Kapitel 5
Glücklicherweise war Kais Geländewagen groß genug, um das Gepäck für drei Leute problemlos unterbringen zu können. Wobei interessanterweise Hetty, als Frau, den kleinsten Koffer mit auf die Reise nahm, wie Kai schmunzelnd bemerkte. Sie würde wohl nie die große Modepuppe werden und vermutlich war sie der Meinung, dass ein einziges schönes Kleid neben ihren ganzen Freizeitklamotten, den Fall einer eventuell notwendigen Aufbrezelung abdecken würde. Während er ins Haus zurückging, um seine Sachen zu holen, verstauten Nat und Hetty ihre Gepäckstücke im Wagen.
Nat sah Hetty fragend an. »Und du hast Tim tatsächlich noch nie gesehen?«
Die schüttelte den Kopf. »Ich habe auch noch kein Wort mit ihm gesprochen und kenne ihn nur vom Hörensagen. Mit dem ganzen Durcheinander hatten wir bis jetzt noch keine Zeit ihn zu besuchen. Mister Brown, euer ehemaliger Ausbilder bei den Marines, hat mir damals in Darwin erzählt, dass er auch zu der Vierergruppe gehörte, die ihn fast in den Wahnsinn getrieben hat. Also gehe ich davon aus, er wird so sein, wie ihr drei anderen. Auf alle Fälle ist er auch einer von den Leuten, die Geld haben ohne Ende.«
Diese Schlussfolgerung zog sie natürlich auch aus dem Wissen, dass der Mitbegründer von Kais Sicherheitsfirma sich, nach ein paar Jahren Arbeit, in den Withsundays eine Insel gekauft und danach aus dem Berufsleben zurückgezogen hatte.
Nat grinste. »Na, dann bin ich schon gespannt, was du sagen wirst, wenn du den Letzten aus unserer Runde zu sehen bekommst.«
Als Kai zu ihnen trat, hob der seine rechte Augenbraue und musterte Nat. »Was ist so lustig?«
Nat sah ihm starr in die Augen und antwortete, ohne mit der Wimper zu zucken. »Hetty glaubt, dass Tim auch so ein Geldprotz und Anzugheini ist, wie wir beide und Hashimoto.«
Kai erwiderte seinen Blick, ohne jegliches Anzeichen von irgendetwas. Nur seine Lachfältchen wurden tiefer. »Du weißt doch genau, dass wir mit ihm nicht mithalten können! An seinen Stil kommt keiner von uns auch nur im Entferntesten ran.«
Nat versuchte vergeblich ein erneutes Grinsen zurückzuhalten und gab einen langen Seufzer von sich. »Stimmt, er ist ja schließlich schon fast Gottgleich!«
Jetzt verzog auch Kai seinen Mund zu einem Lächeln und Hetty bekam die leise Ahnung, dass Tim wohl doch nicht ganz so sein würde, wie sie ihn sich vorstellte. Aber morgen würde sie ihn sowieso sehen, also warum sollte sie sich jetzt darüber den Kopf zerbrechen.
Achselzuckend nahm sie im Heck des Wagens Platz. Sie hatte Nat den Beifahrersitz angeboten, denn mit ihrer Größe saß sie im Geländewagen auch hinten sehr bequem und warum sollte er seine guten 1.90 Meter verbiegen. Der dankbare Blick, den er ihr zuwarf, war gepaart mit einem leisen Ausdruck des Bedauerns, den Hetty aber wohlweislich ignorierte.
Während Kai den Wagen startete und Richtung Airlie losfuhr, unterzog sie Nat einer heimlichen Musterung. Glücklicherweise war sie in Sydney so schlau gewesen, sich nicht näher mit ihm einzulassen, sonst wäre das für alle der absolute Supergau geworden. So aber war nicht nur sie, sondern auch Nat, mit einem blauen Auge davon gekommen.
Hetty lehnte sich zurück und starrte aus dem Fenster. Sie hatte sehr wohl bemerkt, dass er von ihrem wahren Ich bei weitem nicht so begeistert war, wie von der Frau, die er zu kennen geglaubt hatte. Auch wenn ihm damals schon bewusst gewesen sein musste, dass sie ein ziemlich selbstständiger Typ war, hatte er doch nicht die geringste Ahnung davon gehabt, wie weit entfernt sie sich tatsächlich von seiner Imagination befand. Jetzt wo er wusste, wie die Dinge lagen, würde er sicher nicht mehr lange brauchen, um die Sache endgültig abzuschließen.
Das Thema Nat war eines ihrer kleinsten Probleme. Da war das mit Patrick bedeutend größer. Wenn sie an die Szene zurückdachte, die er ihr gemacht hatte, dann bekam sie jetzt noch eine Gänsehaut. Der Junge dachte tatsächlich allen Ernstes, er könnte ihr Vorschriften machen.
»Na ja, kann er doch auch, oder? Schließlich bist du eingeknickt und hast ihm beteuert, dass Nat dir nichts, aber rein gar nichts bedeutet. Und eigentlich hatte er wirklich kein Recht dazu, solche Fragen zu stellen.«
Da hatte ihre Sarkasmusabteilung tatsächlich recht, wie sie sich eingestehen musste. Patrick hatte, objektiv betrachtet, nicht den geringsten Grund, sich einzumischen. Doch er hatte es getan und ihr dabei auch sehr nachdrücklich klargemacht, dass er sehr wohl wusste, dass bei ihr immer noch Gefühle für ihn da waren. Hetty runzelte die Stirn. Das Irritierende daran war eigentlich, dass sie ihm nicht im Geringsten böse sein konnte.
»Gib doch zu, du findest es ganz toll, dass er sich in die Front wirft. Der treue Ritter mit seinem Schwert und so.«
Betreten sah Hetty auf den Armreif von Kai. Tja, anscheinend war das die Rolle, die Patrick jetzt übernommen hatte. Kai konnte er noch akzeptieren, aber jeden anderen, der ihr zu nahe kam, würde er vernichten.
Ein leises Lächeln zog über ihr Gesicht. Und Kai lehnte sich ganz gemütlich zurück und ließ Lancelot seine Arbeit erledigen. Nach der Devise, warum sollte er sich die Hände schmutzig machen, wenn Patrick immer auf der Hut war. Sie wurde wieder ernst. Die Beziehung zwischen den beiden war äußerst seltsam. Patrick hatte ihr erzählt, dass Kai inzwischen wusste, dass sie vor seiner Hochzeit eine Affäre gehabt hatten, zumindest hatten sie über die erste Nacht, die sie mit ihm verbracht hatte, gesprochen und Kai konnte zwei und zwei zusammen zählen und seine Schlussfolgerungen ziehen, auch wenn er sonst nicht mehr erfahren hatte.
Doch das hakte ihr Lebensgefährte genauso ab, wie ihre Nacht mit Patrick, bevor sie zu ihm zurückgekommen war. Und auch wenn sie bei ihrer Berichterstattung nichts Detailliertes erwähnt hatte, so konnte er sich unschwer zusammenreimen, dass es nicht nur bei einem tröstendem Schulterklopfen auf Patricks Rücken geblieben war. Nur gut, dass er keine Ahnung davon hatte, dass sie diese Nacht wirklich nicht zu ihren kleinen Sünden zählen konnte.
Im Nachhinein war ihr inzwischen wieder einmal bewusst geworden, dass sie dabei Patrick viel zu viel über ihre eigenen Gefühle verraten hatte. Doch wie üblich hatte sie, als er sie in seinen Armen gehalten hatte, den Rest der Welt völlig vergessen und natürlich auch, dass es kontraproduktiv war, ihm zu sagen, dass sie ihn nach wie vor liebte. Das hatte ihn dann wohl auch dazu bewogen, sich keine Hemmungen aufzuerlegen, als er ihr wegen Nat Vorwürfe machte.
Sie seufzte leise in sich hinein und hob den Kopf. Kais strahlend blaue Augen waren im Rückspiegel mit einem wissenden Blick auf sie gerichtet und leicht entsetzt hielt sie kurz die Luft an. Woher wusste er nur schon wieder, über was sie gerade nachdachte?
Kai verkniff sich ein Grinsen und konzentrierte sich wieder auf die Straße. Inzwischen war er schon ganz gut darin geworden, Hetty nervös zu machen. Es war einfach am besten, sie immer glauben zu lassen, dass er mehr wusste, als sie dachte und schon war er auf der sicheren Seite. Nur gut, dass Patrick genauso verschwiegen war wie er. So würde Hetty von dem Vorfall in der Halle nie etwas erfahren. Bei manchen Dingen war es besser, wenn sie nichts davon wusste. Vor allem nicht, dass er Patrick nach wie vor schonte. Er unterdrückte ein Aufseufzen. Der Junge konnte nichts für seine Gefühle und wenn er eines nachempfinden konnte, dann war das, dass man Hetty einfach lieben musste.
Die lange Fahrt verlief dank Nat äußerst kurzweilig. Schließlich war er nicht gerade schweigsam veranlagt und nachdem ihn Kai aufgefordert hatte, doch mal ein paar Geschichten aus der Militärzeit zum besten zu geben, legte er los. Natürlich erzählte er nur von den Einsätzen, die offiziell bekannt geworden waren, denn die Geheimmissionen unterlagen nach wie vor dem absoluten Redeverbot.
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