Man neigt insbesondere in westlichen Gesellschaften dazu, die sich ändernden Zahlenverhältnisse hinsichtlich der Bevölkerung zu gering einzuschätzen. In den Köpfen der meisten Menschen ist die Qualität ein viel wichtigerer Faktor als die Quantität. Dies ist aber falscher Denkansatz und rührt aus einen Gefühl der Überlegenheit gegenüber anderen Gesellschaftsformen und Völkern her.
Zahlenmäßige Verschiebungen spielen letztlich sogar eine entscheidende Rolle. Erst nachdem beispielsweise Deutschland Ende des neunzehnten Jahrhunderts ein Bevölkerungswachstum erfahren hatte, entwickelte es sich zu einer technischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Großmacht.
Ähnlich sieht es mit den europäischen Staaten während dieser Zeit im Allgemeinen aus. Auf dem Höhepunkt der Kolonialisierung war ein ganzes Drittel der gesamten Weltbevölkerung europäisch. Je größer eine Gruppierung ist, umso mehr Einfluss kann sie geltend machen. Wird eine Gruppierung kleiner oder spaltet sich eine Gruppierung in verschiedene Interessengruppen auf, umso geringer ist der Einfluss, den diese Gruppierung für sich oder ihre Mitglieder geltend machen kann. Die führt natürlich auch zu negativen Folgen für jeden Einzelnen.
Stark schwindende nationale Gruppierungen sind beispielsweise Japan oder Deutschland. Diese Nationen belegen negative Spitzenplätze in den Statistiken über Geburtenraten. Wenn man sich diese Statistiken über internationale Geburtenraten näher anschaut, fällt auf, dass die Verlierer-Nationen des zweiten Weltkrieges überaus geringe Geburtenraten aufweisen. Deutschland und Österreich beziehungsweise Japan und Korea belegen in diesen Statistiken hintere Platzierungen. Wie kommt es, dass Staaten, die in der jüngsten geschichtlichen Vergangenheit starke Dezimierungen ihrer Bevölkerung hinnehmen mussten, besonders reproduktionsarm sind?
Es scheint einen Zusammenhang zwischen geringer Reproduktion und erhöhter Dezimation zu geben. Dies ist daher von besonderem Interesse, da genau die Staaten, welche geringe Reproduktionsraten aufweisen, tendenziell stärker von Verdrängung betroffen sind als Staaten mit hohen Reproduktionsraten. Diese sind zumeist kaum von Verdrängung betroffen. Es könnte ja auch sein, dass Gruppierungen mit geringen Reproduktionsraten einfach schrumpfen.
Daher ist es naheliegend, eine Verbindung mit dem Grad der Dezimation innerhalb der mechanisierten Konflikte der Vergangenheit und dem Grad der aktuellen Verdrängung herzustellen. Gruppierungen, welche aktiv in diese Konflikte involviert waren, werden aktuellvon Gruppierungen verdrängt, welche nicht (oder nur am Rande) an diesen früherenKonflikten beteiligt waren.
Die Ursache für diese funktionellen Zusammenhänge liegen vermutlich im selektiven Charakter von kriegerischen Dezimationen. Die Verluste innerhalb eines Krieges stellen keinen Querschnitt der Bevölkerung dar, sondern betreffen bestimmte Gruppen verstärkt oder vermindert. Das heißt, dass Personen, welche beispielsweise ein hohes Maß an Selbstkontrolle erforderten, hatten natürlich viel höhere Überlebenschancen als Personen, bei denen die Nerven durchgingen. Dieses galt natürlich ebenso für Zivilisten.
Personen, welche durch weitsichtige Entscheidungen der Einkesselung oder Bombardierung ihrer Stadt entkamen, hatten viel höhere Überlebenschancen als Personen, die meinten, dass „alles schon gutgehen“ würde.
Das Maß der Fähigkeit, zukünftige Ereignisse hinreichend genau prognostizieren zu können, ist während kriegerischer Handlungen von besonderer Bedeutung. Wer sich als junger Deutscher zu Beginn des zweiten Weltkrieges dazu hinreißen ließ, sich beispielsweise zur U-Boot-Waffe freiwillig zu melden, der war mit Dreiviertel-Wahrscheinlichkeit tot (in etwa so hoch waren nämlich die Verluste dieser Waffengattung).
Wer etwas genauer nachdachte, meldete sich vielleicht zu Artillerie. Diese wurde nämlich immer weit hinter der Frontlinie aufgestellt und die Wahrscheinlichkeit, dort durch Feindeinwirkung zu Tode zu kommen, war relativ gering.
Noch weitsichtigere Personen konnten vielleicht in der Rüstungsindustrie unterkommen und waren damit unabkömmlich.
Weitsichtigkeit war aber für Zivilisten von entscheidender Bedeutung. Vorausschauende Personen, deren Stadt noch nicht oder nicht intensiv bombardiert wurde, kamen zu dem Schluss, dass ihre Stadt für den Gegner mit jedem Kriegstag immer attraktiver wird und verließen diese wenn möglich. Eine unbedarfte Person würde genau zum gegenteiligen Entschluss kommen.
All dies mag weit hergeholt erscheinen. Man darf aber nicht vergessen, dass man nur einmal sterben kann. Diese Aussage mag trivial erscheinen, trifft aber den Kern der Sache. In Kriegszeiten konnte eine schlechte Entscheidung einmal die Nerven zu verlieren, eine unbedachte Äußerung, zwischen Leben und Tod entscheiden. Das muss nicht in der jeweiligen Situation unmittelbar geschehen sein, sondern man konnte sich aus solchen Handlungen heraus in Situationen gebracht haben, die mit mehr Risiko verbunden waren, als wenn man sie unterlassen oder Alternativhandlungen durchgeführt hätte.
Wenn man Kriegsteilnehmer befragt, hört man immer wieder Sätze wie: „Ich hatte Glück, ich konnte…“ oder „Nur weil ich damals schon wusste, was passieren würde, habe ich…“.
Man kann solchen Sätzen entnehmen, dass diese Personen offensichtlich weitsichtiger waren als andere und auch über ein höheres Maß an Selbstkontrolle verfügten. Diejenigen, bei denen dies nicht der Fall war, können nur selten darüber berichten, weil die Wahrscheinlichkeit, dass genau diese Personen bei irgendeiner Situation ums Leben kamen, viel höher war.
Allerdings können die Selektionsbedingungen je nach Situation ganz unterschiedlich sein und somit auch die evolutionären Folgen. Dies hängt davon ab, wie eine Krieg führende Gruppierung Handlungen zum Nachteil von einzelnen Personengruppen durchführt. Beispielsweise kam es in der Geschichte recht häufig vor, dass ein Tyrann ganz bewusst eine Hatz auf Intellektuelle veranstaltete, wie das zum Beispiel die Roten Khmer in Kambodscha getan haben oder Stalin in der Sowjetunion. Ebenso haben einige Ereignisse kaum selektiven Charakter, beispielsweise die großen Kesselschachten auf dem Gebiet der Sowjetunion zu Beginn des zweiten Weltkrieges, bei denen Millionen Soldaten der Roten Armee eingekesselt wurden. Die Eigenschaften, welche die einzelne Person aufwies, waren in diesem Fall für dessen weiteres Schicksal weitgehend irrelevant und somit kaum selektiv.
Kriegerische Dezimationen sind aber in ihrer Gesamtheit in hohem Maße selektiv. Das heißt, dass kriegerische Dezimationen eine Gruppierung nicht wahllos betreffen, sondern Individuen mit bestimmtem Verhalten besonders stark von dieser Dezimation betroffen sind. Die auffallend niedrigen Reproduktionsraten, gerade von Nationen wie Japan und Korea oder Deutschland und Österreich scheinen im Zusammenhang mit den selektiven Bedingungen einer kriegerischen Dezimation zu stehen. Die heutigen Bedingungen können dafür kaum ausschlaggebend sein, denn diese Länder sind reich und haben einen hohen Lebensstandard. Dies ist vermutlich auch eine Folge dieser Selektionsbedingungen, denn die Bedingungen zum Erlangen von Wohlstand waren wiederum ausgesprochen schlecht. Eigentlich müssten gerade diese Länder reproduktiver sein als jemals zuvor. Trotzdem ist genau das Gegenteil der Fall.
Es stellt sich zunächst die Frage, um welche vererbbaren Eigenschaften der Gruppierungen, welcher einer kriegerischen Dezimation unterlagen, es sich überhaupt handelt. Man kann davon ausgehen, dass folgende Eigenschaften sich in einem kriegerischen Milieu evolutionär negativ ausgewirkt haben müssen: Spontanität, Optimismus, Naivität, Impulsivität, Reizbarkeit, Draufgängertum, Unüberlegtheit, Gutgläubigkeit, Patriotismus und Mut.
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