Wahlen vermitteln nur den Eindruck von Gerechtigkeit – sie sind es meistens jedoch nicht. Die Verdränger-Gruppierung bestimmt größtenteils die beschriebenen Rahmenbedienungen, denn sie kann größeren Einfluss gelten machen. Wenn die Verdränger-Gruppierung sogar größer ist als die bedrängte Gruppierung (wie im Falle Schottlands), dann bestimmt die Verdränger-Gruppierung die Spielregeln. Ein wie auch immer geartetes Wahlverfahren suggeriert dann nur eine sachliche Gleichbehandlung.
Durch die Kenntnis von Verdrängungsmechanismen kann man heute schon zu dem Schluss kommen, dass Schottland niemals seine Unabhängigkeit bekommen wird. Denn die Verdrängung wird weiter fortschreiten und die Schotten werden, in Relation gesehen, immer weniger Einfluss in ihrem eigenen Land haben.
Bei den Katalanen in Spanien ist die Verdrängung noch nicht so weit fortgeschritten wie bei den Schotten in Großbritannien. Die Zentralregierung lehnt daher eine Volksabstimmung ab. In Katalonien wird es erst ein Unabhängigkeitsreferendum geben, wenn die Verdrängung so weit fortgeschritten ist, dass eine Volksabstimmung ein von der Zentralregierung gewünschtes Ergebnis liefert – also so wie in Schottland .
Eine Gegenmaßnahme gegen Unabhängigkeitsbestrebungen istbeispielsweise die gezielte Verbesserung für die Zuwanderung von Ausländern in bestimmte Regionen. Diese identifizieren sich eher mehr mit dem Zentralstaat und nicht mit einer Region. Das heißt, dass der überwiegende Teil von Personen, welche nicht aus Großbritannien stammten und bei dem Schottland-Referendum teilnahmen, gegen eine Unabhängigkeit Schottlands gestimmt hat.
Nationalstolz und Gruppenidentität
Dass die ideologische Denkweise der Angelsachsen über die logisch-pragmatische Denkweise der Kelten eindeutig siegte, erscheint uns in unserer vernunftgeprägten Welt erstaunlich. In den westlichen Gesellschaften wird uns von klein auf gepredigt, dass derjenige, der vernünftig und rational handelt, richtig handelt. Uns erscheint das Handeln kleiner Minderheiten wie der Basken in Spanien oder der Korsen in Frankreich, welche zeitweise einen erbitterten Widerstand gegenüber den Zentralregierungen leisteten (der übrigens jederzeit auch wieder aufflammen kann) als unlogisch und unvernünftig. Schnell tut man solche Verhaltensweisen als Separatismus oder gar als Terrorismus ab. Es wird dabei aber vergessen, dass diese Völker schlichtweg verschwunden wären, hätten sie sich vollständig assimiliert. In der Geschichte findet man immer wieder Fälle davon, dass ideologische Denkweise über die rationale Denkweise siegt.
Umgekehrt ist es für beispielsweise für einen Besatzer von besonderer Wichtigkeit, die ideologische Gruppenzugehörigkeit der eigenen Gruppe zu stärken und gleichzeitig die Identität der Besetzten zu zerstören. Der Besatzer hält seine Sache immer für gut und gerecht und der Unterlegene wird immer als böse wahrgenommen. Daher siegt am Ende immer das Gute.
So gab es in den USA Umerziehungsschulen für die indianische Urbevölkerung. Die Zerstörung der indianischen Identität ging dabei so weit, dass junge Indianer jubelten, wenn in Cowboyfilmen Indianer erschossen worden. Wenn diese meist nationale Gruppenidentität zerstört wird, ist das der sichere Untergang dieser Gruppierung. Wenn es gelingt, eine Gruppenidentität (beispielsweise Nationalstolz) aufrechtzuhalten, dann haben selbst kleine Gruppierungen unter widrigsten Bedingungen Bestand.
Umgekehrt haben Mehrheitsgruppierungen großes Interesse daran, jedes Anzeichen von Identität von kleineren Gruppierungen zu zerstören. Beispielsweise war in Frankreich das Sprechen von Normannisch in der Normandie und das Sprechen von Deutsch im Elsass zeitweise verboten. Erst wenn diese Identität größtenteils zerstört ist und sozusagen nur noch den Status einer altertümlichen Folklore hat, wird die Einstellung der Mehrheitsgruppierungen gegenüber solchen Erscheinungen wieder toleranter.
So wurden früher Indianer in amerikanischer Literatur und in amerikanischen Verfilmungen meist als dumm und aggressiv dargestellt. Ein edles Image wie bei Karl May gab es in Amerika nicht. Erst als die indianische Identität fast zur Gänze zerstört wurde und als die indianische Bevölkerung in Relation zu Gesamtbevölkerung fast ausgerottet war, konnten Filme wie „Der mit dem Wolf tanzt“ entstehen, in dem amerikanischen Indianern ein positives Antlitz verpasst wurde. Eine Darstellung die der Realität vermutlich genauso wenig nahe kommt wie die Darstellungen zuvor.
Obwohl die amerikanischen Indianer fast vollständig ausgerottet wurden, haben sie sich willfährig vor den Karren ihrer Besatzer spannen lassen. So wurden sie beispielsweise im zweiten Weltkrieg für die Übermittlung von Botschaften eingesetzt. Ihre Sprachen waren teilweise so exotisch, dass der Gegner selbst bei einer Entschlüsselung des Funkcodes kaum etwas mit der Nachricht hätte anfangen können. Interessant dabei ist, dass jeder in dieser Weise eingesetzte Indianer einen weißen Offizier an die Seite bekam. Nicht etwa um diesen zu schützen, vielmehr hatte dieser die Aufgabe, den Indianer bei einer drohenden Gefangennahme zu erschießen. Es scheint paradox, dass einige Indianer stolz darauf waren, für die eigenen Besatzer in den Krieg gezogen zu sein. Dies ist ein Beleg dafür, dass nicht nur Sprache, sondern auch Identifikation und Stolz angenommen werden.
Widerstand scheint ein ganz wichtiges Element in diesem Zusammenhang zu sein. Derjenige, der sich mit den Situationen abfindet und keinen Widerstand gegenüber den Umständen leistet, geht zunächst den Weg des geringsten Widerstandes. Er handelt logisch-pragmatisch. Aber dieser Weg scheint, zumindest evolutionär, in den Untergang zu führen. Froh darüber zu sein, dass die eigene Gruppierung besiegt wurde und Angehörige der eigenen Gruppierung getötet wurden, ist aus evolutionärer Sicht höchst frevelhaft – aber genau im Sinne des Besatzers. Dieser handelt aber aus evolutionärer Sicht löblich und richtig und nur diejenigen der unterlegenen Gruppierung bekommen Unterstützung, die sich eben in dieser Art und Weise verhalten.
Es ist daher für die Überlegenen wichtig, die Geschichte, die Errungenschaften und Taten des Unterlegenen in möglichst schlechtem Licht darzustellen. Dazu hat der Überlegene auch alle Möglichkeiten. Denn er kann bestimmen, welche Informationen der Unterlegene bekommt oder nicht. Er kann die Errungenschaften der Unterlegenen Gruppierung kleinhalten und die eignen überhöhen, er kann die Schandtaten des Unterlegenen aufbauschen und die eigenen kleinreden oder sie komplett verneinen. Am besten ist es für ihn, wenn die Angehörigen der unterlegenen Gruppierung sich für ihre Identität schämen und möglichst als Angehörige der überlegenen Gruppierung wahrgenommen werden möchten und daher auch die deren Lebensweise annehmen.
Erst wenn der beschriebene Prozess der Zerstörung der Gruppenidentität weit fortgeschritten ist, ändert sich die Einstellung des Überlegenen. Das öffentliche Bild des Unterlegenen wird zum Positiven hin verschoben. Dann werden solchen Minderheiten oft Minderheitenrechte eingeräumt oder sie bekommen andere Vergünstigungen. Auch kann es zu einer öffentlichen Diskussion über die Ungerechtigkeiten der Vergangenheit kommen. Dabei übernimmt der Überlegene aber keine konkrete Verantwortung. Die Taten werden als Taten Einzelner in einer schweren Zeit dargestellt. Zu einer finanziellen Wiedergutmachung, oder gar der Rückgabe von Land, kommt es natürlich nicht.
Gelingt es, die Gruppenidentität (also beispielsweise den Nationalstolz) einer Gruppierung zu zerstören, ist dies praktisch gleichbedeutend mit der Auslöschung ihrer selbst. Sie wird als Gruppierung keinen Bestand haben.
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