Da es beim Menschen (anders als bei anderen Säugetieren) keine äußeren Anzeichen dafür gibt, ob die weiblichen Individuen gerade empfänglich sind oder nicht, kann man gezielte Reproduktion nur von der Frau ausgehen. Die Frau kann nämlich recht gut abschätzen, wann sie fruchtbar ist, der Mann ist diesbezüglich komplett ahnungslos.
Wenn er also, wie beim sprichwörtlichen „Besenkammer-Phänomen“, über wenig Weitblick oder Eigenkontrolle verfügt, kann die Frau, auch ganz ohne Einverständnis des Mannes, gezielt reproduzieren. Für solche Frauen ist es schwierig, entsprechende Männer zu finden, denn Männer mit diesen wenig schmeichelhaften Eigenschaften kommen selten in Positionen, bei denen sich dieser Aufwand lohnen würde. Daher sind von solchen Vorfällen oft Männer betroffen, die aufgrund von herausragenden motorischen und weniger aufgrund von kognitiven Fähigkeiten in hochrangige gesellschaftliche Positionen gekommen sind.
Bei Dschingis Kahn war die Ausgangslage eine andere. Betrugsversuche kann man hier aufgrund der tödlichen Folgen ausschließen. Vielmehr hatte in diesem Fall auch der männliche Part ein Interesse daran, möglichst viele Nachkommen zu zeugen. Es könnte auch sein, dass es ihm egal war und nur die Frauen die treibende Kraft waren. Auf jeden Fall hatte er nichts dagegen. Das kann man wohl als sicher erachten. Bei Verdrängungsvorgängen müssen also der männliche und weibliche Part an einem Strang ziehen. Es ist daher auch ein einigendes Band nötig. Das kann beispielsweise Religion sein. Dazu aber später mehr.
Die Bevorzugung von Söhnen in vielen Kulturen liegt vermutlich in den dargelegten Zusammenhängen begründet: Jungen können mehr Kinder zeugen. Insbesondere in Kulturen, in denen Bigamie gestattet ist. Söhne können sich so zum evolutionären Jackpot entwickeln – Töchter eher nicht.
Das angenommene Szenario in Zusammenhang mit der Nachkommenschaft des Dschingis Khan erscheint uns heute wenig glaubwürdig.
Allerdings muss es so oder so ähnlich gewesen sein. Anders sind die Ergebnisse der genetischen Untersuchungen kaum zu erklären. Dies ist aber hier auch nicht weiter von Belang. Entscheidend ist die Erkenntnis, dass es starke Indizien dafür gibt, dass so etwas wie die gezielte Anwendung von Reproduktionsmechanismen in der Geschichte vorgekommen ist.
Das heißt, dass Verdrängung bewusst, praktisch als Waffe, eingesetzt wurde. Im Grunde ist dies auch nicht weiter verwunderlich. Millionen von Nachfahren zeigen, wie wirksam Verdrängung sein kann.
Frauen können sich zwar nicht wie Männer zum evolutionären Jackpot entwickeln, aber genau deshalb sind sie ein entscheidender Faktor bei Verdrängungsvorgängen. Ihre Reproduktionskapazitäten sind limitiert. Eine Frau kann nicht hunderte von Nachkommen in der ersten Generation hervorbringen. Genau deshalb ist aber die Frau von entscheidender Bedeutung. Für den evolutionären Erfolg oder Misserfolg ist es von entscheidender Bedeutung, wohin (in politischer, religiöser und kultureller Hinsicht) die Frauen einer Gruppierung tendieren. Stehen diese Frauen zu ihrer Gruppierung, kann eine Gruppierung auch unter widrigsten Umständen überleben. Räumen sie dem keinen hohen Stellenwert ein, kann das für die jeweilige Gruppierung (siehe Kelten) eine existenzielle Bedrohung sein.
Derjenige der den Zugriff auf diese limitierten Ressourcen hat (wie Dschingis Khan) oder derjenige, der zumindest Einfluss darauf nehmen kann, der hat die Macht und dem gehört die Zukunft – nicht nur evolutionär gesehen. Das bezieht sich nicht nur auf Einzelpersonen, sondern auch auf Gruppierungen. Sie können beispielsweise Ehen außerhalb dieser Gruppierung verbieten oder nur dann erlauben, wenn man sich der Gruppierung anschließt.
Die Reproduktionskraft einer Gruppierung ist eine limitierte und damit wertvolle Ressource. Eine Gruppierung wäre schlecht beraten, wenn sie diese Ressource Gefahren aussetzen würde. Das ist auch der Grund dafür, dass es kaum Kulturen gab, bei denen Frauen zu kriegerischen Handlungen oder Militärdiensten herangezogen wurden. Männliche Verluste sind relativ schnell wieder ausgeglichen. Weibliche Verluste sind praktisch unersetzlich. In Gefahrensituationen wurden Frauen und Kinder aus gutem Grund stärker geschützt als Männer.
Gruppierungen, bei denen die Mitglieder sich so verhielten, wie wir es heute als traditionell bezeichnen würden, prosperierten stärker als Gruppierungen, die dies eben nicht taten und verdrängten diese. Es stellt sich auch heute die Frage, ob es zukunftsweisend ist, in einer Gesellschaft ein Milieu zu etablieren, in dem Frauen bestrebt sind, immer männlicher zu werden, beispielsweise durch Eintritt in den militärischen Dienst, oder Männer immer weiblicher. Für westliche Gesellschaften wäre es vermutlich sehr viel besser, wenn diese den hohen gesellschaftlichen Status der Frau und Mutter als solches wiederentdecken und neu beleben würden, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, von Gruppierungen mit ganz anderen Vorstellungen langfristig verdrängt zu werden. Diese Vorstellung wir vielen westlich orientierten Frauen nicht gefallen, wäre aber aus Sicht des Überlebens ihrer ethnischen Gruppe sinnvoll. Geschichtlich gesehen kann man jedenfalls feststellen, dass es bei allen Unternehmungen und Gesellschaften, bei denen es um die Reproduktionskraft schlecht bestellt war (wie beispielsweise bei den Kreuzrittern), es letztlich immer zum Scheitern kam.
Auch heute reagieren die Mitglieder von Volksgruppen ausgesprochen nervös oder gar aggressiv, wenn sich Partnerschaften zwischen Frauen ihrer eigenen Volksgruppierung mit Männern anderer Volksgruppierungen anbahnen. Man sollte ein solches Verhalten nicht verurteilen, denn es ist im wahrsten Sinne natürlich und musste sich evolutionär so entwickeln. Es ist ein natürliches Abwehrverhalten gegenüber Verdrängung. Ein solches Verhalten hatte (und hat) evolutionäre Vorteile und konnte sich daher auch evolutionär manifestieren. Volksgruppierungen, die nicht so streng reagieren und sich mit anderen vermischen, laufen viel mehr Gefahr verdrängt zu werden. Das betrifft nicht nur genetische Aspekte, sondern auch religiöse und kulturelle.
Es hat den Anschein, dass sich beispielsweise die keltischen Frauen während der angelsächsischen Invasion ohne viel Widerstand mit den angelsächsischen Invasoren einließen. Wären sie zu stolz gewesen, hätten diese nicht so enorm erfolgreich sein können. Es gibt andererseits viele Beispiele dafür, dass sich eine Gruppierung vehement gegenüber einer Vermischung wehrt und letztlich (fast immer) als Sieger hervorgeht. Beim Großteil der keltischen Frauen war eine solche Einstellung scheinbar nicht oder nicht ausreichend vorhanden. Aber nicht bei allen!
An den Grenzen zum heutigen Wales stoppte die angelsächsische Invasion abrupt. Diese keltische Restbevölkerung wehrte sich mit Nachdruck gegen eine Vermischung und gegen Unterdrückung – und dies bis heute erfolgreich. Selbst heute definiert sich ein Waliser als ein Waliser, selbst wenn er oder sie in England geboren wurde oder dort lebt. Auch umgekehrt würde ein Engländer sich niemals als Waliser bezeichnen, selbst wenn er sein ganzes Leben in Wales zugebracht hat. Ein solches Verhalten ist einerseits erstaunlich, andererseits konnte sich nur genau dieses Verhalten evolutionär manifestieren. Diejenigen, die nicht so dachten, sind schlichtweg genetisch verschwunden und mit ihren Genen auch ihre vererblichen Verhaltensweisen. Als die walisische Bevölkerung zur Minderheit im eigenen Land geworden war, musste sie sich abgrenzen, um zu überleben. Da sie nun selbst Minderheit war, hätte eine tolerante Haltung gegenüber der angelsächsischen Mehrheit zu einer vollständigen Auslöschung der keltischen Kultur, Sprache und eigenständigen Erbinformationen geführt.
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