Was Hanrek auch nicht gefallen hatte, waren die Blicke gewesen, die sie Miria zugeworfen hatten. Rannold hatte als Miria vorbeigegangen war, Tonnir angestoßen, eine anzügliche Geste hinter ihrem Rücken gemacht und schamlos gegrinst. Bei ihr hatten sie keine Bemerkungen gemacht aber das lag wahrscheinlich eher daran, dass Lucek in Hörweite war.
Um die Mittagszeit, Hanreks Magen hatte schon vernehmlich geknurrt, sah er, wie Lucek, sein Pferd in einen leichten Trab versetzte und schnell um die nächste Biegung des Weges verschwand. Die beiden anderen hielten ihre Pferde an. Hanrek und Miria hatten die beiden schnell eingeholt.
Hanrek spürte die Spannung in der Luft. Seine Gabe benötigte er nicht, um festzustellen, dass die beiden Unruhestifter etwas ausgeheckt hatten. Und wie erwartet fing Rannold sofort an, als sie in Reichweite waren.
Er schnappte sich Mirias Bündel, das hinter seinem Sattel befestigt gewesen war.
„Wollen mal sehen, was so ein Bauernmädchen so mit nimmt, wenn sie einen Ausflug in die große Stadt macht.“, und begann es zu durchwühlen.
Miria stürzte auf ihn los.
„Du Bastard. Nimm deine dreckigen Hände von meinen Sachen.“
Darauf hatte Tonnir nur gewartet. Er trieb sein Pferd an und lenkte es hinter Miria, sodass diese zwischen den beiden Pferden eingeklemmt war. Er umklammerte sie von hinten und zog die um sich tretende Miria hoch, sodass sie vor ihm auf dem Pferd zum Sitzen kam. Während er sie weiter fest umklammerte, Miria hatte keine Chance sich aus dem Griff zu befreien, versuchte er ihr mit den Händen unter die Bluse zu fahren, was Miria verzweifelt versuchte zu verhindern. Das Ganze war so schnell gegangen, dass Hanrek keine Möglichkeit gehabt hatte, Miria zu helfen.
Hanrek preschte vor, um dem Ganzen ein Ende zu bereiten und ging damit Rannold in die gestellte Falle.
Rannold hatte sein Pferd in der Zwischenzeit um Tonnirs Pferd herumgelenkt und als Hanrek, der ganz auf Tonnir konzentriert war, an Rannold vorbei wollte, ließ der seinen Kampfstab, den er hinter seinem Pferd verborgen gehalten hatte, nach oben schnellen. Er erwischte Hanrek voll am Kinn. Als Hanrek einige Augenblicke später wieder zu sich kam, fand er sich auf dem Rücken liegend im Gras wieder.
Rannold war in der Zwischenzeit abgestiegen und grinste ihn hämisch an.
„Bist du müde, weil du es dir im Gras gemütlich gemacht hast? Dabei ist Lucek doch extra vorausgeritten, um für uns ein schönes Plätzchen zum Ausruhen zu suchen.“
Dann lachte er über seinen Witz.
Hanrek tastete, ob er seinen Stab noch hatte und als er ihn neben sich bemerkte, packte er ihn so fest, dass ihm die Hand weh tat. Er ließ seine Gabe fließen und Kämpfer und Stab waren eine Einheit. Er begann noch im Liegen seine erste Attacke auf Rannold. Mit dieser schnellen Attacke hatte Rannold zwar nicht gerechnet, aber seine Reflexe waren gut genug, um Hanreks Attacke mühelos abzuwehren. Für seine unbeherrschte Attacke bekam Hanrek prompt die Quittung in Form eines Schlags quer über den Rücken. Ein Schlag, wie ihn Hanrek schon häufig beim Üben abbekommen hatte. Der Schlag schmerzte zwar aber er tat vor allem seiner Ehre weh.
„Ho, ho. Jetzt sehen wir heute sogar noch einen richtigen Drachentöter kämpfen.“, machte er sich weiter über Hanrek lustig.
Auch jetzt verzichtete Hanrek auf ein vorsichtiges Abtasten des Gegners, wie er es bei Spartak gelernt hatte. Die ersten rasend schnell und wild vorgetragenen Schläge von Hanrek wehrte Rannold noch ab, aber dann hatte er keine Chance mehr. Einen klassischen Angriff von oben brach Hanrek ab, ließ den Stab durch seine Finger nach unten durchgleiten und griff stattdessen von unten an. Rannold wehrte im letzten Moment ab, war aber nicht schnell genug, um die sich daraus entwickelnde Schlagfolge zu meistern. Erst brach Hanrek ihm den Zeigefinger der rechten Hand. Rannold ließ seinen Stab fallen. Damit war die Abwehr von Rannold gebrochen. Augenblicke später verpasste ihm Hanrek in spielerisch aussehenden fließenden Bewegungen satte Schläge auf das linke Auge, das rechte Ohr und die beiden Kniescheiben, ehe er ihm schließlich die Beine weg zog. Dort blieb Rannold wahrscheinlich ohnmächtig liegen.
Hanrek nahm sich nicht die Zeit, das zu prüfen, keiner der Schläge war wirklich gefährlich gewesen. Stattdessen spurtete er zu Tonnir, der immer noch mit der um sich schlagenden und tretenden Miria beschäftigt war, und hatte deshalb nicht auf den Kampf zwischen Rannold und Hanrek achten können.
Beim wild um sich Treten traf Miria immer wieder Tonnirs Pferd, das nicht wusste, wie ihm geschah. Um den Tritten zu entgehen, drehte es sich und machte mehrmals große Sätze nach vorne, um dann wieder abrupt zu stoppen, und warf damit die beiden Kämpfenden auf dem Pferd hin und her. Die Bewegungen des Pferds bewirkten, dass Miria immer wieder die Hände frei bekam, die sie dann benutzte, um Tonnir das Gesicht zu zerkratzen und sich in seine Haare zu krallen.
Tonnir hatte alle Hände voll zu tun und versuchte verzweifelt, Herr der Lage zu bleiben. Als Hanrek die beiden endlich erreichte, genügte ein satter präziser Stockschlag Hanreks von hinten auf den Kopf, um Tonnir wie einen Mehlsack nach hinten vom Pferd kippen zu lassen.
Tonnir merkte, da er ohnmächtig war, gar nicht mehr, dass er die schreiende Miria mit sich zog. Das Knacken, als Mirias Sturz von Tonnirs Körper aufgefangen wurde, klang ziemlich scheußlich und deutete auf mindestens eine gebrochene Rippe hin. Einen Moment lang war Miria die Luft weggeblieben, dann schlug sie noch immer von den Armen des Ohnmächtigen umschlungen wild um sich. Sie kämpfte sich aus dessen Armen und im Aufstehen verpasste Miria ihm noch mit einem kräftigen Schwung ihres Ellenbogens einen Schlag aufs linke Auge. Hanrek war sich sicher, dass Tonnir die nächste Zeit immer dann an Miria denken würde, wenn er sich im Spiegel betrachten würde.
Vor Wut kochend kam Miria hoch und fuhr Hanrek an.
„Warum hat das so lange gedauert, bis du diesem dreckigen Bastard eins verpasst hast.“
Hanrek stotterte etwas perplex eine fadenscheinige Entschuldigung von schmerzenden Beulen an Kinn und Hinterkopf. Als er aber kurz darauf mit seiner Gabe nach Miria spürte, merkte er, dass sie zu Tode verängstigt und gedemütigt war und die Wut nur dazu diente, die Angst und die Demütigung zu verbergen.
„Miria,“, sagte er leise, „ich bin mir sicher, diese beiden werden dir nichts mehr tun. Dafür sorge ich.“
Dabei nahm er sie sachte in den Arm und sprach mit leisen tröstenden Worten auf sie ein.
Einen Moment lang befürchtete Hanrek, dass sie auch auf ihn einschlagen würde aber dann merkte er, wie sie begann sich zu entspannen und mit der Entspannung kamen die Tränen. Eine ganze Weile standen sie so, bis sie von einem Stöhnen gestört wurden.
Tonnir kam zu sich, drehte sich zur Seite und erbrach sich.
Hanrek begann, sich die Schäden anzusehen. Er selbst hatte ein dickes Ei am Kinn von Rannolds Stab und sein ganzer Kiefer schmerzte. Eine empfindliche Beule am Hinterkopf hatte er dort, wo er bei dem anschließenden Sturz auf den Rücken aufgekommen war.
Miria schien keine körperlichen Schäden davon getragen zu haben. Ihre Verletzungen waren seelischer Natur. Aber nachdem sie ihre Kleidung wieder in Ordnung gebracht hatte, die Tränen weggewischt hatte und sie ihre Sachen, die aus ihrem von Rannold achtlos weggeworfenen Bündel gefallen waren, eingesammelt hatte, merkte man ihr zumindest körperlich nicht mehr an, dass ihr gerade übel mitgespielt worden war und sie außerdem vom Pferd gefallen war.
Die Pferde waren nirgends zu sehen. Eine kurze Prüfung mit der Gabe sagte ihm, dass sie kurz hinter der nächsten Wegbiegung angehalten hatten und friedlich am Wegrand grasten.
Hanrek bat Miria.
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