1 ...6 7 8 10 11 12 ...20 Gao sah ich jetzt regelmäßig ein bis zwei Mal in der Woche, manchmal gingen wir spazieren oder machten kleine Ausflüge mit dem Fahrrad, meistens aber lernten wir Deutsch und Chinesisch zusammen und allmählich ergab sich eine gewisse Vertrautheit zwischen uns und weil das Sofa in meiner Wohnung so klein und hart war, lud ich Gao nach einiger Zeit ein, sich mit mir auf das große Bett zu legen, das nur ein paar Meter vom Sofa entfernt im selben Raum stand. Sie sträubte sich lange dagegen, aber schließlich willigte sie doch ein und wenn ich nicht eine Freundin in Deutschland gehabt hätte, der ich treu sein wollte und die ich in wenigen Monaten wiederzusehen gedachte, wäre es dort sicherlich zu Zärtlichkeiten gekommen.
Der Zug sah aus wie ein deutscher IC, nur dass seine Schnauze beim Fahrerhaus spitzer und frecher nach vorne ragte, als habe der IC einen Zahn zugelegt und wäre jetzt mit 300 Sachen unterwegs. Er war von einem chinesischen Zugbauer hergestellt, aber der hatte jahrelang mit Siemens in einem Joint Venture zusammen gearbeitet, außerdem waren Teile des Betriebssystems von Siemens geliefert worden.
Auch innen sah es aus wie in einem deutschen IC. Angenehm sauber, die Sitze bequem, genug Platz für die Beine. Alles neu und proper in den Farben hell blau und weiß gehalten. Sogar eine Zeitschrift gab es in dem Netz des Sitzes vor mir. Es war ein fettes, schweres Hochglanzmagazin, vollgestopft mit Werbung für Schweizer Uhren, italienische Anzüge, französisches Parfüm und deutsche Wagen. Ab und zu fanden sich englische Titel und Phrasen in dem unleserlichen Gewusel von chinesischen Schriftzeichen. Draußen flog die immer zu besiedelte flache Landschaft vorbei, die ab und zu größere Flächen von Grün frei gab, aber das Band der Häuser, Hochhäuser und Fabriken riss über die ganze Strecke von 100 km zwischen Wuxi und Shanghai nicht ab. Shanghai hörte also mindestens 100 km lang nicht auf, sich auszudehnen außerhalb seiner Stadtmauern und war doch selbst um die 20 Millionen Einwohner groß. Jetzt bremste der Zug langsam ab, Shanghai kam in Sicht. Hochhäuser hier und da, die Häuser wurden höher und drängten sich enger zusammen, Straßenschluchten dazwischen, die bis zum Horizont die Stadtkulisse aufrissen. Kanäle, Flüsse im Sonnenlicht blinkend. Die Aufregung stieg. Die Leute wurden unruhig, packten ihre Sachen, manche standen schon vor der Tür. Dann draußen großes Gedränge an den Treppen, lange Gänge, große Hallen, Lärm, ein riesig großer Platz vor dem gigantischen Bahnhofsbau mit der gläsernen Front, dicht bevölkert.
Vom Bahnhof aus fuhr ich mit der U-Bahn zum People-Square, dem Zentrum von Shanghai.Und als ich dort aus den Untergrund-Gewölben emporstieg und aufatmend wieder das Licht der Welt erblickte, sprachen mich beim Ausgang ein junger Mann und eine junge Frau auf Englisch an, woher ich denn käme, was ich hier treibe und wie lange ich schon hier sei. Sie seien Studenten aus dem Norden und Westen Chinas zu Besuch in Shanghai und würden sich gerne mit Fremden unterhalten.Sie sahen frisch und sauber aus, waren wie Studenten gekleidet, lachten viel, waren freundlich und zutraulich und so standen wir einige Zeit zusammen und plauderten. Das Wetter war herrlich mit einem hellblauen Himmel, schmucke Wolkenkratzer standen um mich herum, die danach schrien, von mir gesehen, gewürdigt und fotografiert zu werden. „Also gut“, sagte ich nach einiger Zeit „ich möchte jetzt los, die Stadt auskundschaften…“ und wandte mich zum Gehen, weil ich gekommen war, um auf eigene Faust die Stadt zu erkunden und ich mich gerne von meiner Intuition treiben ließ und meiner Lust auf gute Fotos und dabei nicht gerne Rücksicht nahm auf Begleiter, die, wie ich aus Erfahrung wusste, meines Herumschweifens bald müde wurden.
Aber zu meiner Überraschung blieben sie nicht stehen, sondern gingen einfach mit. Das war mir ein wenig unangenehm, aber ich sagte mir, warum nicht, warum nicht deine Zeit mit ein paar jungen Chinesen verbringen.Jedenfalls einige Zeit länger als eigentlich geplant. Sie sagten, dass sie zu einer Straßenparty gehen wollten hier ganz in der Nähe, ob ich denn nicht mitkommen wolle. Straßenparty klang interessant und auch noch ganz in der Nähe, außerdem schienen sie mir tatsächlich ganz nett und freundlich zu sein und bisher hatte ich noch keine schlechten Erfahrungen mit Chinesen gemacht… Außerdem wollte ich die netten jungen Leute nicht mit einer schroffen Abwendung vor den Kopf stoßen. Aber dann zog sich der Weg ewig lange hin, war also nicht ganz in der Nähe und ich sah so viele interessanten Motive unterwegs, die ich gerne fotografiert hätte und die ich nicht fotografieren konnte, weil wir ja jetzt unterwegs waren zu einer Straßenparty, was immer das war und dann gingen sie auch immer mehr einen Weg, den ich, wenn ich meiner Intuition gefolgt wäre, nicht gegangen wäre. Sie gingen in hässlich unbelebte kleine Straßen hinein und als ich dann nachfragte, wo denn diese Straßenparty sei und was das denn genau bedeute, stellte ich fest, dass ich mich verhört hatte, es ging nicht um eine Streetparty, sondern eine Teeparty und diese Tee-Party sei genauer gesagt auch eine Tee-Zeremonie. Das klang ja auch ganz interessant, ich hatte schon von buddhistischen Tee-Zeremonien gehört: Schon die Teezubereitung dauerte Stunden und war ein Gedicht, das Erheben der Tassen ein Akt des gesteigerten Bewusstsein und das bloße Einatmen des Duftes erfüllte das Sein mit neuen Schwingungen, die tagelang anhielten….
Sie führten mich in einen dunklen Hinterhof, eine Außentreppe an Metallwänden empor und eintraten wir in eine Art Büro, das mit buddhistischen Devotionalien vollgestopft war. Knallbunte rituelle Gewänder, Bänder und Bilder hingen an den Wänden, in den Regalen lagerten Buddha-Statuen in allen Größen und Formen, Kerzen, Schalen, Schälchen und Tee in kleinen Päckchen und großen Kanistern. Wir traten in einen engen dunklen Raum und setzten uns auf Kissen am Boden, vor uns ein flacher Tisch worauf schon eine tönerner kleiner Teetopf stand, nebst winzig kleinen Schälchen. Eine Frau trat ein, angetan in ein überaus kunstvoll gewirktes Gewandt, das golden leuchtete in zahlreichen Schnörkeln und Verzierungen, die sich prangend abhoben von einem starken feurigen Rot darunter. Ihr Gesicht war ungewöhnlich schön, ebenmäßig und sehr ernst. Nur bei der Begrüßung huschte ein kurzes Lächeln über ihre Lippen. Sie stellte sich hinter das Tischchen vor uns an die Wand, faltete die Hände vor der Brust wie eine fromm betende Nonne, blickte zum Himmel, schloss dann die Augen, neigte den Kopf und verharrte so einige Zeit. Meine Begleiter saßen neben mir und hatten ebenfalls ihre Blicke zu Boden gesenkt. Es war still, von draußen hörte man nur schwach das Beben und Brausen der Stadt.
Dann kniete sie sich nieder hinter dem flachen Tisch und schenkte mit langsamen weihevollen Bewegungen drei Tässchen voll von dem Tee, der wohl schon vorbereitet war. Meine Begleiter forderten mich stumm auf, zu zu greifen und dann nippte ich vorsichtig an dem Getränk. Es sah dunkelrot aus, schmeckte leicht süßlich, schwer und voll wie ein Burgunder unter den Teesorten, vielleicht ein schwarzer, also fermentierter Tee. Ich war ein bisschen enttäuscht, er schmeckte nicht schlecht, aber auch nicht so besonders….Fragend schauten mich meine Freunde an. „Hmmmm, guut!“ sagte ich aus Höflichkeit. Welchen Tee ich denn gerne trinken wolle, fragte die Studentin in halblautem Ton. Sie zeigten auf das Regal an der Seite, wo Dutzende von kleinen Gläsern voll mit Teeblättern standen. Ich stand auf. Keine Ahnung, ich kannte mich mit Tee nicht aus. Ich trinke Tee ganz gerne, aber am liebsten trinke ich irgendwelche unbehandelten Kräuter- oder Früchtetees.
„Möchtest du denn mal diesen Tee probieren, er heißt Uhlong- Tee und ist eine ganz besondere Spezialität aus dem Süden Chinas, sehr kostbar oder diesen hier aus Yunann, noch weiter im Süden?“ „Ja gerne“ „Und den noch vielleicht?“ Sie stellten eine ganze Kollektion von Tees zum Probieren zusammen und die Zeremonienmeisterin machte sich ans Brauen mit ihren gemessenen würdigen Bewegungen, wobei sie wohl einen Wasserkocher benutzte, denn sie hatte ständig heißes Wasser parat. Und jetzt tauchte in mir die Frage auf, ob ich… Also ob ich das zu bezahlen hatte? Ob das alles irgendwie etwas kostete? Und wenn ja, wieviel? Vielleicht sogar sehr viel? Und wie kam ich hier wieder raus?
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