Kira und das Känguru
Miriam Frankoviċ
Copyright© 2014 Miriam Frankoviċ
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
ISBN: 978-3-7375-1404-0
Geburtstagsüberaschung
Albert
Watahulu und die Dichterlesung
Ein neuer Freund
Krokodilstränen
Unerwarteter Besuch
Pferdfreund
Alberts Geburtstag
Der Streit und ein neuer Plan
Mintz
Kira beweist Mut
Die Überraschung
Herzklopfen
Nächtliche Gefahr
Alberts Geschichte
Der Zauberspruch
Mintz' großer Moment
Verstärkung
Beim alten Leuchtturm
Im Innern des Leuchtturms
Der Kampf gegen die Rasomiten
Niklas in Gefahr
Im Innern der Kirche
In Sicherheit
Ein gelungenes Experiment
Der große Internetauftritt
Ein Traum wird wahr
Wie angewurzelt saß ich vor meinem neuen Computer und starrte auf den Bildschirm. Bildete ich mir das nur ein oder hatte das Känguru im Internet mir wirklich zugenickt? Die Tür ging auf, und mein Vater steckte seinen Kopf herein. „Na, Kira? Kommst du zurecht, Süße?“ Schnell klickte ich die Seite mit dem Känguru weg. „Klar. Der Computer ist ziemlich cool. War der nicht teuer?“ Mein Vater lächelte. Und wie immer, wenn er das tat, sah man deutlich die Grübchen auf seinen Wangen. „Das lass´ mal meine Sorge sein. Außerdem habe ich ihn gebraucht gekauft.“ Er stand unentschlossen im Türrahmen. „Hast du Lust, mir im Atelier noch ein bisschen Gesellschaft zu leisten?“
„Gleich. Ich muss nur noch etwas abspeichern“, sagte ich. Er zwinkerte mir zu und schloss die Tür hinter sich. Ich klickte die Seite über Australien wieder an und bewunderte die pelzigen Ohren des Tieres, das sich nun nicht mehr bewegte. Wahrscheinlich hatte ich mir das Ganze doch nur eingebildet. Ein bisschen enttäuscht las ich, dass es 51 verschiedene Arten von Kängurus gibt. Einige der größeren Arten springen bis zu acht Meter weit und drei Meter dreißig hoch, stand dort. Manche sind so schnell, dass sie mit achtzig Kilometern pro Stunde neben einem Auto herhüpfen . Warum lebte ich bloß nicht am anderen Ende der Welt? In Australien soll es Leute geben, die sich statt eines Hundes ein Känguru als Haustier halten. Jedenfalls hatte ich das gehört. Außerdem war es da wärmer als hier. Besonders jetzt, wo uns das Heizöl ausgegangen war und wir kein Geld hatten, um neues zu kaufen. Und das ausgerechnet an Weihnachten. Ich schaltete den Computer aus, zog mir meinen wärmsten Pullover über und ging ins Atelier, das eigentlich mehr eine Kammer war. Mein Vater legte gerade einen Pinsel auf ein Tuch mit Terpentin und wischte sich mit dem Hemdärmel etwas Farbe aus dem Gesicht. Dann sah er kritisch auf die Leinwand. Jedes Mal, wenn er das tat, wurden seine Augen, die sonst groß und blau wie der Himmel über Afrika waren, schmal wie zwei Schlitze. „Meinst du, hier ist zu viel Gelb drin?“ Ich schüttelte den Kopf. „Mir gefällt es.“ Ich ging ein paar Schritte zurück. Von weitem sah das Bild aus wie ein wunderschöner Strand, über dem ein prächtiges, altes Segelschiff durch die Luft flog. Es hätte aber auch genauso gut eine Wüste mit einer Oase sein können, in der ein Boot gestrandet war. „Glaubst du, wir können irgendwann mal nach Australien fliegen?“, fragte ich und tat dabei so, als ob es mich gar nicht besonders interessierte. Mein Vater sah mich nachdenklich an, und seine Augen waren jetzt wieder groß und blau wie blühende Kornblumen. „Falls mal wieder jemand ein Bild von mir kauft, bestimmt. Im Moment wäre ich schon froh, wenn wir uns einen Weihnachtsbaum leisten könnten.“ Er wusch sich die Hände an dem kleinen Waschbecken in der Ecke und sah mich bekümmert an. „Findest du es sehr schlimm, dass wir keinen haben?“
„Quatsch. Überhaupt nicht“, antwortete ich eilig und nicht ganz aufrichtig. Viel mehr als einen Weihnachtsbaum hätte ich mir allerdings gewünscht, dass meine Mutter noch am Leben wäre und mit uns zusammen feiern könnte. Aber das behielt ich für mich. Mein Vater sah nun doch etwas erleichtert aus. „Was hältst du davon, wenn ich uns gleich ein paar Spaghetti mit Tomatensoße zaubere?“ Eigentlich hatte ich keine Lust, schon wieder Spaghetti zu essen, weil es die bei uns ungefähr 200 Mal im Jahr gab. Aber Nudeln waren billig. Und wir mussten sparen. Erst recht jetzt, wo ich einen Computer bekommen hatte, weil alle anderen in meiner Klasse auch einen hatten. Jedenfalls sagte ich nichts wegen der Spaghetti und folgte meinem Vater in die Küche. Als er den Topf vom Regal nahm und Wasser hineinlaufen ließ, dachte ich darüber nach, was er mir neulich über Erfolg erzählt hatte. Oder das, was man so Erfolg nennt. Okay, ich war zwar erst zehn, aber selbst ich hatte schon kapiert, dass wir in einer Zeit leben, in der Geld wichtiger als alles andere ist. Für die meisten ist es sogar wichtiger als Freunde und Spaß am Leben zu haben. Sogar wichtiger als Tiere. Vor Leuten mit viel Geld ziehen die meisten den Hut, selbst wenn die Geldleute oft sogar zu dumm sind, ein Känguru von einem Grizzlybären zu unterscheiden. Als wir gegessen hatten und mein Vater wieder in seinem Atelier verschwunden war, ging ich mich noch einmal ins Internet und rief die Seite über Australien auf, die mit dem Känguru. Kaum hatte ich die Website auf dem Bildschirm, entdeckte ich es auch schon. Aber es bewegte sich nicht. „Warum bist du bloß nicht lebendig?“, seufzte ich. „Das lässt sich machen“, antwortete das Känguru. Überrascht starrte ich es an. Es wackelte mit den Ohren. „Was guckst du so? Hast du noch nie ein Känguru sprechen hören?“ Kaum hatte es das gesagt, schob es seinen Kopf mit den großen Ohren auch schon durch den Bildschirm. Die Vorderpfoten kamen hinterher, und schließlich quetschte es seinen pelzigen Körper durch den Monitor und plumpste mit einem Knall aus dem Computer heraus, direkt auf meinen Schreibtisch, wo es mit seinem Schwanz mein Mathebuch vom Tisch fegte. „Puh“, stöhnte es. „Ganz schön eng, dein Computer.“ Es kletterte unbeholfen vom Schreibtisch, baute sich in seiner voller Größe von ungefähr zwei Metern vor mir auf und schmatzte laut. Ich streckte meine Hand aus, um mich davon zu überzeugen, dass ich am helllichten Tag träumte. Aber statt ins Leere zu greifen, bekam ich seine flaumige Brust zu fassen. „Nicht!“, protestierte es. „Da bin ich kitzlig.“ Es war also kein Traum. Das Känguru stand leibhaftig vor mir. Plötzlich zog es ein paar rohe, glitschige Fische aus seinem Beutel und streckte sie mir hin. Ich nahm die Gabe entgegen und sah diesen ältesten Ureinwohner aller Australier verdutzt an. „Was soll ich damit?“ Es klopfte sich auf den Bauch. „Ich habe Hunger.“ Eigentlich war das auch kein Wunder nach einer so langen Reise. Jedenfalls dachte ich, dass es eine lange Reise hinter sich hatte. Also ging ich in die Küche und briet und würzte die Fische. Ich wunderte mich, da ich bis jetzt geglaubt hatte, dass Kängurus sich nur von Gras, Beeren und anderem Grünzeug ernähren. Als mein Vater das Känguru, das es sich auf unserem Wohnzimmerteppich gemütlich gemacht hatte, später vergnügt vor sich hin schmatzen sah, war er nicht besonders erstaunt. Es gab nur wenig, was ihn wirklich aus der Fassung bringen konnte. Also nahm er die Anwesenheit unseres ungewöhnlichen Gastes ohne sich zu wundern hin.
In den kommenden Tagen machte das Känguru, das wir auf den Namen Cangoo getauft hatten, keine Anstalten auszuziehen. Ich glaube, es fühlte sich sogar richtig heimisch bei uns. Als ehemaliger Steppenbewohner hatte es große Probleme damit, sich in einer möblierten Wohnung zurechtzufinden und stieß alles um, was nicht niet- und nagelfest war.
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