Ruft jemand, der mit der Rechtschreibung auf Kriegsfuß steht, in weiten Teilen der Bevölkerung noch Befremden hervor, stellt sich dies bei Dyskalkulie ganz anders dar. Hat doch fast jeder aus seiner Schulzeit von Anekdoten seines Kampfes mit der Zahlenwelt zu vermelden. Wer Probleme mit der Prozentrechnung hat, gehört zur Mehrheit. Deutsche und amerikanische Studien besagen übereinstimmend, dass die meisten Leute Schwierigkeiten mit der Beantwortung folgender Frage haben: Wenn 1 Prozent einer Gruppe Krebs bekommt, wie viele sind das dann bezogen auf 1000 Personen? Amerikanische Ärzte haben diese Frage 300 zufällig ausgewählten Freiwilligen gestellt. Fast die Hälfte gab eine falsche Antwort. […] Noch größer waren die Schwierigkeiten, wenn die Probanden aufgefordert wurden, die Häufigkeit 1 von 1000 Personen in Prozent auszudrücken: Die richtige Antwort – 0,1 Prozent – wusste nur jeder siebte Testkandidat.“ 11
Nur eine Minderheit der Bevölkerung fühlt sich wohl, wenn sie mit Mathematik konfrontiert wird. Wahrscheinlichste Begründung: Es ist ein Fach, in dem man durch Auswendiglernen nur wenig und durch verbale Begabung so gut wie überhaupt nichts erreichen kann. Denn es besteht eine hohe Korrelation zwischen Mathematikzensuren in der Schule und dem Intelligenzquotienten. Dieser Zusammenhang ist so stark, dass schon Charles Spearman, einem Pionier der Intelligenzforschung, aufgefallen war, dass mathematisch begabte Schüler auch in anderen Fächern bessere Leistungen erzielten. Es besteht die Tendenz bei intellektuell durchschnittlich begabten Menschen, sich gegen geistig überlegene Mitmenschen abzugrenzen, da sie sich von ihnen bedroht fühlen. Dies zeigt sich besonders am Arbeitsplatz, wo „Intelligenzbestien“ als gruppenschädlich eingestuft werden. Zum einen demoralisieren sie die Kollegen, da sie ihre Aufgaben schneller erledigen, zum anderen wird ihnen das Streben nach einer schnellen Karriere unterstellt.
Alle machen mit
Menschen fürchten sich allgemein vor den falschen Dingen, nicht zuletzt weil die Medien ihre Berichterstattung nicht an den Grad der Bedrohung anpassen, sondern aus jeder Mücke einen Elefanten machen, um Aufmerksamkeit zu erregen. Als Beispiel seien hier zwei Lebensmittelskandale aus dem Jahr 2011 genannt. Fall 1: Dioxid in Hühnereiern. Fall 2: Ehec-Erreger. Während sich im ersten Fall das Dioxin erst langsam vermutlich ohne gesundheitliche Folgen im Körper anreichert, starben durch Ehec 53 Menschen in Deutschland. Nach einer Umfrage wurden die Gefahren jedoch für beide Bedrohungen etwa gleich bewertet. Aus diesem Grund möchte der Psychologe Gerd Gigerenzer bereits in der Schule den statistischen Analphabetismus bekämpfen: „Statistisches Denken ist eine der wichtigsten Fähigkeiten für das 21. Jahrhundert.“ 12
Bei Versuchen mit autistischen Kindern, Gleichaltrigen ohne diese Erkrankung und mental gleich weit entwickelten Kindern fanden englische Forscher heraus, dass Autisten in eine Aufgabenstellung eingebaute unsinnige Handlungen nicht so oft wiederholten. Sie hielten sich an die Lösung der Aufgabe, während die typischen Kinder in vielen Fällen auch die dazu nicht notwendigen Schritte kopierten. Und das obwohl ihnen klar war, dass dies zur Aufgabenlösung nicht notwendig war. Die Wissenschaftler vermuten, dass die getreue Nachahmung zu einer stärkeren sozialen Bindung beiträgt. „Der Mensch ist der Affe, der am besten nachäffen kann. […] [Diese] Fähigkeit zu genauer Imitation ist die Wurzel aller menschlichen Kulturleistungen, allerdings: Sie ist auch die Wurzel aller menschlichen Dummheit.“ 13
Periodensystem des irrationalen Unsinns
Viele Menschen stehen rationalem, wissenschaftlichem Denken alles andere als aufgeschlossen gegenüber. Ob dies nun an der fehlenden, dafür notwendigen Basis liegt, oder nur reine Bequemlichkeit dahinter steht, muss an dieser Stelle ungeklärt bleiben. Dass viele Zeitgenossen jedoch dem mit Wissenschaft nicht Fassbaren nahe stehen, ist in Anbetracht der Probleme, vor der die Menschheit steht, als sehr bedenklich anzusehen.
Crispian Jago hat aus dem „irrationalen Unsinn“, wie er es bezeichnet, ein eigenes Periodensystem entwickelt. Dort finden sich in mehreren Gruppen zusammengefasst alle möglichen und unmöglichen Unsinnigkeiten. Im Spinner-Block verortet er zunächst die Spiritisten – die davon überzeugt sind, dass man Kontakt mit Verstorbenen aufnehmen kann. Und diese können sich dabei sogar lebender Menschen bedienen, um mittels Channeling mal wieder mit alten Bekannten zu quatschen. Beides kombiniert ergibt dann eine Séance, bei der mehrere Personen versuchen, mit Hilfe eines Mediums Kontakt zur Welt der Toten aufzunehmen.
Auch die angeblichen Entführungsopfer von Aliens sowie Menschen, die an einen außerirdischen Hintergrund der Kornkreise glauben, subsumiert Jago hier. Auf Besuch von ganz weit her beziehen sich auch die Raëlianer, für die das Klonen der Auftakt zur Unsterblichkeit sein soll. Zu den „Pyramidioten“ zählt zum Beispiel Erich von Däniken, der den Begriff „Prähistorische Astronauten“ geprägt hat. Für ihn ist klar, dass Außerirdische die ersten Hochkulturen ermöglicht haben. Ein so phantasiereiches Konstrukt, dass zahlreiche Hollywood-Streifen dieses Thema aufgegriffen haben. Auch nur zu Besuch auf der Erde sind die Plejadier – Engel in Menschengestalt.
In der irrationalen Tierwelt tummelt sich so einiges im Wasser, an Land und in der Luft. Immer wieder taucht etwa das Monster von Loch Ness auf. Reale Konkurrenz bekommt es in den letzten Jahren vor allem im Loch Sommer von Krokodilen oder beißwütigen Alligatorschildkröten. Haariger ist die Sache da schon bei Bigfoot und dem Yeti, die sich trotz modernster Überwachungsmaßnahmen immer noch in den Rocky Mountains und dem Himalaya verstecken. Weit verbreitet ist in Südamerika der Glaube an einen tierischen Vampir, den Chupacabra.
Das nächste Fabelwesen hat sogar Richard Gere schon gesehen. Die Rede ist vom Mothman, oder auch Mottenmensch, der angeblich in den USA auftauchte, ein schweres Brückenunglück ankündigte und in „Die Mothman Prophezeiungen“ auf den Kinoleinwänden erschien. Während der Mothman ein modernes Fabelwesen darstellt, können die Elfen auf eine lange Geschichte zurückblicken. Aus der nordischen Mythologie stammend konnten sich die Lichtgestalten oder Naturgeister bis in die heutige Zeit retten. Aus der Überlieferung der Aborigines in Australien hat sich das „Wissen“ um den Bunyip gehalten. Dieses sagenhafte Tier lauert angeblich im Wasser auf seine Opfer.
Besonders weit verbreitet sind für Crispian Jago laut seinem Periodensystem des irrationalen Unsinns die Leichtgläubigen. So sehen manche in leuchtenden, kreisrunden Scheiben in fotografischen Aufnahmen gerne Geisterflecke, wobei diese „Orbs“ meist durch Nutzung von Blitzlicht entstehen. Positiv auf Gesundheit und Wohlbefinden sollen sich Heilsteine auswirken. Darunter werden vor allem Minerale verstanden, die durch Auflegen auf betroffene Körperteile, Einlegen in Wasser oder Cremes oder das Tragen am Körper ihre Wirkung entfalten sollen. 14
Vor allem Teenager schwärmen seit ein paar Jahren für die Blutsauger unter uns. Der Vampirmythos ist breit gefächert und schon sehr alt, wird jedoch in letzter Zeit immer mehr von den Zombies verdrängt. Die Untoten übernehmen gerne mal die Weltherrschaft, wenn nicht Helden wie Brad Pitt sie daran zu hindern suchen. Eng verbunden mit den Zombies ist Voodoo, eine überwiegend kreolische Religion, in der weiße und schwarze Magie eine große Rolle spielen. Wer hat nicht in seinem Schrank die Puppenpendants seiner ärgsten Feinde herumliegen, um an diesen einen Analogiezauber auszuführen?
Einen tieferen Sinn entdeckt mancher in der Anordnung von Landmarken, den Ley-Linien. Diese werden als Strömungen magischer Energie aufgefasst, die als Kraftquelle für magische Zwecke genutzt werden kann. Sehr vital ist für die Vitalisten auch eine Lebenskraft, welche die Grundlage alles Lebendigen darstellt. Den Tod überdauert angeblich der Astralkörper, der den Menschen umgibt. Noch eine weitere Stufe dazwischen mochte Rudolf Steiner mit dem Ätherleib erkennen. In der von ihm begründeten Anthroposophie soll der Mensch in seiner Beziehung zum Übersinnlichen betrachtet werden. Den bereits erwähnten „ätherischen Leib“ bildet der Mensch nach Steiners Ansicht im Alter von 8 bis 14 Jahren. Anschließend entwickelt sich sieben weitere Jahre der Astralleib. Um den Kindern diese Entwicklung ungestört zu ermöglichen, erschuf der Esoteriker die Waldorfpädagogik, die derzeit in über 200 staatlich anerkannten Schulen in Deutschland die Grundlage für den Unterricht darstellt. Vielleicht lernen die Kleinen dort dann neben Rechnen und Schreiben auch, wie man in der Akasha-Chronik, dem übersinnlichen „Buch des Lebens“ lesen kann.
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