Ihre Haut war nicht mehr tiefschwarz, sondern beinahe grau geworden. Ein Zeichen dafür, dass es ihr nicht gut ging. Maganer waren Nachfahren von Feuerelementaren, die irgendwann wie die Waldgeister in Galladorn ihr Blut mit dem der Menschen gemischt hatten.
Ihr Körper war ausgezehrt, aber ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig. Ich konnte ihren Herzschlag durch die Kleidung spüren.
Als Kmarr die Bänder befestigt hatte, machten wir uns schließlich auf den Weg.
Ohne den Schlitten waren wir tatsächlich erheblich schneller.
Oder wären es gewesen, aber unterwegs stießen wir immer wieder auf Patrouillen die uns aufhielten und befragten. Wir gaben so gut es ging Auskunft und zeigten den Passierschein vor. Wie erwartet gab es hin und wieder Schwierigkeiten, doch keine Gruppe wollte tatsächlich Hand an uns legen. Dafür waren wir ihnen zu unheimlich. Ein bedrohliches Knurren von Shadarr oder ein „freundliches“ Lächeln von Kmarr reichte aus, um uns freies Geleit zu bescheren.
Je weiter wir uns der Hauptstadt näherten je zahlreicher wurden die Soldaten. Oft passierten sie uns in nur wenigen hundert Mannslängen oder querten den Weg den wir nahmen, ohne anzuhalten.
Gegen Mittag entdeckten wir vor uns den Flüchtlingsstrom. Ein langer Zug, der inzwischen von Reitern begleitet wurde, kroch wie ein schwarzer Lindwurm über die weiße Ebene. Wo sie entlang gezogen waren, blieb nur schlammiger Untergrund zurück, zertrampelt von hunderten von Füßen.
Als wir uns näherten, sorgte unser Auftauchen erst für Entsetzen, bis einige der Flüchtlinge uns erkannten. Dann schlug die Angst in Jubel um. Wir wurden freudig begrüßt. Einige klatschten Beifall, andere schüttelten unsere Hände oder riefen uns Glückwünsche zu.
Wir mussten immer wieder Fragen nach der Festung beantworten, und unsere Antwort, dass sie noch stand und die Belagerer nur die erste Mauer überrannt hatten, erfüllte die Leute mit neuer Hoffnung.
Die schwarzen Rauchwolken, die wir von der Zollfeste aus gesehen hatten, verschwiegen wir ihnen lieber.
Hatten die Soldaten, die den Zug begleiteten uns anfänglich noch misstrauisch beäugt, so entspannten sie sich, da ihnen die Reaktionen der Flüchtlinge zeigten, dass wir keine Bedrohung darstellten und sogar Nachrichten aus dem Osten brachten. Sie begannen selbst, uns Fragen zu stellen.
Wir brauchten eine ganze Kerzenlänge um den Zug zu überholen. Dabei entdeckten wir, dass die Alten, Kranken und Schwachen inzwischen auf großen Schlitten fuhren, die von starken Ochsen gezogen wurden.
Pragmatisch waren die Kalteaner auf alle Fälle.
Shadarr und die Nachtmahre beäugten die Tiere hungrig, so dass wir immer einen großen Bogen machen mussten, damit wir keine Panik auslösten.
Schließlich ließen wir die Flüchtinge begleitet von guten Wünschen hinter uns zurück und zogen weiter in Richtung Kaltarra.
Während unseres Aufenthalts bei der Karawane war rechts von uns im Norden ein großer dunkler Strich aufgetaucht, der unser stetiger Begleiter wurde. Es war der Anfang der Irrkatt-Schlucht, die sich durch das gesamte Tal zog und dabei von Osten nach Westen stetig breiter und tiefer wurde.
Je weiter wir uns Kaltarra näherten, je näher kamen wir auch der Schlucht. Unser Weg und die Schlucht würden sich genau in Kaltarra treffen, denn die Hauptstadt von Kalteon lag in und um die Schlucht herum.
Ich war erst zwei Mal in der Stadt gewesen, aber beide Male hatte mich der Anblick fasziniert und so freute ich mich darauf sie erneut besichtigen zu können. Obwohl es dieses Mal vermutlich spät und schon dunkel sein würde wenn wir eintrafen, war auch der Blick auf die von Fackeln und Öllampen beleuchtete Stadt sehenswert. Nirgendwo sonst gab es so eine Art Straßenbeleuchtung.
Sie hatten drei Schritt große Eisenpfosten aufgestellt, an deren oberen Ende sich eine Schale mit Öl befand. Zum Schutz gegen Schnee gab es darüber eine umgedrehte Schüssel aus poliertem Eisen, die das Licht vom brennenden Öl fast so gut reflektierte, wie ein Spiegel.
Dadurch war die Stadt auch in der Nacht lebendig und es herrschte ein reger Betrieb auf den Straßen. Aus diesem Grund waren wir davon überzeugt davon, dass wir die Tore der Stadt passieren konnten, auch wenn die Sonne bereits untergegangen war.
Wir besprachen während des Ritts unsere nächsten Schritte. Anaya wollte umgehend den Geistheiler aufsuchen, Kmarr hatte geplant, die Schmiede der Stadt damit zu beauftragen, die ersten Teile für die Bolzenwerfer zu fertigen und Jiang hatte vor, sich bei den besten Schneidern der Stadt neue Kleidung machen zu lassen, wobei sie mich seltsamerweise dabeihaben wollte.
Als ich sie fragte warum, erinnerte sie mich unsanft daran, dass ich ihr wenigstens zwei Garnituren neuer Kleidung schuldete.
Also brauchte sie nicht mich, sondern nur meine Geldbörse. Es hatte keinen Zweck, sie darauf hinzuweisen, dass ich damit eigentlich gar nichts zu tun gehabt hatte. Seufzend ergab ich mich meinem Schicksal.
Trotzdem grübelte ich die ganze Zeit darüber nach, ob Jiang diesen Umstand nicht ausnutzen würde und wie ich das verhindern konnte. Noch immer suchte ich einen Ausweg, fand aber keinen.
Da uns die Karawane der Flüchtlinge Zeit gekostet hatte, verlegten wir unsere Rast auf den Rücken der Tiere. Wir aßen im Reiten eine einfache Ration aus getrockneten Früchten, hartem Käse und frischem Brot, das wir aus dem Gasthaus mitgenommen hatten. Dazu gab es Bier, welches wir mit Wasser verdünnt hatten, damit uns der Alkohol darin nicht zu Kopfe stieg. Es schmeckte so zwar nicht besonders, aber es löschte den Durst. Trotzdem hätten wir ohne die Nachtmahre niemals den Weg an einem Tag zurücklegen können. Die Tiere waren deutlich schneller als ein Pferd und ermüdeten auch nicht so schnell. Ich schätzte die Distanz von der Wachfeste bis nach Kaltarra auf gute fünfzig Meilen. Das war unter normalen Umständen ein Marsch von vier Tagen. Der Zusammenstoß mit den Höllenvögeln hatte uns Zeit gekostet, trotzdem waren wir einen Tag schneller.
Kurz vor Sonnenuntergang erreichten wir einen Hügel, von dem aus wir einen ersten Blick auf Kaltarra werfen konnten. Es war jedoch noch sehr klein und weit weg. Dichte Qualmwolken standen über der Stadt. Ein Zeichen dafür, dass die immer geschäftigen Schmieden und Essen in Betrieb waren. Oranger Schein beleuchtete die Qualmwolken von unten und verliehen der Szenerie den Anblick eines vor sich hin schwelenden Vulkans.
Wir hatten noch vier oder fünf Kerzenlängen Wegstrecke vor uns, ehe wir die Ausläufer der Stadt erreichen würden.
„Wie lange wollen wir auf Droin warten?“, fragt Anaya uns als wir uns wieder in Bewegung gesetzt hatten. Ihr ausladendes Geweih, das aus ihrer Stirn ragte, wippte sanft im Takt der Schritte ihres Reittieres.
„Gute Frage. Ich schätze wir sehen, was der Geistheiler für die Magana erreicht, ehe wir uns entscheiden.“, antwortete ich ihr.
Das Gewicht der schlanken Frau, der ich am Rand des Schattenwaldes das Leben gerettet hatte, zog inzwischen schwer an mir, die Seile, mit denen Kmarr sie an mich gebunden hatte, schnitten mir in die Schultern, trotz Gambeson und Kettenhemd.
Ich blickte hinüber zu dem hünenhaften Leoniden, dessen lange Beine mühelos mit unseren Reittieren Schritt halten konnten.
„Je nach dem wie der Krieg verläuft, werden wir gar keine andere Wahl haben, als abzuwarten. Ich wüsste nicht, wie wir Kalteon nach Süden verlassen sollten.“, grollte er.
Das Bergreich, in dem wir uns gerade befanden, hatte nach Süden hin seine steilsten und schroffsten Berge voller enger Schluchten und gefährlicher Geröllfelder, durch die es nur gerüchteweise einzelne Wege gab, die allenfalls Schmuggler und Schafhirten benutzten. Der Süden war außerdem die Heimat der Drachen, und niemand der bei klarem Verstand war, wagte sich in ihr Territorium.
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