Als sie Kai eintreten sah, nickte sie ihm zu und zeigte auf den Klingelknopf am Bett. »Wenn sie mich brauchen, läuten sie bitte. Ich warte vorne am Stützpunkt, um sie nicht zu stören.« Nach diesem Hinweis verließ sie das Zimmer und schloss die Türe leise hinter sich.
Die Augen seines Ziehvaters öffneten sich mühsam, als er ihn ansprach. »Kai!«
Der zog sich einen Stuhl ans Bett und nachdem er sich gesetzt hatte, legte er seine Finger behutsam auf den Teil der Hand, der nicht von einer Nadel belegt war. »Ich bin da.«
Sein Mentor sah ihn flehend an. »Ich muss dir etwas erzählen, aber versprich mir, es muss unter uns bleiben.«
Schwer atmend setzte er hinzu. »Unter uns!«
Kai runzelte die Stirn. So wie es aussah, würde er nun erfahren, wer kurz vor dem Zusammenbruch von Fritz auf der Farm angerufen hatte. Doch wenn Fritz es nicht einmal Dolly sagen wollte, dann war die Angelegenheit sicher nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Sein ungutes Gefühl hatte ihn doch nicht getrogen.
Er sah seinem Ziehvater beruhigend in die Augen, die ihn mit einem ungewohnt ängstlichen Ausdruck anschauten und antwortete. »Es wird niemals jemand etwas darüber erfahren, das verspreche ich dir.«
Fritz brauchte mehrere Anläufe, um mit seiner Beichte zu beginnen. Denn anders konnte man das, was Kai die nächste Viertelstunde zu hören bekam, nicht nennen. Und er hätte viel darum gegeben, das alles nicht wissen zu müssen. Um eine ungerührte Miene zu bewahren, brauchte er zeitweise seine ganze Selbstbeherrschung, denn das, was Fritz ihm da erzählte, war schwer zu glauben.
»Du weißt sicher von deinem Vater, dass ich in einer kleinen Stadt an der Sunshine Coast aufgewachsen bin. Ein paar hundert Einwohner, nicht mehr. Nachdem ich vom Militärdienst ausgeschieden war, zog ich wieder zuhause bei meinen Eltern ein, da ich noch nicht wusste, was ich in Zukunft tun wollte. Während ich mir überlegte, wohin mein Leben führen sollte, nahm ich alle möglichen Jobs an, um Geld zu verdienen. Schließlich wollte ich meinen Eltern nicht auf der Tasche liegen, denn die hatten nur ein geringes Einkommen. Unter anderem habe ich dabei auch einige Zeit in einer Kohlemine gearbeitet.«
Fritz sah, dass Kai nickte und bestätigte dessen Vermutung. »Das hat mich dann auf die Idee gebracht, es doch mal mit Bergbau zu versuchen.«
Er verzog den Mund. »Mit meinen zwanzig Jahren war ich genauso wild und ungestüm wie alle Burschen in dem Alter und natürlich dauernd hinter den Mädchen her. In unserer Nachbarschaft lebte eine Witwe, die drei Töchter hatte. Zwei davon waren noch richtige Kinder, aber die ältere mit ihren sechzehn Jahren hatte schon alles, was eine Frau ausmacht.«
Fritz brauchte mehrere Züge aus der Sauerstoffmaske, bevor er weiterreden konnte. »Natürlich habe ich versucht, sie herumzukriegen. Aber sie war eine von der braven Sorte – ging in die Kirche und so, eben anständig und noch dazu streng erzogen. Ich war allerdings nicht der Einzige in dem Dorf, der hinter ihr her war. Ein paar Häuser weiter lebte ein seltsamer Kerl, geistig etwas zurückgeblieben, mit einem komischen, eigenartigen Gehabe. Er war ungefähr so alt wie ich, aber seine Eltern kleideten ihn immer noch in Jungensachen, was ihn natürlich zum Gespött der Leute machte. Also sah man ihn tagsüber selten auf der Straße, aber sobald es dunkel wurde, schlich er heimlich um die Häuser und spähte durch die Fenster, um zu sehen was drinnen vorging. Es war in der ganzen Stadt ein offenes Geheimnis, dass er die Kleine anbetete. Doch sie hatte immer etwas Angst vor ihm und das war dann schließlich meine Chance. Ich habe sie, wenn sie abends unterwegs war, immer nach Hause begleitet und den Kavalier hervorgekehrt. Als ihre Mutter dann einmal nicht da war, bin ich Nachts in ihr Zimmer eingestiegen und sie hat sich nach langem Geziere dann doch überreden lassen.«
Fritz richtete seinen Blick auf die gegenüberliegende Wand. »Kaum hatte ich sie gehabt, war sie für mich schon nicht mehr sonderlich interessant. Doch sie ist mir nachgelaufen, wie ein kleiner Hund und so habe ich noch ein paar Wochen mit ihr rumgemacht. Dann habe ich auf einer Feier bei Freuden in einer anderen Stadt Jenny – meine spätere Frau – kennengelernt und mich sofort unsterblich in sie verliebt. Ab diesem Moment waren mir alle anderen Mädchen einerlei und die Kleine von nebenan sowieso. Sie hat geheult und geflennt, aber das hat mich wenig gejuckt, schließlich fühlte ich mich im siebten Himmel und dachte Tag und Nacht nur an Jenny.«
Die Stimme von Fritz wurde brüchig, als er weitererzählte. »Drei Monate später hat sie in der Nacht Steine an mein Fenster geworfen und, als ich wach wurde, gesagt, sie müsse unbedingt mit mir sprechen. Da sie keine Ruhe gegeben hat, habe ich ihr versprochen, am nächsten Abend bei ihr vorbeizukommen, denn da war sie alleine zuhause. Das habe ich auch getan und mir gedacht, ich kann ihr dabei endlich auch beibringen, dass das Ganze endgültig zu Ende ist. Doch als ich bei ihr im Zimmer stand, hat sie gesagt, sie sei schwanger.«
Fritz hatte gesehen, dass Kai zusammenzuckte und schüttelte den Kopf. »Ach, wenn es nur das wäre!«
Seine Stimme zitterte, als er weitersprach und sein Blick richtete sich auf die Bettdecke. »Sie ist völlig hysterisch gewesen und hat andauernd geschrien, ich müsste sie auf der Stelle heiraten. Ich habe versucht, sie zu beruhigen und verzweifelt überlegt, was ich machen könnte. Doch ihre Stimme ging mir durch und durch und in meinem Kopf drehte sich alles. Schließlich habe ich gesagt, sie solle doch endlich mal still sein – ich müsste nachdenken. Das war aber das Verkehrteste, was ich sagen konnte. Denn ihr ist natürlich klar geworden, dass ich mich vor einer Heirat drücken wollte und nur überlegte, wie ich mich aus der Verantwortung stehlen konnte. Da hat sie endgültig durchgedreht und laut schreiend vor sich hin gejammert und geweint. Ich wollte nur noch, dass sie still ist und habe ihr den Mund zugehalten, doch sie hat mich getreten und sich losgerissen. Dann hat sie ausgeholt und mir ein Ohrfeige gegeben.«
Fritz starrte Kai in die Augen und der erkannte, dass er die folgende Szene immer noch sehen konnte. »Ich habe reflexartig zurückgeschlagen. Der Schlag hat sie aus dem Gleichgewicht gebracht und sie ist mit dem Kopf an den Türrahmen geknallt und es hat einen ganz hässlichen hohlen Ton gegeben. Sie war auf der Stelle tot.«
Kai versuchte sich sein Entsetzen nicht anmerken zu lassen. Er hatte mit vielem gerechnet, aber auf die Idee, dass sein Ziehvater einen Totschlag begangen haben könnte, wäre er in hundert Jahren nicht gekommen. Während seine Miene keine Regung zeigte, überlegte er, warum Fritz erst jetzt von diesem Vorfall erzählte. Denn das, was er getan hatte, war zwar schlimm, aber es war ja keine Absicht gewesen und so wie es aussah, hatte das Gericht genauso darüber geurteilt. Denn sein Vater hatte ihn ein paar Jahre danach kennengelernt und nie etwas von einem Gefängnisaufenthalt seines Freundes erzählt. Also warum hatte er aus dem Ganzen ein Geheimnis gemacht?
Doch diese Frage konnte er Fritz jetzt nicht stellen, denn dessen immer grauer werdendes Gesicht verriet, dass er eine Pause brauchte. Die Erinnerung an dieses Geschehen war wohl mehr, als er momentan verkraften konnte.
Deshalb sagte er nur beruhigend. »Ruh dich etwas aus. Du kannst später weiterreden.«
Während Fritz mit geschlossenen Augen dalag überlegte Kai, was nun noch kommen würde. Denn es musste einen wichtigen Grund geben, warum sein Mentor bisher Schweigen bewahrt hatte. Besorgt musterte er dessen Gesicht, dass momentan alt und verfallen wirkte. Was würde er ihm noch erzählen?
Nach einigen Minuten hatte Fritz wieder genügend Kraft und er fuhr mit seinem Bericht fort. »Da war nichts mehr zu machen. Ihre Mutter war mit den Schwestern irgendwo auf einer Geburtstagsfeier und niemand hatte mitbekommen, dass ich im Haus war. Einige Zeit stand ich nur sinnlos im Zimmer und konnte meinen Blick einfach nicht von dem verdrehten Körper losreißen, dessen offene Augen starr in meine Richtung blickten. Dann habe ich Angst bekommen und bin einfach abgehauen, ich wollte nur noch weg.
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