Neben ihr lag ein flacher, kegelförmiger Hut aus Stroh, der mit dem gleichen Stoff bespannt war, aus dem auch ihr Gewand bestand.
Sie reichte mir stehend höchstens bis knapp über den Bauchnabel, aber ihre Aura von Autorität ließ sie größer erscheinen.
Dazu trugen auch ihre mandelförmigen Augen bei, ein Zeichen dafür, dass sie aus Shâo stammte, einem Land, weit südlich von hier, hinter den Urwaldinseln von Quaran.
Einst war sie eine Mystikerin am Hofe des Kaisers von Shâo gewesen, aber das lag lange zurück.
Jetzt waren die Höhlen von Klan Fenloth ihr Zuhause. Ihre manchmal seltsame Art und ihre mystischen Fähigkeiten hatte sie jedoch behalten und vor allem Letztere waren im Laufe der Zeit sogar noch stärker geworden.
Eine ihrer merkwürdigsten Eigenschaften, war ihr seltsames Konzept von Ehre, dass sie gestern Abend in Erwartung von mir ausgepeitscht zu werden, halb nackt in mein Zimmer geführt hatte.
Warum sie das getan hatte, war mir nicht so recht klar, aber ich hatte es aufgegeben, mir darüber Gedanken zu machen. Immerhin war mir das Kunststück gelungen, sie davon abzubringen, ohne das ich verstanden hatte, wie.
Leider war mir nicht gelungen das zu erreichen, was ich normalerweise von halbnackten Frauen erwartete. Das hatte nichts mit Peischen zu tun, dafür aber mit mehr Nacktheit.
„Ihr wisst doch noch, wie schnelles Reisen funktioniert, oder?“, fragte sie in die Runde.
Kmarr nickte zustimmend.
„Natürlich. Wir sollten an sich zwei Tage brauchen, bis wir Kaltarra erreichen, aber ich denke, wir schaffen es auch an einem Tag, wenn wir uns beeilen.“
„Also ein Eilmarsch. Dann sollten wir möglichst bald aufbrechen.“, schlug ich vor.
„Ich baue den Bolzenwerfer wieder zusammen. Es fehlen nur noch drei Zeichnungen, aber die kann ich auch in Kaltarra machen.“
Kmarr begann sorgfältig die Waffe wieder zusammenzusetzen. Sein Geschick mit winzigen Teilen trotz seiner gewaltigen Pranken erstaunte mich immer wieder. Oft hielt er die einzelnen Stücke nur mit den Nagelspitzen seiner Krallen fest.
Eine Weile sahen wir ihm dabei zu, dann begaben wir uns alle drei wieder auf unsere Zimmer und packten die Sachen zusammen.
Ich rüstete mich vollständig für den Tag und forschte dann nach Shadarr.
Er war gerade am Rande des Bereichs, in dem ich ihn erreichen konnte. Ich konzentrierte mich auf ihn und rief ihn dann zu uns. Heute würde ich auf ihm reiten, da wir es eilig hatten.
Das riesenhafte Kargat gehörte zu den gefährlichsten Jägern die es gab. Sechs Beine mit fingerlangen Klauen beförderten den gedrungenen, lang gestreckten Körper mit erstaunlichen Geschwindigkeiten vorwärts, die die wenigsten Betrachter für möglich hielten.
Immerhin wog er gut fünfzehn Fass, und damit zehnmal mehr als ich, alles dicke Muskelpakete unter grauschwarzer, ledriger Haut, die so zäh war, dass sie kaum ein Messer zu durchdringen vermochte.
Er war über eine Mannslänge hoch und maß zweieinhalb Mannslängen vom Kopf bis zum Hinterteil. Dabei war er so breit wie ein Karren mit einem Kopf der groß war wie mein gesamter Oberkörper.
Das Maul hatte zwei Reihen bösartiger Reißzähne, die jeden Knochen mit Leichtigkeit zermalmen konnten. Seine Ohren waren klein und lagen flach an, während die kleinen Augen tief in ihren Höhlen lagen und so nur schwer zu treffen waren. Die Nase hatte neben den vorderen, dreieckigen Nasenlöchern noch weitere links und rechts entlang des Nasenrückens.
Alle seine Sinne waren überragend und ich war immer wieder stolz und froh, dass ich ihn als Reittier besaß, wobei es eher so war, dass ich auf ihm reiten durfte, ohne das er versuchte, mich zu fressen.
„Ich würde vorschlagen, wir lassen den Schlitten der Magana hier und ich nehme sie zu Shadarr auf den Rücken. Dann sind wir schneller und die Nachtmahre sind nicht so schlecht gelaunt.“, sagte ich zu Anaya, als ich vor ihrem Zimmer darauf wartete, dass sie die letzten Sachen verstaut hatte.
„Gute Idee.“, meinte sie zustimmend, während wir nun zusammen auf Jiang warteten.
Zu unserer Überraschung hatte die sich erneut umgezogen. Jetzt trug sie ein schlichteres Gewand, das statt aus Seide aus feinstem, schwarzem Leder bestand. Es war wieder mit goldenen Drachen bestickt und hatte einen an beiden Seiten bis zur Hüfte geschlitzten Rock.
Darunter trug sie ein sehr leichtes Kettengeflecht und am Gürtel hatte sie sowohl ihr Schwert, als auch ein Länge Kette, an deren einem Ende ein Messer mit sichelförmiger Klinge befestigt war. Am anderen Ende baumelte lose ein Eisengewicht, das wie ein Diamant geschliffen war.
Sie hatte den kegelförmigen Strohhut aufgesetzt, der unter dem Kinn zusammengebunden wurde. Er war nun mit feinem, allerdings weißem Leder überzogen, das mit schwarzen Drachen dekoriert war.
Sie wirkte völlig verändert und sah eher wie eine fremdländische Söldnerin aus, eine gute Tarnung für eine Mystikerin, deren Fähigkeiten im Umgang mit Waffen weniger ausgeprägt waren.
Überrascht blickten wir sie an.
„Was? Können wir gehen?“, fragte sie ungehalten, wobei sich ihre mandelförmigen Augen zu schmalen Schlitzen verengten. Sie wartete nicht, sondern verschwand die Treppe hinunter.
Wir blickten ihr hinterher, dann sahen wir uns gegenseitig an, zuckten die Achseln und folgten ihr.
Kmarr hatte seine Waffe zusammengesetzt und verstaut und kam uns entgegen.
„Ich bin gleich fertig meine Freunde. Holt ihr die Nachtmahre, ich bringe die Magana mit nach unten.“
Seit ich die Bewusstlose vor ihren Verfolgern gerettet hatte, versuchten wir die junge Magana nach Kaltarra zu einem Geistheiler zu bringen, der sie hoffentlich wecken konnte. Andernfalls war sie dem Tode geweiht.
Das war auch der Grund für unsere Eile. Anaya hatte uns zu Anfang erklärt, dass jemand mit einer Kopfverletzung oft so lange bewusstlos blieb, bis er verhungert war.
Je länger der Zustand dauerte, umso schlechter standen die Chancen. Eile war also angebracht, sonst hätten wir sie auch gleich selbst erschlagen können.
„Wir wollen den Schlitten hierlassen. Drakk hat vorgeschlagen sie auf Shadarr zu transportieren, weil wir dann schneller sind.“
„Einverstanden.“
Er zwängte sich die Treppe nach oben, während Anaya durch die Tür zum Stall hinaus verschwand.
Ich trat zu Maya hinüber: „Wir möchten euch den Schlitten überlassen, weil er uns zu sehr aufhält. Ihr könnt ihn behalten.“
„Aber ich kann ihn nicht bezahlen.“, widersprach sie ablehnend.
„Das macht nichts. Betrachtet es als Geschenk. Wir würden ihn ohnehin nicht mitnehmen. Und so könnt ihr vielleicht etwas mehr Vorräte mitnehmen, sollte es der Armee aus Morak gelingen hierher zu gelangen.“
„Vielen Dank. Für den Rat und den Schlitten. Ich hoffe, ihr kommt zu einer friedlichen Zeit irgendwann einmal hierher zurück.“
Wir schüttelten uns die Hände, dann verließ ich das Gasthaus durch die Tür in den Hof.
Anaya und Jiang hatten bereits ihre Nachtmahre gesattelt und Shadarr lag in der Sonne neben dem Stall.
Rudel heute schnell?
Ja, wir haben es eilig. Bis zur nächsten großen Stadt.
Viele Steinhäuser?
Ja.
Shadarr bleibt draußen.
Du musst mitkommen. Wir brauchen Dich.
Er knurrte unwillig, aber das überraschte mich nicht. Er war ungern in Städten, weil er dort nicht ohne Probleme zu verursachen jagen konnte und überall Angst verbreitete, wenn er auftauchte.
Schließlich trat Kmarr hinaus in den Hof, mit der Magana auf dem Arm.
„Wir setzen sie am besten vor Dich und binden sie fest, oder?“
„Lieber hinter mich. Dann kann ich meine Arme besser bewegen. Aber festbinden ist sinnvoll.“
Kmarr half mir dabei, die Magana sicher zu platzieren. Sie zog mich nur wenig nach hinten, trotzdem würde es kein Vergnügen werden, sie den ganzen Tag dort zu haben. Er breitete ein großes Fell über sie aus, das er anschließend um uns beide herum fest band.
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