Bei uns im Dorf war eine Windmühle. Der junge Müller hatte in den ersten Kriegstagen einen Arm verloren. Er fragte mich, ob ich nicht Lust hätte Müller zu lernen. Ich wollte es mir mal ansehen. So bin ich am Abend in die Mühle gegangen und habe da halbe Nächte gemahlen, denn wenn Wind war, arbeitete man bei Tag und Nacht. Es machte mir Spaß, aber es war auch etwas unheimlich: Alles ratterte und bewegte sich. Ich wollte es probieren.
Vor dem Ausbildungsvertrag musste ich zur Berufsberatung nach Bischofstein. Ich bin jedoch nicht hineingegangen. Habe gewartet, bis man zu mir kam. Ja, Müller könne ich lernen, aber warum ich denn nicht zur Seefahrt wolle? Na, das war doch das, was ich schon immer wollte! Ich habe mir gleich die Anschrift geben lassen: Zentralstelle für Vorausbildung und Berufslehre in der Seeschifffahrt, Hamburg-Altona, Palmaille 45. Das war für mich einen Luftsprung wert!
Ich habe die Unterlagen angefordert und prompt erhalten. Die Einwilligung der Eltern war bei Minderjährigen erforderlich. Das war jedoch für meinen Vater mehr als ein rotes Tuch. Da half kein Bitten und Betteln, auch die Fürsprache meiner Mutter ging an taube Ohren.
Ich habe aber nicht locker gelassen. Jetzt hatte ich ihn soweit, dass er sagte: „Solange wir niemanden haben, der die Kuh melken kann, ist es kein Thema.“ Ich jetzt mit aller List meine Schwester, zehn Jahre alt, scharf gemacht: „Ätsch, kannst keine Kuh melken, traust dich ja nicht mal ran.“ – „Was?“, sagt sie, „ich kann das!“ So ging es heimlich tagelang. Sie hat zu melken angefangen, ich sie mit Argusaugen beobachtet und nachgemolken. Tatsächlich, nach etlicher Zeit bekam sie die Kuh trocken. Ich hatte in der Zwischenzeit alle ärztlichen Untersuchungen machen lassen. Dann bin ich vor meinen Vater getreten: „So, hier ist die Melkerin!“ Da war er platt, hat sich überzeugt, ob es auch wahr ist. Sie schaffte es aber nicht, den vollen Eimer Milch zu tragen. Da sagte meine Mutter zum Vater: „Du kannst doch den Eimer heim tragen, auch wenn es langsam geht. Ihm platzte der Kragen. Zu meiner Mutter: „Du bist Schuld, wenn was passiert!“ Spät in der Nacht hat er dann unterschrieben.

Seefahrt in Kriegszeiten
Schiffsjungenschule Ziegenort
Überraschend kam dann der Bescheid: „Am 21.02.1941 haben Sie sich in der Schiffsjungenschule Stettin in Ziegenort einzufinden! Bett-, Schuhputzzeug und Kleiderbürste sind mitzubringen.“

Schiffsjungenschule Stettin in Ziegenort am Oderhaff
Ich war so pünktlich, dass ich schon am Sonnabend, dem 19.02.1941, da war. Das war ein großer Fehler. Sonntagmorgen um 6:00 Uhr ging’s schon raus. Wir waren zu zweit. Bootsmann Hespe, unser Ausbilder, nahm uns im Sinne des Wortes „an den Ohren“ in den Ausbildungskeller: Knoten lernen.

Ich hatte davon bislang keine Ahnung. Aber nach sehr handlicher Unterweisung waren wir abends um 18:00 Uhr perfekt. Im Laufe des Montags kamen die anderen zwanzig Jungs (die Schlauen). Aber unser Hespe hat sie gleich rangenommen: „Hier sind zwei Hilfsausbilder, die zeigen euch alles.“ Basta! Jetzt saßen wir da. Wehe, wir machten Fehler! Er spielte nur den Oberaufseher. Es war sehr hart. Pullen, jeden Tag mit den Booten draußen, die Kompassrose mussten wir im Schlaf - von vorn bis hinten in Strichen - aufsagen können. In der Schiffsjungen-Schule Ziegenort war Schmalhans Küchenmeister. Es gab fast immer Eintopf, Brot war knapp. Etliche Jungen kannten schon den Marine Rundschlag. Nur ich war lahm. Habe nie einen Nachschlag ergattert. Habe mal eine Scheibe Brot stibitzt, das gab eine ordentliche Abreibung mit dem Tampen.
Nach vier Wochen härtester Ausbildung wurde ein Teil von uns auf Kümos, Königsberger und Stettiner Schiffe, verteilt. Eine Auslese von zehn Mann, die Besten, wie er sagte, kam zur Signalschule nach Bremen, Buntentors Steinweg, Hoffmannstraße. Auch ich war dabei. Da wurden uns Winken, Morsen und Flaggensignale beigebracht. Habe es in meiner Seefahrtszeit nie gebraucht, ich konnte höchstens bei Geleitfahrten mitlesen.
Es war eine schöne Zeit. Am 20. April große Einladung in den Bremer Ratskeller zum Gala-Essen. Leider gab es eine Vorsuppe. Mein Gruppenleiter blickte mich böse an. Ich merkte nichts. Er wurde rot und röter. Nach Ende der Feier scheuchte der uns los wie ein Wilder, vom Rathaus bis zu Neustadt „im Trab und Deckung“ und solche Scherze. Dann die Erklärung: Ich hatte mich „bäuerisch“ verhalten, weil vom Löffel Suppe getropft war. Das hatte mein Vater bei meiner Erziehung wohl nicht so ernst genommen.
Auch diese Zeit ging dahin. Ostern bekam ich Urlaub, und ich durfte das erste Mal nach Hamburg zu meinem zur See gefahrenen Onkel reisen. Der gab mir noch etliche Verhaltensregeln aus seinen Erfahrungen in den Tagen des ersten Weltkriegs.
Kurt Krügers Seefahrt beginnt auf der „TRAUTENFELS“
Bei der Seefahrt war ich vom 20. Februar 1941 bis zum 28. Juni 1944.

Dann war es soweit. Am 12.05.1941 lag sie vor mir im Hansa-Hafen an den Pfählen, die stolze „TRAUTENFELS“ der DDG Hansa, 10.000 Tonnen. Wir wohnten unter der Back an Steuerbord in einer Vier-Mann-Kammer, ich bekam die Mittelkammer. Wir waren also vier Mann in unserem Logis, der Ranghöchste war ein Leichtmatrose, alle waren verschworen. Rauchen war streng verboten, wir haben mit 16 geraucht. Jetzt begann der Ernst des Lebens.
Das Schiff wurde gerade ausgerüstet. Ins Zwischendeck kamen Pritschen, große Treppen in die Räume, in Luke vier und fünf wurden Pferdeboxen eingerichtet. An Deck befanden sich lange Verschläge mit Latrinen und Rinnen sowie Unterstände für Feldküchen; die KMD (Kriegsmarinedienststelle) hatte das Schiff übernommen.

Dampfer „TRAUTENFELS“
Einige Tage später hieß es: „Leinen los!“ Meine erste Seereise begann mit dem Ziel Stettin, Hakenterrasse.

Stettin
Am Kai lagen riesige Haufen Heu und Stroh. Das Laden ging gleich los. Geschütze, Fahrzeuge, Pferde, dann die Soldaten, in Sommeruniformen gekleidet. Man sagte uns: „Die haben Erlaubnis, durch Russland zu marschieren, um die Engländer aus dem Iran zu vertreiben. Die Toilettenreihen waren nur an Backbord (von Land abgewandte Seite). So sind wir dann am 25.05.1941 ausgelaufen - Bestimmungshafen Vaasa in Finnland. Die Fahrt verlief ruhig bis zu den Aaland-Inseln. Die waren ja seit 1939 den Finnen abgenommen und von den Russen besetzt. In Sichtweite der Geschütze haben wir die Inseln passiert. Kein Soldat durfte an Deck. Für die Russen sollte unser Schiff als ein ganz gewöhnlicher Tramper erscheinen. Von den russischen Posten ausgiebig beäugt, zogen wir unsere Bahn. Es war am späten Nachmittag nicht mehr ganz so hell, als wir die Inseln passierten. In Vaasa wurden wir dann von den Menschen freudig begrüßt, und sie sagten: „Oh, jetzt geht es den Russen endlich an den Kragen“, was wir aber nicht glaubten.
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