Deshalb hatte Hetty die letzten Wochen fleißig mit George, seinem Trainingsleiter, gearbeitet und inzwischen enorme Fortschritte gemacht. Wobei natürlich allen klar gewesen war, dass sie mit ihren 1.60 Metern Körpergröße und siebenundvierzig Jahren keine bestialische Kampfmaschine werden würde. Aber es gab genügend Mittel, die auch eine Frau befähigten in einem Ernstfall den Gegner auszuschalten. Dazu gehörte vor allem als Grundeinstellung eine absolute Gnadenlosigkeit beim Zuschlagen und die rigorose Anwendung aller erlaubten und unerlaubten Methoden. Und das waren bei Hetty maßgebliche Charaktereigenschaften, denn gegenüber ihr feindlich gesinnten Menschen, war sie noch nie übertrieben rücksichtsvoll gewesen.
George war deswegen bezüglich der Wahl der Mittel auch nicht zimperlich und verriet ihr eine Gemeinheit nach der anderen. Die durfte sie dann, nach einem intensiven Grundtraining mit ihm, bei dem sie die Technik einübte, der Reihe nach an Kais Männern ausprobieren, die sich voller Begeisterung als Kampfpartner zur Verfügung stellten. Wobei die Freude nur von kurzer Dauer war, denn sie mussten ziemlich schnell feststellen, dass die Freundin ihres Chefs sie tatsächlich aufs Kreuz legen konnte. Schon bald gestanden sie sich ein, dass sie sich dann doch lieber von Kai auf die Matte legen ließen, denn gegen Hetty, war ihr gnadenloser Boss die reinste Mutter Theresa und seine Schläge beinahe Streicheleinheiten.
George, der bekannt dafür war, auf alles und jeden zu wetten, hatte in der letzten Zeit schon viel Geld aufgrund ihrer Erfolge gewonnen. Wobei es ein Gebiet gab, in dem sich sowieso keiner mit ihr anlegte und das war der Schießstand. Da gab es nur einen in der ganzen Firma, der noch besser als Hetty schießen konnte und das war Kai selbst. Und der hatte schließlich bei den Marines unter anderem eine Ausbildung zum Scharfschützen gemacht.
Heute hatte er sich die Zeit genommen, zuerst eine Weile beim Training von Hetty zuzusehen, und sich dann selbst als Sparringspartner zur Verfügung gestellt. Bevor sie mit dem Kampf begannen, hatte er ihr anschaulich und eingehend gezeigt, welche Fehler sie in ihrer Deckung machte. Hetty hatte genickt, aber seine Warnung nicht sonderlich ernst genommen. Schließlich hatten die letzten Tage ihr bewiesen, dass sie mit ihren Tricks seine Männer immer wieder überlisten konnte. Kai allerdings hatte schon nach kurzer Zeit zweimal ihre Abwehr durchbrochen, doch dabei immer seinen Schlag abgebremst und den Treffer nur angedeutet.
Mit einem Stirnrunzeln hatte er schließlich gesagt. »Ich warne dich. Beim nächsten Mal schlage ich richtig zu. Das hier ist kein Spiel!«
Dabei hatten seine strahlend blauen Augen sie äußerst ernst angesehen. Das hätte ihr als Warnung eigentlich genügen sollen. Schließlich war sie der einzige Mensch auf der Welt, der wirklich hinter die Fassade dieses, nach außen hin, so emotionslos und introvertiert wirkenden Mannes sehen konnte. Und sie konnte eigentlich inzwischen alle seine kleinen Gesichtsregungen deuten und hätte wissen müssen, dass er keinen Spaß machte.
Aber nein, sie hatte ihn angeschaut und wieder einmal mit Wonne festgestellt, dass dieser so unwahrscheinlich attraktive Mann tatsächlich ihr Lebenspartner war. Denn mit seinem knapp 1.90 Meter großen, athletisch durchtrainiertem Körper, schmalen Hüften und breiten Schultern war er, alleine schon von der Figur her, ein Leckerbissen für die Augen. Dazu noch schwarze halblange Haare, die ein feingeschnittenes Gesicht mit den blauesten Augen der Welt umrahmten und der Traumprinz war perfekt. Die feine Narbe über seiner linken Wange störte den Gesamteindruck nicht im Geringsten, sondern sorgte dafür, dass die Perfektion noch das letzte i Tüpfelchen erhielt, denn damit bekam seine Ausstrahlung auch noch den Anflug von Verwegenheit.
Doch dass er nicht nur perfekt, sondern leider auch gnadenlos und rational sein konnte, hatte kurz darauf ein genau gezielter Schlag gezeigt, der ihr die Tränen in die Augen getrieben hatte. Wobei sie noch froh sein musste, dass er ihr dabei keine Rippe gebrochen hatte, sondern nur so stark zugeschlagen hatte, dass es richtig schmerzte.
Mit einem tiefen Aufseufzen stellte sich Hetty unter die Dusche. Kai hatte eine sehr nachdrückliche Art, ihr Gehirn zum Denken anzuregen. Er wusste genau, dass sie anders seine Anweisungen nie richtig ernst genommen hätte. Jetzt hatte sie verstanden, wie gefährlich ihr Leichtsinn im Ernstfall geworden wäre. Stöhnend schloss sie die Augen. Das kam davon, wenn man glaubte, man könnte mit jemanden wie Kai locker mithalten.
Als sie das Wasser abdrehte und sich abtrocknete dachte sie an den Tag zurück, als sie endlich zurückgekommen war.
»Du solltest besser wieder kalt duschen!«
Hetty lächelte. Ihre Hormongruppe war wieder voll in ihrem Element. Na ja, der Kuss hatte zumindest gezeigt, dass es Kai mit ihr nach wie vor nicht langweilig wurde.
»Wie denn auch, schließlich seid ihr jetzt zwar schon seit über einem halben Jahr ein Paar, habt aber durch den Vorfall mit deiner Amnesie und deiner blöden Reise erst sieben Wochen miteinander verbracht. Da sieht doch jeder von euch noch alles durch die rosarote Brille.«
Hetty zog leise jammernd ein frisches T-Shirt an. Von wegen! Kai wusste genau, mit welchen Fehlern sie behaftet war und auch er hatte einige Eigenheiten, die von ihr relativ viel Toleranz abverlangten.
»Was soll denn das sein?« Der Verstand mischte sich ein. Hormone hin, Hormone her, man sollte die Kirche im Dorf lassen.
»Er lässt sich nichts sagen und will immer seinen Willen durchsetzen.«
Wieherndes Gelächter brandete auf. Sämtliche Gehirnfraktionen waren sich einig. »Also ist er genauso wie wir!«
Während Hetty ihre Bermuda anzog, runzelte sie die Stirn. Jawohl, und das würde mit Sicherheit immer wieder einen Reibungspunkt abgeben. Denn sie hatte nicht vor, nur nach seiner Pfeife zu tanzen.
»Aber meistens hat er doch recht, oder?«
Als sie sich nach den Schuhen bückte, kam von ihren Rippen ein deutliches Schmerzsignal.
»Er weiß ganz genau, dass du immer wieder meinst, alles läuft ganz locker und ungefährlich. Bis du dann wieder in der Bredouille steckst und er einen auf Retter in der Not machen muss. Du solltest endlich mal auf ihn hören, schließlich willst du noch länger leben!«
Stöhnend richtete sie sich auf und hielt sich die Seite. Vor allem würde sie bedeutend gesünder leben. Das war nicht von der Hand zu weisen.
Kapitel 2
»Hallo Leute, wo steckt denn euer Boss?«
Die Männer musterten erstaunt den gutaussehenden blonden Hünen, der soeben durch die Hallentüre eingetreten war. Schließlich konnte auf dieses Gelände nur jemand kommen, der wusste welcher Pincode am Außentor eingegeben werden musste und das waren Kai und George. Wie also kam dieser Mann hier in die Halle?
Der lächelte vergnügt in die versammelte Runde und fügte hinzu. »Ich bin der Neue, ich soll hier singen!«
Kai hatte die Stimme gehört und trat aus dem Pulk heraus. »Schön, dass du tatsächlich gekommen bist.«
Dann stellte er den Neuankömmling vor. »Das ist Nat, ein alter Militärkamerad von mir. So wie es aussieht, hat er meinen Vorschlag angenommen und wird in Zukunft mit uns arbeiten.«
Nat grinste ihn an. »Du hast nichts von Arbeiten gesagt, nur von guter Bezahlung. Ich denke, ich sollte mir dein Angebot nochmal überlegen.«
Die Gruppe lachte. Dieser gutgelaunte Typ passte zu ihrer Gemeinschaft, wie die berühmte Faust aufs Auge. Und nun war es auch jedem absolut verständlich, warum er problemlos durch die Türe gekommen war. Denn er gehörte zu der ehemaligen Vierertruppe bei den Marines, die Kai angeführt hatte und war damit einer der wenigen Menschen, denen ihr Boss vorbehaltlos vertraute. George nickte vor sich hin. Kai hatte ihm schon erzählt, dass er Nat angeworben hatte. Der sollte allerdings nicht nur hier in Brisbane tätig sein, sondern die meiste Zeit im Außendienst eingesetzt werden, damit er selbst sich mehr um die Akquise neuer Aufträge kümmern konnte.
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