Was ich zu sehen bekam, reichte eigentlich schon völlig dazu aus, sofort den Flieger zu verlassen, um einen Linienflug zu buchen. Da jedoch meine Wenigkeit dringend erwartet wurde, musste ich die gegebenen Umstände hinnehmen.
Solana interpretierte meine Miene: »Na und? Woquin ist ein Gigantopithecus, damit ein Nativ und amerikanischer Staatsbürger. Bist du jetzt zufrieden?«, fragte die Zwergin und setzte sich neben den struppigen Riesen, der definitiv zur Familie der Sasquatch (Bigfoot) gehörte.
Und damit meine ich keinesfalls einen Indianerstamm, sondern Bigfoot persönlich.
Mit Blick auf den Co-Piloten meinte ich lediglich: »Ich habe mich geirrt. Wir sind nicht bei den X-Men, sondern bei Hanna Solo mit ihrem Wookiee Schuhkacker. Bin jetzt fertig. Wir können starten«, kommentierte ich, machte kehrt, verstaute das Handgepäck und nahm Platz im rückwärtigen Teil des Fliegers.
»Schnalle dich gefälligst an, du Rassist!«, keifte Solana.
Außerdem hörte ich, wie sie zum Bigfoot sagte: »Mach dir nichts draus, Woquin. Immerhin ist er nicht der Erste, der nicht einmal bemerkte, welch wundervolle Augen du hast!«
Dann schloss sie, mir einen verächtlichen Blick zuwerfend, die Tür zum Cockpit.
Wenig später hoben wir völlig lautlos ab. Und da der Parkplatz über keine nennenswerte Startbahn verfügte, wunderte es mich nicht im Geringsten, als wir einen Senkrechtstart hinlegten und dabei rasch an Höhe gewannen.
Kurz darauf ertönte die Durchsage der Zwergin: »Sehr geehrter Passagier; die Kotztüten befinden sich unter dem Sitz!«
Zuerst wusste ich nicht, weshalb sie mich darauf aufmerksam machte. Doch nachdem auf gehässige Weise ein paar Loopings geflogen wurden, kam ich von allein drauf.
Und die Moral von der Geschicht´: Ärgre die Piloten nicht…
*
Kommt ein Ochs ins Fremde Land, wird er doch als Rind erkannt.
(Bernhard Vriedank)
Einige Menschen behaupten, Reisen bildet.
Na klar doch: Bei mir bilden sich höchstens bösartige Magengeschwüre, vor allem, wenn ich mit einem Flieger unterwegs bin, der von einer launischen Vampir-Zwergin und ihrem haarigen Kompagnon geflogen wird. Schon mal, wenn man gerade seinen ersten suborbitalen Raumflug hinter sich hat, der einen dermaßen flasht, dass man bei der Landung am liebsten vor Erleichterung den heiligen Erdboden küssen will. Jetzt verstehe ich auch den Sinn des Sprichworts: »Die Welt ist ein Dorf«, denn groß sieht sie von dort oben nun wirklich nicht aus.
Versteht mich nicht falsch. Ich fürchte mich nicht vorm Fliegen, eigentlich fürchte ich rein gar nichts. Nur habe ich es nicht gern, wenn ich mich in einem Gefährt befinde und keinerlei Einfluss darauf nehmen kann, wohin es mich bringt. Der einzige Vorteil dieses rasanten Fluges lag darin, relativ schnell am Einsatzort zu sein. Ansonsten kann ich gerne auf Erfahrungen dieser Art verzichten. Ich fahre lieber selbst mit dem Auto. Nur war es in diesem Fall definitiv nicht möglich.
Am Zielort erwartete mich nicht nur mein Dienstwagen, den die Zwergin eigenwillig mit meinem Gepäck belud, um mir anschließend wortlos die Schlüssel zuzuwerfen, in ihr Raumschiff zu steigen und wieder loszubrausen.
Vor Ort stand bereits das Begrüßungskomitee bei Fuß, in Form einer attraktiven Brünetten im Businesskostüm und eines blonden Kerls, bekleidet mit dem typischen, schwarzen Agentenanzug. Daneben parkte ein Jeep, an dessen Steuer ein geduldig wartender Soldat saß.
Da ich mich im Flieger bereits umgezogen hatte, konnte ich mit dem vorherrschen Dresscode locker mithalten.
Wir befanden uns in Kentucky, nahe Louisville, auf einem Militärstützpunkt der dort stationierten Einheiten der ersten US Infanteriedivision und dem IBCT, des Infantry Brigade Combat Teams, so wie eines ansässigen Logistikkommandos.
Vor uns ragte der markante, zweistöckige, weiße, quadratische Bau auf, der von Weitem ein wenig an eine gigantische Geburtstagstorte gemahnt: Fort Knox.
Ganz eindeutig die wohl wertvollste Torte der Welt. Gewissermaßen das Taj Mahal des Goldes. Und offensichtlich hatte hier wirklich jemand eine exorbitant ausgefallene Party gefeiert, ansonsten wäre ich nicht hier.
Todernst zückten Männlein und Weiblein ihre Ausweise und stellten sich vor. Da sie wussten, wen sie erwarteten, nahm ich mir Zeit, einen Blick darauf zu werfen.
»Chief Warrent Officer des ICIS (Infantry Criminal Investigation Service), Isla Nowak (wird Eila ausgesprochen)«, stellte sich die langbeinige Dame vor.
»Special Agent Stuart Dent, United States Department of Homeland Security (Ministerium für Innere Sicherheit der Vereinigten Staaten). Kannst mich Stu nennen. Wenn ich bitten darf, steig doch ein«, nickte der blonde Kerl knapp und öffnete für mich die Tür des Militärfahrzeugs, das uns durch die Sicherheitskontrolle und damit zum eigentlichen Ziel bringen sollte.
Während der kurzen Fahrt sprach niemand ein Wort. Schweigend gab mir Agent Dent meinen Besucherausweis, den ich mir gut sichtbar ans Revers heftete.
Wir passierten den schwer bewaffneten Eingang zum Gelände. Am Gebäudeeingang warteten, flankiert von bewaffneten Soldaten, die Mitarbeiter des United States Bullion Depository (Schatzamt der Vereinigten Staaten).
Nach der obligatorischen Begrüßung sichtete ich das Grundstück. Wie die Täter es angestellt hatten, blieb mir vorerst ein Rätsel. Zumindest mussten sie fixer als das menschliche Auge agiert haben. An jeder Ecke des Gebäudes befindet sich ein Wachturm, auf dem Bewaffnete ihren Dienst leisten. Und so sah die Situation aus: Vier Wachtürme, dazu hochauflösende Kameras, Bewegungsmelder, die an einen Infrarot-Wärmemesser gekoppelt sind. Mit anderen Worten: Technik ohne Ende, und das nur vom Feinsten. Summa summarum handelt es sich um eines der strengst bewachten Gebäude der Welt.
Die Mitarbeiter des Schatzamtes gaben, jeder einzeln und nacheinander, einen Teil des Zahlencodes ein. Kein einziger Mensch kennt den gesamten, vollständigen Code allein. Fazit: Um diese sechzig Zentimeter dicke und zwanzig Tonnen schwere, legierte Stahltür zu öffnen, braucht man definitiv das Wissen mehrerer. Im Geiste machte ich mir eine Notiz, den Herren später etwas genauer auf den Zahn zu fühlen.
»Zuerst gestatte mir eine Frage, Special Agent Dent. Wieso die Heimatschutzbehörde?«, fragte ich salopp.
»Stu, nennen mich Stu… Ganz einfach, wir werten das, was hier passierte, eindeutig als Form des Terrorismus. Dieser Akt ist ein klarer Angriff auf unser Land, mit der Absicht, unsere Wirtschaft zu schwächen.«
»Gut, das beantwortet meine Frage. Und da wir gerade beim Fragen sind: Gibt es jemand, der, außer den anwesenden Herren, Wissen von der Zahlenkombination besitzt?«, hielt ich mich weiter an Agent Dent. »Und noch eins: Existiert ein weiterer Zugang zum Gebäude?«
»Nein, diese Herren sind die absoluten Vertrauensträger. Nur sie haben das Wissen von der Zahlenkombination«
CWO Nowak verzog belustigt das Gesicht. »Ein weiterer Zugang? Angeblich gibt es einen Notausgang, der geflutet werden kann. Selbst wenn jemand unterirdisch eingedrungen wäre, könnte es den Sicherheitssystemen niemals entgehen. Die Sensoren registrieren im Inneren minimale Erschütterungen. Niemand ist durch den Tunnel gekommen, davon kannst du dich selbst überzeugen. Gehen wir rein!«, bahnte sie sich den Weg durch die Herren vom Schatzamt, die ihr willig Platz machten. Sie waren sichtlich bemüht, nicht allzu großes Aufsehen zu erregen, denn niemand sollte erfahren, was in der Nacht zuvor vorgefallen war. Wenn die Presse, und damit die Öffentlichkeit, Wind von dieser Sache bekäme, wäre der Teufel los. Unauffällig folgten uns die Verantwortlichen in einen Raum, der für die Ermittlungen vorerst keine Rolle spielte.
Nach und nach inspizierte ich die achtundzwanzig leeren Abteilungen in denen zuvor die Goldreserven eingelagert waren. Nicht ein einziger Krümel Gold war davon übriggeblieben.
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