Immer wenn wir losfuhren, saß Dr. Werner neben dem Fahrer des Jeeps, hinten, auf der Rückbank, seine Sekretärin und ich. Es war immer das Gleiche. Aus zufälligen Berührungen unserer Hände entwickelte sich im Laufe der Fahrt eine muntere Fummelei. Dr. Werner bekam nie etwas mit. Auch wenn seine Geliebte mal so zwischendurch, zu Hause, im Krankenhaus, den Schreibtisch verließ, um die arme Kellerassel zu besuchen, fiel das nie auf. Der Einzige, dem das Verhalten der Sekretärin suspekt war, war wohl ihr eifersüchtiger Ehemann, denn an manchem Morgen kam sie mit einem blauen Auge und ziemlich verheult an ihren Arbeitsplatz.
Irgendwann war die Zeit in Eckernförde leider vorbei. Nur noch einen Nachtdienst sollte ich machen. Da ich aber für diesen Abend den Abschied von Gisa, meiner Eckernförder Freundin, geplant hatte, bat ich einen Kollegen, für mich einzuspringen. Dr. Werner fand das gar nicht gut. So kam es, dass ich nicht als Sanitätsgefreiter, sondern nur als Sanitätsmatrose Winkels entlassen wurde.
Nach der Militärzeit wohnte ich wieder bei meinen Eltern in Essen, nahm den alten Arbeitsplatz und auch frühere Lebensgewohnheiten wieder auf.
Dann, Anfang 1968, trat Ursula in mein Leben. Ursula, meine erste Frau und Mutter unserer gemeinsamen Tochter Miriam. Sie war zunächst eines der vielen Mädchen, die man häufiger im Kaleidoskop traf. Aber ihre Art und ihr attraktives Äußeres machten sie für mich wie auch für die meisten meiner Mitbewerber sehr interessant. Ihr mondänes, gestyltes Auftreten und ihr Parfüm „Pino Sylvestre“ passten hervorragend zu ihrem schicken, weißen Opel-Coupé mit den roten Kunstledersitzen.
Im Frühsommer verbrachten Ursula und ich einen gemeinsamen Urlaub auf Ibiza. Unter blauem Himmel machte ich ihr den Heiratsantrag. Wir verlobten uns bei Rotwein, Weißbrot und Tomaten und genossen unbeschwerte Tage.
Wieder in Deutschland planten wir unsere gemeinsame Zukunft. Am 20. Juli 1968 wurde geheiratet. Wir kannten uns gerade fünf Monate. Heute glaube ich, dass sie, wie auch ich, diese Chance nutzte, um bei den Eltern auszuziehen. Beide hatten wir vom Hotel Mama wohl die Nase gestrichen voll.
Die kirchliche Trauung fand in einer kleinen Kapelle in Kettwig statt. Uschi trug, ganz im Stil der damaligen Hippiezeit, ein schlichtes, weißes Kleid, Orchideenblüten im Haar, ein tiefes Rückendekolleté und nackte Füße in goldfarbenen Sandalen. Ein toller Anblick, obwohl die eine oder andere alte Tante meinte, das gehöre sich nicht. Gefeiert wurde im Haus meiner Eltern. Ein riesiges Fest. Alle waren eingeladen, vor allem unsere Freunde. Schwiegervater Josef (Sepp) spielte auf seiner Mandoline und sang dazu Lieder aus seiner Jugend. Schwiegermutter Emmi saß schweigend daneben und dachte wohl darüber nach, wie schön das Leben für sie gewesen wäre, wenn sie ihren Sepp nicht geheiratet hätte.
Meine Mutter spielte mit Überzeugung die Rolle einer Mutter, die gerade ihren Sohn verloren hat. Vater gab lauthals Ratschläge für unsere Zukunft.
Wir planten, gemeinsam eine Drogerie zu eröffnen. In Metternich, wo Vaters Schwester und Schwager den Bauernhof bewirtschafteten. Da, wo Peter und ich, als Kinder, ihre Ferien verbrachten.
Das Ladenlokal war schnell gefunden und angemietet. Nachdem ich mein Angestelltenverhältnis beendet hatte, war Zeit, die Einrichtung des Geschäftes zu gestalten. Es musste fast alles improvisiert werden, denn ausreichend Geld war nicht vorhanden. Bereits vorhandene Theken und Schränke stammten noch aus der Zeit, als hier Haushaltwaren verkauft wurden. Die durften wir nutzen. Alle anderen Einrichtungsgegenstände baute ich selbst. Alte Bretter wurden beim Schreiner abgeschliffen, zu Wandregalen verschraubt, Eichenfarben gebeizt und mit schwarzen Umleimern versehen.
Uschi und ich fanden die Regale schön. Teedosen, Standgefäße, eine dekorative Apothekerwaage und eine mechanische Registrierkasse durfte ich dem Fundus meines letzten Arbeitgebers entnehmen.
Den ersten Warenbestand bestellte ich bei der Drogisten-Genossenschaft „ESÜDRO“ auf Kredit. Ware, die nur direkt, also ausschließlich vom Hersteller gekauft werden konnte, führte ich noch nicht, oder lieh sie mir beim früheren Arbeitgeber. Herr Luttmann, mein Lehrherr, kam am 3. September 1968 zur Geschäftseröffnung. Er brachte die Artikel mit, die noch auf meiner Wunschliste standen, um sie uns, quasi statt Blumen, zur Eröffnung zu schenken.
Mit Stolz weise ich darauf hin, dass das Startkapital für unsere Selbständigkeit aus 4000 DM bestand, von denen 2000 von meinem Vater stammten. Von diesen 2000 holte er sich schon nach einem Monat 1000 zurück, weil er vergessen hatte, dass er doch mit meiner Mutter zum Hochzeitstag eine Reise durch die Eifel machen wollte. Da wir die 1000 DM nicht mehr hatten, musste ich einen Kredit bei der ortsansässigen Raiffeisenbank aufnehmen.
Über dem Ladenlokal befand sich eine kleine Wohnung, die im Mietpreis enthalten war. Möbliert wurde mit dem, was wir in der Nachbarschaft zusammengeschnorrt hatten.
Meine Großmutter Maria starb vor der Eröffnung meines ersten Geschäftes mit 67 Jahren an Dickdarmkrebs. Es machte mich sehr traurig, vor allem weil ich ihr nun nicht mehr das zeigen konnte, was sie sicher stolz gemacht hätte. Mit Recht, denn die Großeltern haben wesentlich dazu beigetragen, dass ich das Selbstbewusstsein erlangt hatte, das man braucht, um sich mit 23 Jahren, praktisch ohne Geld, selbständig zu machen.
Am Eröffnungstag hatten wir 600 DM in der Kasse. Die verkaufte Ware hinterließ in den Regalen große Lücken, da bei der Erstbestellung maximal zwei Stück eines jeden Artikels eingekauft worden waren.
STATION V WEITERENTWICKLUNG. VON NULL AUF HUNDERT
1969 – 1979
Da das Geld, das anfangs mit der Drogerie verdient wurde, nicht reichte, nahm Uschi als gelernte Bürokauffrau durch Vermittlung eines Dorfbewohners eine Arbeit beim Wirtschaftsministerium, in Bonn, damals unter Wirtschaftsminister Prof. Karl Schiller, SPD, an.
Im ersten Jahr meiner Selbständigkeit lernte ich Klaus-Dieter Landsberg kennen. Er kam zu uns in die Drogerie, um uns als Vertreter der Firma Zenner Haarspangen und Modeschmuck zu verkaufen. Während des Gesprächs stellte sich heraus, dass er in Walberberg, einem Nachbarort von Metternich, zusammen mit seiner Frau Renata auch eine Drogerie betrieb. Aus diesem ersten Kontakt über Zenners Haarspangen sollte sich eine fast 50 Jahre bestehende Freundschaft entwickeln, wobei es etwa 20 Jahre später zu einer Reihe von Schicksalsschlägen kommen sollte.
Zunächst tauschten wir miteinander Ware aus, tätigten gemeinsame Bestellungen, um höhere Rabatte zu erlangen, feierten alle möglichen Dorffeste und auch den Karneval miteinander.
Als mir im folgenden Jahr eine bereits bestehende Drogerie in Sechtem, einem weiteren Nachbardorf von Metternich, angeboten wurde, griff ich zu. Da nun die Uschi in unserer Firma gebraucht wurde, kündigte sie beim Wirtschaftsministerium. Nachdem sie eine Kosmetikerinnenausbildung abgeschlossen hatte, stand sie zur Verfügung. Nach nur zwei Jahren gelang es mir, den Umsatz der Sechtemer Drogerie zu verfünffachen. Nun war dieses Geschäft eine echte Goldgrube.
Unser gemeinsames Hobby war damals das Reiten. Im Reitstall an der Bonner Hardthöhe fanden wir das, was wir suchten. Wann immer es ging, nahmen wir Unterricht. Später folgten Ausritte in die Bonner Wälder, wobei Ursula von Anfang an die bessere Reiterin war und auch auf Pferde stieg, vor denen ich größten Respekt hatte.
Was uns nun nur noch zu unserem Glück fehlte, war ein Kind. Einfacher gesagt, als getan. Was mit angenehmen Liebesspielen begann, entwickelte sich bald zum lang andauernden, ausgewachsenen Stress. Es sollte einfach nicht klappen. Nachdem ärztlicherseits meine Spermien auf Anzahl und Qualität gecheckt, Ursulas gynäkologischer Raum nebst hormonellem Status untersucht wurde, bekamen wir beide die Bewertung mit ausgezeichnet bis exzellent. Was war los? Die Voraussetzungen waren optimal. Nach gründlicher Beratung durch den Frauenarzt meinte Ursula, dass man es vielleicht dann versucht, wenn die intravaginale Temperatur, nach Knaus-Ogino, eine bestimmte Gradzahl erreicht hatte. Jetzt wurde es richtig heftig. Da Ursula sich nichts sehnlicher wünschte als ein Kind, war sie vor allem nachts ständig mit dem Fieberthermometer beschäftigt, sodass ich häufig immer dann, wenn die Temperatur günstig war, meinen Schlaf unterbrechen musste, da diese einmalige, günstige Gelegenheit genutzt werden müsse. So ging das über Monate und mindestens 500 günstige, einmalige Gelegenheiten.
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