ganz Mecklenburg kolportiert wurde: „Liebe Gemeinde! Worum sollen wir Gott bitten? Üm’n Büdel vull Geld? Quaaark! (mit der Faust auf die Kanzelbrüstung donnernd) Dass wir sollen göttlich leben!“
Kosegarten bereitete seinen Sohn Gotthard Ludwig, der durchaus hoch begabt und befähigt war, persönlich auf das Theologiestudium vor und unterrichtete ihn entsprechend. Dann aber ließ er Gotthard, der damals sechzehn Jahre alt war, dreimal im Gottesdienst in der Grevesmühlener Kirche predigen, „zur würklichen Freude und Bewunderung der Zuhörer und zu meiner eigenen mehreren Zufriedenheit!“ verteidigt der stolze Vater seine Eigenmächtigkeit.
Ein Kapitel für sich war Kosegartens Verhältnis zu den Frauen. Die kurzfristig geschlossene Ehe mit Johanna Sophie geb. Buttstädt ging wider Erwarten gut. Das mag aber in erster Linie an Kosegartens Frau gelegen haben, „die allgemein beliebt war… und wegen ihrer Sanftmut und ihrer geräuschlosen und besonnenen Art und wegen der Wohltaten, die sie Armen und Notleidenden erwies, geschätzt wurde.“ Johanna Sophie brachte innerhalb von 10 Jahren 7 Kinder zur Welt:
1751 Johann, der seine Geschwister unterrichtete, Theologie studierte und Pastor in Altengamme in den Vierlanden bei Hamburg wurde, 1754 August, der zuerst Apotheker in Rostock, dann in St. Petersburg, schließlich praktischer Arzt in Rostock wurde, 1755 Sophie, die sich um den Haushalt im Pfarrhaus, Feste und Feiern kümmerte, Einfluss auf die Etikette im Verhalten der Geschwister nahm, als einziges der Kinder in Grevesmühlen wohnen blieb, nachdem sie den ritterschaftlichen Sekretär Reinecke geheiratet hatte, 1757 Elisabeth, die bereits 1759 starb, 1758 Gotthard Ludwig, den späteren Dichter, Theologen, Rektor, Uferprediger und Professor, 1759 Josua, später Arzt in Rostock, dann in Kurland, 1761 Bernhard, später Pastor in Kurland.
Von diesen Kindern Kosegartens lebte 1826 keines mehr.
Johanna Sophie Kosegarten starb am 15. Mai 1762 „an Auszehrung“ und wurde gleichzeitig mit ihrer Mutter am 17. Mai beigesetzt. Die sechs mutterlosen Kinder Kosegartens waren zu diesem Zeitpunkt zwischen einem und elf Jahren alt. Kosegarten, inzwischen vierzig Jahre alt, heiratete am 8. Dezember desselben Jahres ein zweites Mal, und zwar die erst 19-jähriger Anna Christiane Stiegehaus, die Tochter des verstorbenen Schweriner Hofrats Arnold Hieronymus Stiegehaus. Anna Christiane brachte ihre Mutter mit ins Pfarrhaus nach Grevesmühlen. „Sie sorgte mit treuer Liebe und verständiger Einsicht für die sechs Kinder ihres Mannes.“
Anna Christiane Kosegarten schenkte sechs weiteren Kindern das Leben:
1768 Ludwig, genannt „Ludchen“, später Jurist,
1770 Christian, erst Theologe, dann Dr. jur. und Advokat in Hamburg,
1772 Friedrich Franz, Dichter, Theologe, Adjunkt seines Vaters, Dr. phil. am Gymnasium in Reval,
1775 Karl Theodor, starb 1780,
1776 Marie Luise, Pianistin in Schöneberg bei Berlin, Sängerin in Braunschweig,
1778 Renate, starb 1779.
Die Erziehung der Kinder im Pfarrhaus Kosegarten erfolgte autoritär. Die Eltern wurden mit „Sie“, „Herr Vater“ und „Frau Mutter“ angesprochen. Pastor Kosegarten hatte eine Reitpeitsche angeschafft, mit der er seine Kinder bei Verfehlungen „bis aufs Blut“ prügelte. Dazu hatten auch die beiden zeitweilig im Pfarrhaus angestellten Hauslehrer Nonn und Blumenthal die ausdrückliche Erlaubnis Kosegartens. Der Tagesablauf der Kinder war fest geregelt. Sie mussten früh aufstehen, wurden zu Botengängen und Gartenarbeit herangezogen. Neben den drei Mahlzeiten nahm der häusliche Unterricht den größten Teil des Tages ein. Wenn überhaupt, dann hatten Kosegartens Kinder die Grevesmühlener Stadtschule nur kurze Zeit besucht. Deren Lehrern traute Kosegarten wenig zu, vor allem keinen wissenschaftlichen Unterricht. Deshalb nahm er die Unterrichtung seiner Kinder zumeist selbst in die Hand und leitete sie zum Selbststudium an. Zeitweilig unterrichtete der älteste Sohn Johann die jüngeren Geschwister, später der Sohn Gotthard Ludwig.
Die zweite Ehefrau Bernhard Christian Kosegartens, Anna Christiane, starb am 27. September 1797 im Alter von 54 Jahren.
In dritter Ehe heiratete der nunmehr 76-jährige Kosegarten am 31. Oktober 1798 die noch „sehr jugendliche“ Friederike Schröder, die Tochter eines Ratschirurgen aus Lübeck. Eine in den Grevesmühlener Kirchenakten erhaltene Urkunde belegt, dass Kosegarten die Erlaubnis zur Schließung dieser ungleichen Ehe vom Landesherrn persönlich erhalten hat. Doch bereits wenige Monate später wurde diese Ehe auf beider Wunsch 1799 „durch Patent landesherrlicher Machtvollkommenheit gnädigst aufgehoben“. Friederike nahm wieder ihren Mädchennamen Schröder an. Zu dieser Zeit lebte Friedrich Franz, Kosegartens Sohn aus zweiter Ehe, als Kandidat und Adjunkt im Hause des Vaters. Die Chronisten Albrecht und Raatz geben als Grund für diese schnelle Scheidung an, Friederike sei ihrem Mann von Friedrich Franz „abwendig gemacht worden“. Willgeroth schreibt, Friederike sei dem Gatten mit ihrem Stiefsohn „entlaufen“. Belegt ist, dass Friedrich Franz Kosegarten mit Friederike 1802 nach Reval, dem heutigen Tallinn, gegangen ist, wo er am Gymnasium Oberlehrer wurde und sich im selben Jahr dort mit Friederike verlobt und sie im Herbst 1802 dort auch geheiratet hat.
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